Wie die Weltkirche in deutsche Kirchen kommt
So multikulturell wie in der Sankt Antonius-Kirche in Münster geht es wahrscheinlich nicht in vielen deutschen Gotteshäusern zu. Während die deutschsprachigen Katholiken ihre Gottesdienste in der Krypta feiern, ertönen oben im Hauptschiff vor allem Fremdsprachen: die polnisch-, die spanisch- und die tamilisch-sprachige Gemeinde sind hier zu Hause. Während des Katholikentags war St. Antonius sogar so etwas wie das Zentrum für die Vielfalt der Katholiken aus der ganzen Welt. Gottesdienste in allerlei Riten fanden hier statt: Eine Liturgie der griechischkatholischen Ukrainer etwa, oder Gottesdienste im melkitischen, maronitischen und im syro-malabarischen Ritus. "Das war ein wunderbares Treffen der Weltkirche", erinnert sich Stefan Schohe, Nationaldirektor für die Ausländerseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz.
In ganz Deutschland besteht eine ausdifferenzierte Landschaft muttersprachlicher Gemeinden. Ganze 35 Sprachgruppen sind vertreten, organisiert in rund 450 Gemeinden. Von Englisch bis Französisch, von Tamilisch bis hin zum nigerianischen Igbo reicht die Palette. Am häufigsten sind die direkteren Nachbarn vertreten: Es gibt jeweils rund 100 polnisch- und kroatischssprachige Gemeinden, dazu etwa 80 italienisch-, 30 spanisch- und 25 portugiesisch-sprachige. "Die katholische Migration nach Deutschland ist nach wie vor weit überwiegend europäisch", fasst Schohe zusammen. Insgesamt leben hier nach seinen Angaben rund dreieinhalb Millionen ausländische Katholiken, etwa 15 Prozent der Katholiken in Deutschland. Gläubige aus etwa der Hälfte der Riten, die es in der katholischen Kirche gibt, sind vertreten.
Auch das ZdK berücksichtigt Muttersprachengemeinden
Um die Muttersprachler kümmert sich nicht nur der Nationaldirektor für die Ausländerseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz – auch in jedem Bistum gibt es auch einen entsprechenden Beauftragten. Hintergrund für diese ausdifferenzierte Struktur ist letztendlich auch die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils, nach der alle Katholiken weltweit die Möglichkeit haben sollten, Gottesdienste in ihrer Muttersprache zu feiern. Auch im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) sind die Muttersprachler durch ein eigens Untergremium vertreten, den sogenannten "Bundespastoralrat der Katholiken anderer Muttersprache". Dessen Geschäftsführer, der aus Nigeria stammende Frankfurter Psychotherapeut Emeka Ani, sieht seine Aufgabe vor allem darin, die Anliegen der Muttersprachler auch in die Laienorganisation der deutschen Katholiken hinein zu transportieren.
Auch wenn der allergrößte Teil Muttersprachler europäischer Herkunft sind, hat der Flüchtlingszustrom der vergangenen Jahre die Arbeit der muttersprachlichen Seelsorge verändert. "Es kommen nun Christen aus Ländern und Sprachgebieten nach Deutschland, die vorher so nicht vertreten waren", sagt Stefan Schohe. Und selbst wenn nur etwa ein Prozent der Flüchtlinge aus Syrien Katholiken seien – exakte Zahlen gibt es nicht – wären das bei 700.000 Menschen rund 7.000 Gläubige. Daher gelte es nun, vermehrt auch Gottesdienste im melkitischen Ritus oder in arabischer und aramäischer Sprache anzubieten.
Nach Angaben von ZdK-Mitglied Ani sind auch bereits existierende muttersprachliche Gemeinden in der Flüchtlingsarbeit engagiert. Innerhalb der eritreischen Gemeinde gebe es etwa ein Projekt mit Patenschaften für afrikanische Flüchtlinge. "Es gibt keinen besseren Integrationsmechanismus, als wenn ein Afrikaner einen anderen Afrikaner mit der deutschen Gesellschaft vertraut macht", so Ani.
Afrikanische Trommeln statt deutscher Orgel
Denn auch wenn der Glaube verbindet: kulturelle Unterschiede zwischen den aus der Weltkirche stammenden und den deutschen Christen bestehen durchaus. Das weiß Ani aus eigener Erfahrung: "Wir Afrikaner haben eine andere Frömmigkeit und eine ganz andere Spiritualität", sagt er. "Das zeigt sich schon in der Musik: In Afrika spielen Trommeln eine große Rolle, in Deutschland die Orgel". Auch die stark sozial-caritative Ausrichtung und die liberale Einstellung vieler Kirchenmitglieder in Deutschland seien für manche erst einmal neu.
Dass muttersprachliche Gottesdienste oft deutlich besser besucht sind als deutschsprachige, liegt nach Ansicht von Stefan Schohe auch daran, dass sie für die Gemeindemitglieder ein Stück Heimat sind: "Da treffen sie Menschen, mit denen sie ihre Kultur teilen, sie können Traditionen, Lieder und Bräuche pflegen, sich anschließend in ihrer Muttersprache unterhalten. Das tut der Seele gut." Schließlich nutzten auch Deutsche, die im Ausland lebten, gern die Angebote der jeweiligen Auslandsgemeinden.
Dass die Parallelstruktur der muttersprachlichen Gemeinden und der deutschsprachigen Territorialpfarreien wie eine Art Integrationshemmnis wirken könnte, glauben weder Schohe noch Ani – genau das Gegenteil sei der Fall: Die muttersprachlichen Gemeinden erfüllten eine wichtige Integrationsfunktion. Ani selbst etwa ist in einer deutschsprachigen und zugleich in einer muttersprachlichen Gemeinde engagiert. Wie er berichtet, gebe es vielerorts zudem einen gegenseitigen Austausch. Schon, weil die Muttersprachler oft die vorhandene Infrastruktur der Territorial-Gemeinden nutzten, entstünden Kontakte. Dazu gebe es noch gemeinsame Angebote wie etwa "Gottesdienste der Nationen" oder internationale Pfingstgottesdienste.
Nationaldirektor Schohe fordert Offenheit von beiden Seiten "auch wenn da manchmal Welten aufeinandertreffen". Muttersprachler seien genauso Mitglieder der katholischen Kirche wie Deutsche – mit den gleichen Rechten und Pflichten, inklusive der Kirchensteuer. Entsprechend gleichberechtigt müssten sie behandelt werden: "Die gut gemeinte Rede von Gastgeber und Gast kann ein Statusgefälle implizieren, das es nach kirchlicher Lehre nicht geben dürfte und das bei den 'Gästen' zu dem kränkenden Gefühl führen kann, Katholiken zweiter Klasse zu sein".
Was die muttersprachliche Seelsorge seiner Ansicht nachkünftig besonders herausfordern wird, ist das schnelle Wachstum der Gläubigenzahlen. Während 2015 noch 3,2 Millionen oder 13,4 Prozent der Katholiken in Deutschland Muttersprachler waren, waren es 2017 schon 3,52 Millionen (15 Prozent) – und das vor allem durch innereuropäische Migration. "Damit müssen wir Schritt halten und die Angebote in den Bistümern entsprechend ausbauen", sagt Schohe. Vielleicht kann die Sankt Antonius-Kirche in Münster dann ja ein Vorbild für weitere Projekte sein.