Paul Badde findet Gottes Gesicht in Turin und Manoppello

Zwei Tücher - ein Jesus

Veröffentlicht am 03.12.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Glaube

Berlin ‐ Im Frühjahr 2015 wird von April bis Juni zum letzten Mal für lange Zeit das Turiner Grabtuch zu sehen sein. Hunderttausende Pilger und Neugierige aus aller Welt werden in Turin erwartet, und der berühmteste unter ihnen wird Papst Franziskus sein. Wie schon seine Vorgänger Benedikt XVI. und Johannes Paul II. will auch er das Tuch mit eigenen Augen sehen.

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Das Leinentuch, in das laut Überlieferung Jesus nach seinem Tod gehüllt war, zeigt das Abbild eines gefolterten Mannes. Millionen von Gläubigen sehen darin den gekreuzigten Jesus. Bis heute ist nicht restlos geklärt, wie alt das Tuch ist und wie dieses Abbild zustande kam. Nicht einmal die Stationen seiner langen Reise rund ums Mittelmeer sind gesichert - und das, obwohl es Hunderte von Büchern und Untersuchungen dazu gibt, die historische, theologische, chemische und kunstgeschichtliche Fragen behandeln.

Das Schweißtuch von Manoppello

Viele Pilger werden vor oder nach ihrem Besuch in Turin auch in das 700 Kilometer südlich gelegene Städtchen Manoppello reisen. Dort befindet sich unter der Obhut wachsamer Kapuzinermönche in der Kirche "Santuario del Volto Santo" (Heiligtum des heiligen Gesichts) seit dem frühen 17. Jahrhundert ein hauchfeines Tuch mit dem Abbild eines ebenfalls gefolterten Mannes. Es wird ähnlich wie das Turiner Grabtuch als ein ursprüngliches Abbild Christi verehrt. Allerdings ist dieses Gesicht plastischer und lebendiger als der blasse Abdruck in Turin. Und die Literatur ist bei weitem nicht so umfangreich - was vor allem daran liegt, dass die Fachwelt das Schweißtuch von Manoppello erst kürzlich entdeckt hat. Das Turiner Grabtuch hingegen ist bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts Gegenstand von Forschungen.

Aber das kleine Tuch von Manoppello wird vermutlich schon sehr viel länger verehrt als sein Turiner Gegenstück, und es ist nicht weniger mysteriös. Seine Reise durch die Jahrhunderte ist ebenso ungeklärt wie die Frage, wie das Jesus-Abbild auf das Material kam.

Papst Franziskus winkend vor dem Petersdom.
Bild: ©picture alliance / Stefano Spaziani

Papst Franziskus winkend vor dem Petersdom.

Denn es handelt sich um Muschelseide - einen Stoff, an dem Farbpigmente nicht haften bleiben, der aber "fotografische" Eigenschaften hat. So verwundert es nicht, dass Pilger in dem Bild eine Art ursprüngliche Fotografie des auferstandenen Jesus sehen.

Zu den Wiederentdeckern des "Schleiers von Manoppello" zählt der deutsche Journalist Paul Badde. Er hat viel über das Muschelseidentuch publiziert, und aufgrund seiner Texte ist sogar Benedikt XVI. als Papst nach Manoppello gepilgert, um das "Volto Santo" zu sehen. Rechtzeitig vor der großen Ausstellung des Turiner Grabtuches hat Badde am Freitag in Berlin ein neues Buch zum Thema vorgestellt, in dem er die Forschungen über die ungeklärten Phänomene von Turin und Manoppello zusammenbringt. Das Ergebnis ist verblüffend. Die bisher oft verfeindeten Anhänger der beiden Grabtücher können laut Badde ihren Streit beilegen, weil beide Textilien echt seien.

Johannesevangelium erwähnt zwei verschiedene Tücher

Zwei wichtige Indizien führt Badde ins Feld: Zum einen seien beide Abbilder deckungsgleich, sie zeigten also ein und dasselbe Gesicht. Dies könne man durch digitales "Übereinanderlegen" zweifelsfrei nachweisen. Zum anderen erinnert er daran, dass die Existenz von zwei verschiedenen Tüchern bereits im Johannesevangelium erwähnt ist. Dort heißt es im 20. Kapitel: "Simon Petrus (...) ging in das Grab hinein. Er sah die Leinenbinden liegen und das Schweißtuch, das auf dem Kopf Jesu gelegen hatte; es lag aber nicht bei den Leinenbinden, sondern zusammengebunden daneben an einer besonderen Stelle."

Dass die Evangelientexte das Abbild des Auferstandenen auf beiden Tüchern nicht erwähnen, liegt laut Badde an den Tabus der jüdischen Umwelt. Dort galten Grabtücher als vollkommen unrein, und ein Abbild des Göttlichen verstieß zudem gegen das alltestamentarische Bilderverbot. Wie die lange verschollenen, mutmaßlichen Berührungsreliquien, die zugleich "ungemalte Bilder" Jesu sein könnten, an ihre heutigen Orte kamen, erzählt Badde in seinem spannenden Buch. Und er geht der faszinierenden Frage nach, was es wohl bedeuten würde, wenn uns in Turin und in Manoppello tatsächlich Jesu Gesicht anschaut, wenn wir diese Tücher betrachten.

Von Ludwig Ring-Eifel (KNA)