Tag 1: Treffen mit Familien und Missbrauchsopfern
Der erste Tag der kurzen Irlandreise von Papst Franziskus war geprägt von Treffen mit Ehepaaren und Familien sowie mit dem Thema Missbrauch. Anlass der Papstreise ist das neunte katholische Weltfamilientreffen, zu dem sich seit Dienstag nach Veranstalterangaben 37.000 Dauerteilnehmer versammelt haben. Nach Vorträgen, Podien und Workshops endet es am Sonntagnachmittag mit einer Messe im Phoenix Park, zu der bis zu 500.000 Gäste erwartet werden. Überschattet wird der Papstbesuch von einer neuerlichen Debatte über sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche.
Am frühen Samstagabend sprach Franziskus anderthalb Stunden mit acht "Überlebenden von Missbrauch durch Kleriker, Ordensleute und Institutionen, wie Vatikansprecher Greg Burke mitteilte. Der Vatikan hatte vorab mitgeteilt, dass es in Irland eine Begegnung mit Missbrauchsopfern geben würde, aber aus Rücksicht auf die Privatsphäre der Teilnehmer Zeit und Ort geheim gehalten. Unter den Opfern war Marie Collins, die von Franziskus in die vom ihm gegründete Kinderschutzkommission berufen worden war und unter dem Vorwurf mangelnder Kooperation im Vatikan austrat.
Autoren von "Die Adoptions-Maschine": Papst war schockiert
Zwei Repräsentanten des Opfer-Dachverbands "Coalition of Mother And Baby home Survivors" (CMABS), Paul Redmond und Clodagh Malone, die ebenfalls zu den Teilnehmern gehörten, teilten anschließend mit, der Papst habe schockiert auf ihre Berichte reagiert. Ihren Angaben zufolge starben Tausende Babys in katholischen Einrichtungen oder wurden gegen den Willen der Mütter zur Adoption freigegeben. Franziskus habe die Vertuschung solcher Vorgänge wörtlich "Kacke" genannt. Redmond und Malone berichteten, sie hätten dem Papst eine Ausgabe ihres Buchs "The Adoption Machine" ("Die Adoptions-Maschine") über die dunkle Geschichte von Irlands Mutter-Kind-Heimen übergeben.
Weiter appellierten sie nach ihren Angaben an Franziskus, den leiblichen Müttern Rückhalt zu geben, die noch heute unter Gewissensnöten litten. Außerdem solle der Papst die Frauenorden, die die Heime betrieben hätten, zur Verantwortung rufen, auch mit Blick auf finanzielle Entschädigungen.
Franziskus hatte in seiner ersten Rede in Dublin am Samstagmittag Scham über die "abscheulichen Verbrechen" katholischer Kleriker geäußert. Collins sagte anschließend einem Korrespondenten der US-Zeitschrift "National Catholic Reporter", die Ansprache des Papstes sei "enttäuschend" gewesen und habe "nichts Neues" gebracht.
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Am Samstagnachmittag betete Franziskus in einer Seitenkapelle der Bischofskirche St. Mary's für die Opfer sexuellen Missbrauchs. Die Kapelle ist seit 2011 dem Gedenken an von Priestern missbrauchte Minderjährige gewidmet. Neben dem Tabernakel brennt dort eine weiße Kerze auf einem Leuchter. Franziskus verweilte dort minutenlang schweigend.
Papst zum Familienleben: "Die Welt braucht eine Revolution der Liebe"
Der Papst traf in der Bischofskirche rund 370 junge Paare und ermutigte sie zum Ehe- und Familienleben. Die Welt brauche "eine Revolution der Liebe", die in den Familien beginnen solle, sagte er. Zugleich betonte er die Unauflöslichkeit des Ehesakraments. Die eheliche Liebe sei eine Reise, "die nach Gottes Plan eine Verpflichtung für das ganze Leben mit sich bringt".
Das Quengeln von Säuglingen während seiner Ansprache kommentierte Franziskus damit, dies sei "die schönste Musik und die schönste Predigt". Er nannte das Babygeschrei einen "Schrei der Hoffnung". Der Papst betonte, der wichtigste Ort für die religiöse Erziehung sei das Zuhause durch das Vorbild der Eltern. Der Glaube werde "am Familientisch, in den alltäglichen Gesprächen und durch die Sprache weitergegeben, die nur die beharrliche Liebe zu sprechen weiß". Dazu gehöre die Feier der christlichen Feste und gelebte Solidarität mit Leidenden.
Kinder erführen am Umgang der Eltern mit weniger Begünstigten, "wie man die Güter der Erde mit allen teilt". Die Eltern seien für ihre Kinder die "ersten Lehrer im Glauben". Zugleich nähmen die Kinder von ihnen auch den "Dialekt der Liebe" für ihr späteres Beziehungsleben an. Der Papst berichtete in einer Anekdote, ihm sei seit seinem fünften Lebensjahr unvergessen, wie sein von der Arbeit heimkehrender Vater seine Mutter küsste.
Als Problem für heutige Ehen bezeichnete Franziskus eine "Kultur des Vorläufigen". Diese schädige "die Wurzeln unserer Reifungsprozesse, unseres Wachstums in der Hoffnung und Liebe". Hingegen sei die Ehe einzigartig, insofern sie die Weitergabe des Lebens in gegenseitiger Verantwortung einschließe. Die Ehe nehme "auf besondere Weise am Geheimnis der ewigen Liebe Gottes teil", sagte er.
Franziskus nannte die Liebe einen "Traum Gottes für uns und die gesamte Menschheitsfamilie". "Gott hat einen Traum für uns und bittet uns, ihn uns zu Eigen zu machen. Habt keine Angst vor diesem Traum!", sagte der Papst. Eheleute würden dadurch fähig, sich "gegenseitig in Hoffnung, Stärke und Vergebung zu stützen, in den Momenten, wenn der Pfad beschwerlich ist und es schwierig wird, den Weg auszumachen".
Papst: Familien sind "Hoffnung der Kirche und der Welt"
Am Samstagabend folgte eine Großveranstaltung zum Welttreffen der Familien. Im Croke Park Stadium von Dublin kamen nach Veranstalterangaben rund 80.000 Menschen zu der Begegnung mit dem Papst. Begleitet war der Abend von farbenprächtigen Choreographien, eingängiger Musik und Lebenszeugnissen von Familien aus aller Welt, unter anderem aus dem Irak und Burkina Faso.
Franziskus würdigte dabei Familien als unverzichtbar für Kirche und Gesellschaft. Sie seien "die Hoffnung der Kirche und der Welt". Er ermutigte Eltern nachdrücklich, ihre Kinder so bald wie möglich taufen zu lassen. Die Kirche sei "die Familie der Kinder Gottes"; man müsse jeden "zum Fest einladen".
Der Papst rief christliche Familien dazu auf, die "Freude der Liebe Gottes" in die Welt auszustrahlen. Diese "Berufung zur Liebe und Heiligkeit" gelte für alle und sei überall gegenwärtig, wo Menschen sich Zuneigung, Vergebung und Barmherzigkeit schenkten. Jesus wohne in den Familien "in Einfachheit und Armut, wie er es im Haus der Heiligen Familie zu Nazareth getan hat", sagte der Papst.
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Schlichte Gesten der Vergebung seien das Fundament, auf dem ein christliches Familienleben aufbaue, mahnte Franziskus. Deshalb sollten Familien die Wörter "Entschuldigung", "Bitte" und "Danke" kennen. Der Papst gab den Rat, sich jeden Abend zu versöhnen. "Es gibt keine perfekte Familie", sagte er. Aber ohne die Gewohnheit der Vergebung werde eine Familie krank und breche allmählich zusammen.
Auch soziale Medien bewertete Franziskus nicht von vornherein als problematisch für Familien. Mit "Maß und Klugheit" benutzt, könne die neue Technologie helfen, "ein Netz von Freundschaften, Solidarität und gegenseitiger Unterstützung aufzubauen". Allerdings dürften virtuelle Kontakte nie auf Kosten von "Beziehungen aus Fleisch und Blut" gehen. Besonders mahnte er, den Schatz der Erfahrung und der Weisheit der älteren Generation zu nutzen. Eine Gesellschaft, die die Großeltern nicht wertschätze, sei "eine Gesellschaft ohne Zukunft".
Papst besucht Obdachlosenzentrum und bekommt Schlafsack
Zwischen den beiden Programmpunkten des Weltfamilientreffens besuchte der Papst ein Zentrum des Kapuzinerordens für Obdachlose und bedürftige Familien. Auf dem Weg zu dem für seine Reisen schon traditionellen sozialen Programmpunkt säumen Zehntausende die Strecke, winken mit Fahnen und jubeln ihm zu. In der Einrichtung sagte Franziskus, den Anklopfenden zu helfen, ohne viele Fragen zu stellen, kennzeichne die Ordensbrüder, sei aber auch ein Vorbild für jeden Priester, sagte der Papst. Zugleich mahnte er die Ordensgemeinschaft, ihrem Profil treu zu bleiben. Wenn sich Kapuziner von den Armen entfernten, scheiterten sie, sagte Franziskus.
An der Begegnung nahmen die zehn Kapuziner und rund 75 Besucher der Einrichtung teil. Den Gästen dankte der Papst für das Vertrauen, mit der sie die Hilfe annähmen. "Ihr seid die Kirche, ihr seid das Volk Gottes, Jesus ist mit euch", sagte er. Franziskus rief sie auf, für die Kirche, die Kapuziner und die Bischöfe zu beten, vor allem aber für die Priester. Vor dem Abschlusssegen bat er jeden darum, nicht nur an seine Lieben zu denken, sondern auch an seine Feinde. Auch die wolle er segnen, so der Papst. Zum Abschied bekam Franziskus von einem der Besucher einen Schlafsack geschenkt. (luk/KNA)