Agathe Lukassek über eine verstörende Frömmigkeitsform

Schluss mit den Reliquien-Touren!

Veröffentlicht am 23.08.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Standpunkt

Bonn ‐ Agathe Lukassek über eine verstörende Frömmigkeitsform

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Haben Sie schon gefrühstückt? Wenn ja, sollten Sie vielleicht nicht weiterlesen. Denn mir wurde gestern schlecht, als ich folgende Nachricht las: "Kolumbusritter kündigen Johannes-Vianney-Reliquien-Tour an". Dabei soll das Herz des heiligen Pfarrers von Ars ab November durch Kirchengemeinden in den USA touren – Grund ist der Missbrauchsskandal, dem der Patron der Pfarrer als positives Beispiel des idealen Priesters entgegengesetzt werden soll. "Was macht ihr mit den Überresten eines meiner Lieblingsheiligen?!?", war meine erste Reaktion. Und auch Stunden später will sich nichts anderes bei mir einstellen als Befremden, Entsetzen und auch Ekel.

Wir leben im Jahr 2018. Und da gibt es tatsächlich Teile innerhalb meiner Kirche, die die Totenruhe von verdienten Christen stören und meinen, dass erstens Gläubige in Massen in die vom Heiligen "besuchten" Kirchen strömen werden und zweitens dies irgendetwas mit Blick auf die tausendfachen Missbrauchsfälle wiedergutmachen kann. Das ist verstörend – und kein Einzelfall: Vor wenigen Monaten kam Papst Johannes XXIII. aus dem Petersdom zeitweise in seine Heimatdiözese zurück, vor einem Jahr waren die Reliquien des heiligen Nikolaus von Bari in Süditalien an Russland ausgeliehen und die von Padre Pio in die USA – und zum 200. Geburtstag von Johannes Bosco tourte dessen Sarkophag mehrere Jahre lang durch die ganze Welt.

Religionswissenschaftlich lässt sich der Kult rund um Reliquien leicht erklären: Es geht um die urmenschliche Ehrfurcht vor dem Leichnam – in vielen Religionen und darüber hinaus. Bestes Beispiel für einen areligiösen Kult ist der einbalsamierte Leichnam von Lenin. In der christlichen Volksfrömmigkeit hat die Reliquienverehrung mal mehr, mal weniger eine Rolle gespielt – und immer wieder musste die Kirche gegen allzu große Missbräuche wie den Reliquienhandel vorgehen.

Aber zurück in die Gegenwart: Schon die Heiligenverehrung leuchtet heutzutage nicht mehr jedem Katholiken ein – und sie muss es auch nicht. Ich persönlich kann Kraft daraus ziehen, auf Pilgerreisen an den Gräbern von großen Heiligen zu beten und etwa ihre Kleidungsstücke zu sehen. Und dass solche "Berührungsreliquien" zu Kranken gebracht werden, kann ich auch nachvollziehen – schließlich hat nicht jeder das Privileg zu pilgern. Aber warum Körperteile? Oder die Tour eines ganzen Sargs? Einerseits regen wir uns über Gräberschändungen auf und rufen "Störung der Totenruhe", aber gleichzeitig soll eine Störung der Totenruhe von Heiligen in Ordnung sein? Nicht mit mir. Die Heiligen sollten uns heilig sein und ruhen – am Stück.

Von Agathe Lukassek

Die Autorin

Agathe Lukassek ist Redakteurin bei katholisch.de.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von katholisch.de wider.