Jom Kippur: Der höchste jüdische Feiertag
An das vorangegangene Neujahrsfest Rosch Haschana schlossen sich die "Tage der Reue" an, die der Vorbereitung auf den höchsten jüdischen Feiertag dienen sollen: Jom Kippur. An ihm sind jüdische Gläubige angehalten zu beten, zu fasten und Almosen zu geben. Übersetzt bedeutet der Name "Tag der Sühne" und am ihm sollen die Tore des Himmels offen stehen.
Jom Kippur erinnert an Gottes Vergebung für den Glaubensabfall des Volkes Israel beim Auszug aus Ägypten. Das Buch Exodus erzählt, dass die Israeliten ein goldenes Kalb anfertigten und anbeteten, während Mose auf dem Berg Sinai die Zehn Gebote empfing. Daraufhin stieg Mose wieder auf den Berg hinauf, um für das Volk um Vergebung zu bitten. Nach vierzig Tagen kehrte er zurück - am zehnten Tag des jüdischen Monats Tischri, dem Jom Kippur. Zur Zeit des Jerusalemer Tempels baten die Israeliten Gott bei der jährlichen Feier dieses Tages um Vergebung für alle Sünden. Ein Ziegenbock wurde sinnbildlich mit den Verfehlungen des Volkes beladen und in die Wüste geschickt (Lev 16) – daher auch heute noch unser "Sündenbock".
25-stündiges Fasten
Bis in die Gegenwart steht der Feiertag ganz im Zeichen der Umkehr und Versöhnung. Juden versuchen in den vorausgehenden "Tagen der Reue" mit allen Menschen Frieden zu schließen, indem sie anderen vergeben und auch selbst um Verzeihung bitten. Der Vergebung durch Gott geht das gegenseitige Verzeihen der Gläubigen voraus. Almosen sind Ausdruck der eigenen Reue und Sorge um die Mitmenschen. Viele Juden nehmen vor Jom Kippur auch ein rituelles Bad, um sich auf den Feiertag vorzubereiten.
Nach einem festlichen Familienessen am Abend beginnt mit dem Sonnenuntergang das etwa 25-stündige Fasten. Wer es gesundheitlich kann, soll in dieser Zeit weder essen noch trinken. Nichts soll in dieser heiligen Zeit von der Umkehr zu Gott ablenken: keine Arbeit, kein Waschen und keine Intimkontakte. Juden tragen an Jom Kippur festliche weiße Kleidung. Die Farbe symbolisiert Reinheit, erinnert aber auch an die weißen Totengewänder. Einige Gläubige legen zu Jom Kippur gleich ihr weißes Totenhemd an, in dem sie später einmal begraben werden. Da Leder als Luxussymbol am "Tag der Sühne" ebenfalls verboten ist, weichen viele Juden auf weiße Sport- oder Stoffschuhe aus.
Das gemeinsame Abendgebet in der Synagoge eröffnet den Feiertag. Wichtiger Bestandteil ist das feierlich gesungene "Kol Nidre", was übersetzt "Alle Gelübde" heißt. Dieses Gebet wird dreimal, erst leise, dann immer lauter vorgetragen. Es ist ein Widerruf aller persönlicher Gelübde gegenüber Gott, die unwissentlich oder unüberlegt abgelegt wurden. Das "Kol Nidre" war ein beliebtes Ziel für antijüdische Polemiken. Den Juden wurde fälschlicherweise vorgeworfen, durch dieses Gebet alle Verträge für ungültig zu erklären und damit ihre christlichen Geschäftspartner zu betrügen. Die Anfänge dieses Gebets werden auf das Mittelalter datiert, als verfolgte Juden nach Wegen suchten, die unter Zwang abgelegten Schwüre für nichtig zu erklären. Heute trägt das "Kol Nidre" der menschlichen Schwachheit Rechnung und ermöglicht neue Wege.
Vom Schuldbekenntnis bis zum Jubel
Den Feiertag selbst verbringen viele Juden fast durchgängig in der Synagoge. Hier finden neben verschiedenen Gottesdiensten auch Lesungen und Vorträge statt. Dazwischen gibt es Zeit für das persönliche Gebet. An Jom Kippur wird gemeinsam das Schuldbekenntnis für das ganze Volk gesprochen. Das Judentum betont, dass die Verfehlungen Einzelner die ganze Gemeinde betreffen. Als Zeichen der Gegenwart Gottes steht der Toraschrein an Jom Kippur offen. Ebenso offen sollen die Tore des Himmels für die Gebete der Gläubigen stehen.
Der Tradition nach werden am jüdischen Neujahrsfest Rosch Haschana die Namen der Menschen in das himmlische Buch des Lebens, das Sefer Chajjim, eingetragen. Die darauffolgenden "Tage der Reue" geben letzte Möglichkeiten zur Veränderung. Am Ende des Jom Kippur sollen sich die Tore des Himmels wieder schließen und das himmlische Buch des Lebens versiegelt werden. Deshalb wünschen sich Juden zu Jom Kippur "Chatima Towa!", also eine "Gute Besiegelung".
Nach dem abschließenden "Versiegelungsgebet" bricht Jubel aus: Es ist die hoffnungsvolle Freude, dass Gott die Umkehr annimmt, die Sünden vergibt und ein neues Jahr mit Glück versiegelt. In der Synagoge wird gesungen und getanzt. Das Schofarhorn wird geblasen und die Gläubigen wünschen sich die berühmten Worte: "Nächstes Jahr in Jerusalem!". Gott schenkt dem Einzelnen und der ganzen Gemeinde einen Neuanfang. "Chatima Towa!"
Der Artikel erschien erstmals am 18. September 2018 und wurde am 27. September 2020 aktualisiert.