Echter Diener vor dem Herrn
Stephan Ackermann
Den Namen eines Heiligen zu tragen, der zu den Männern der ersten Kirchenstunde gehört, hat mich schon immer berührt. Allerdings schien mir das Auftreten des Stephanus immer eine Spur zu selbstbewusst und zu großsprecherisch. Den Mitgliedern des Hohen Rates hält er am Ende seiner Verteidigungsrede vor: "Ihr Halsstarrigen, ihr, die ihr euch mit Herz und Ohr immerzu dem Heiligen Geist widersetzt, eure Väter schon und nun auch ihr. Welchen der Propheten haben eure Väter nicht verfolgt?" (Apg 7,51).
Kein Wunder, dass diese provozierenden Worte auf wenig Gegenliebe stießen. Als Jugendlicher habe ich mich manchmal geniert, wenn am zweiten Weihnachtstag die Lesung vorgetragen wurde, in der Stephanus, als die Steine fliegen, noch eins draufsetzt und ausruft: "Ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen." Heute bewundere ich vor allem die Vergebungsbereitschaft des Stephanus: So bedingungslos wie er vor dem Hohen Rat für Gott eintritt, tritt er nachher sterbend vor Gott ein für seine Peiniger. Das ist wirklich groß.
Es lohnt sich immer, Stephanus um Hilfe zu bitten
Im vergangenen Jahr hat mir zum Namenstag eine Ordensschwester eine Karte mit einer gotischen Stephanus-Figur aus dem Stephansdom in Wien geschickt. Die habe ich mir aufgehoben: Denn von dieser Figur geht eine faszinierende Ruhe und ein unglaublicher Friede aus. In der rechten Hand trägt der Märtyrer die traditionelle Siegespalme. Seine Linke hält er angewinkelt in der Höhe des Herzens. Die Hand ist nicht leer. Sie umfasst drei große Steine, seine Todeswerkzeuge. Aber sie haben ihre Bedrohlichkeit verloren. Fast sieht es so aus, als ob Stephanus sie selbst eingesammelt und aufgehoben hätte und mit ihnen auch diejenigen, die sie geworfen haben.
Schon oft habe ich beim Anschauen des Bildes gedacht: So müssen wir als Christen mit Steinen umgehen, die uns entgegenfliegen oder die uns in den Weg gelegt werden: Nicht zurückwerfen, sondern sie einsammeln und aufnehmen und ihnen auf diese Weise ihre negative Kraft nehmen. Weil das oft nicht leicht ist, lohnt es sich immer wieder, den heiligen Stephanus um Hilfe zu bitten. Erst recht dann, wenn es der eigene Namenspatron ist.
Der Autor
Stephan Ackermann (*1963) ist seit 2009 Bischof von Trier.Stefan Oster
Der Heilige Stephanus war der erste Märtyrer der Kirche. Er bekannte sich in seiner Verteidigungsrede zu Christus. Seinen Anklägern warf er vor, sich dem Heiligen Geist immerfort zu widersetzen, woraufhin sie ihn hinaustrieben und steinigten. Kurz vor seinem Martyrium sah er den Himmel offen (vgl. Apg 7,56).
Diese Gegebenheit beeindruckt mich sehr. Es besteht offenbar ein tiefer innerer Zusammenhang zwischen der Bereitschaft, sein Leben für Christus hinzugeben und den Himmel offen sehen zu können. Die Bereitschaft, von sich selbst ganz wegzusehen, eröffnet den Raum nach innen und nach oben. Das ist für mich die glühende Herzmitte der christlichen Existenz meines Namenspatrons. Sie ist zutiefst wahr, aber zugleich eine ungeheure Herausforderung. Stephanus war auch der erste Diakon (vgl. Apg 6.5), das heißt ein echter Diener vor dem Herrn. Er weckt in mir die Sehnsucht, trotz aller Durchschnittlichkeit, ganz für Gott zu leben und ihm mein Leben zu geben.
Aufforderung zu radikalem Vertrauen
Der Geist und die Kraft des Stephanus tragen in einer Zeit, in der viele Menschen in einem Labyrinth aus Ideologien nicht mehr recht um ihre Identität wissen, eine besondere Botschaft in sich. Er war ein Mann, der zur Wahrheit seines Glaubens stand. Auf diese Weise provozierte er und wurde zum Gegner des damaligen religiösen Establishments.
Seine Erfahrung aber fordert auch uns auf zu einem radikalen Vertrauen. Es handelt sich dabei um eine Wechselwirkung, die ineinander greift: Das Vertrauen, der Glaube befähigt zur Liebe und die Bereitschaft zur Liebe vertieft den Glauben - und reinigt die Augen des Herzens. Stephanus starb laut Apostelgeschichte wie sein Herr: mit der Bitte an Gott um Vergebung für seine Peiniger. Die von Gott geschenkte Liebe verschenkte er selbst bis zum letzten Blutstropfen. Denn die Liebe, die von Jesus kommt, will sich verschenken, und wo sie es nicht will, ist es gehemmte, unterdrückte oder gar keine Liebe.