Vor 25 Jahren öffnete das erste jüdische Gymnasium der Bundesrepublik

Ein Zeichen für gelebtes Judentum in Deutschland

Veröffentlicht am 06.08.2018 um 16:23 Uhr – Lesedauer: 
Bildung

Berlin ‐ Hebräisch und Jüdische Religion sind Pflichtfächer, das Mittagessen ist koscher: Heute vor 25 Jahren wurde das jüdische Gymnasium in Berlin eröffnet. Es wurde zu einem Erfolg in Sachen Toleranz, Integration und Bildung. Davon profitieren auch christliche und atheistische Schüler.

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Der Altbau steht etwas zurückgesetzt in einer schmalen Straße in Berlin-Mitte. Auffällig sind der hohe Zaun um das Grundstück und andere Sicherheitsmaßnahmen. Nachbarn sind in dem Szenebezirk Kneipen und kleine Läden, in der Nähe liegen die Neue Synagoge an der Oranienburger Straße und andere jüdische Einrichtungen. Vor 25 Jahren, am 6. August 1993, eröffnete hier das bundesweit erste jüdische Gymnasium seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

"Das funktionierte erst in dem Augenblick", sagt Leiter Aaron Eckstaedt und meint damit den Zuzug von jüdischen Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion in den 1990er Jahren. Die staatlich anerkannte Privatschule der Jüdischen Gemeinde zu Berlin mit etwa 450 Schülern aus 20 Nationen versteht sich als "Zeichen für gelebtes Judentum". Dort sollen nicht nur Geografie, Philosophie, Hebräisch oder Mathe gelernt werden - die Schule will auch "ein Ort für gemeinsames Leben in der Spannweite von Toleranz, Akzeptanz und Integration" sein. 60 Prozent der Schüler seien jüdisch, 40 Prozent gehörten anderen, meist christlichen Glaubengemeinschaften an oder hätten keine Konfession.

Hebräisch und jüdische Religion sind Pflichtfächer

Sie alle lernen am Jüdischen Gymnasium Moses Mendelssohn nach dem allgemeinbildenden Fächerkanon der Berliner Rahmenlehrpläne. Alle Schüler müssen aber Hebräisch und Jüdische Religionslehre belegen. "Wir wollen allen jüdischen Strömungen eine Heimat geben, das fordert Kompromisse", so Eckstaedt: Es gibt koscheres Mittagessen, an hohen jüdischen Feiertagen ist schulfrei. Aber: "Wir können auch nicht jedes Wurstbrot auf dem Schulhof kontrollieren." Eckstaedt betont: "Jeder soll an dieser Schule leben können." Damit meint er auch die nichtjüdischen Schüler - von denen manch einer die Schule mit einer stärker ausgeprägten "jüdischen Identität" verlasse als jüdische Abiturienten.

Linktipp: Deutsch, Mathe, Hebräisch

Die jüdischen Gemeinden in Deutschland wachsen. Für den Nachwuchs gibt es schon lange Kitas und Grundschulen. In Düsseldorf wurde 2016 das bundesweit zweite jüdische Gymnasium eröffnet. (Artikel von August 2016)

Eltern egal welcher jüdischen Strömung wollten ihre Kinder mit einer Verbindung zur Tradition erziehen, sagt Eckstaedt. Denn die Frage nach den Wurzeln werde in einer globalisierten Welt wichtig. Das Gymnasium steht an historischem Ort: 1860 wurde das Gebäude errichtet. 1942 schlossen die Nationalsozialisten jüdische Schulen, auch diese - bis 1945 war das Gebäude ausgerechnet Deportationslager für die Berliner Juden. Bei der Eröffnung knapp 50 Jahre später hatte die Schule 27 Schüler.

Neue Gründungen von jüdischen Schulen erfolgten erst allmählich mit der "Konsolidierung" jüdischen Lebens hierzulande nach der Wende von 1989/1990, wie der Zeithistoriker Wolfgang Benz einmal der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sagte. Laut Zentralrat der Juden in Deutschland gibt es heute bundesweit zwölf Grund- und weiterführende jüdische Schulen.

Teilnehmer der Demonstration "Steh auf! Nie wieder Judenhass!" am 14. September 2014 in Berlin.
Bild: ©picture alliance / dpa/Maja Hitij

In Berlin öffnete vor 25 Jahre erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg wieder ein jüdisches Gymnasium in Deutschland seine Pforten.

Es sei zu begrüßen, dass es in Deutschland wieder jüdische Schulen gebe, "damit das Odium des Holocaust blasser wird", sagt Benz. Die Schullandschaft werde sich wie die jüdische Bevölkerung entwickeln. "Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass es steil anwächst." Mit Blick auf antisemitische Vorfälle sagt Benz, er wünsche sich staatliche Schulen, an denen Juden "ganz selbstverständlich" geachtet würden. Denn eine Gründung "jüdischer Rückzugsschulen" sei "völlig verfehlt". Gegen Mobbing seien Lehrer und Eltern gefragt.

Schüler erfahren Antisemitismus

Pro Jahr kämen sechs bis acht Schüler an das jüdische Gymnasium, weil sie "unangenehme Erfahrungen" meist mit Schülern aus dem arabischen Raum gemacht hätten, sagt Eckstaedt. Und die in der S-Bahn Kippa oder Davidstern lieber versteckten. "Da ist eine irrationale Angst, die sich Bahn bricht. Es ist zum Teil die Angst der Eltern, mit der die Kinder umgehen." Gleichwohl nehme Antisemitismus an Schulen zu, und er habe wegen der Schärfe eine neue Dimension erreicht.

Angesichts des Schutzes vieler jüdischer Einrichtungen betont das Gymnasium, dass die Sicherheitsvorkehrungen nicht als Abschottung verstanden werden sollten. Die Adresse Große Hamburger Straße sei zur Jahrhundertwende "Toleranzstraße" genannt worden: "Auf dieser nur 300 Meter langen Straße lebten immer schon Menschen verschiedener Kulturen und Religionen friedlich miteinander", heißt es auf der Internetseite.

Von Leticia Witte (KNA)