"Ein Abkommen zum jetzigen Zeitpunkt wäre heikel"
Seit Monaten gibt es Gerüchte über ein mögliches Abkommen zwischen China und dem Vatikan, zuletzt wurde sogar spekuliert, dass Ende September eine Delegation aus dem Kirchenstaat nach China reist. Katharina Wenzel-Teuber ist Sinologin und Chefredakteurin der Zeitschrift "China heute". Sie erklärt, warum nach Jahrzehnten vergeblicher Verhandlungen jetzt zu einer Annäherung kommen könnte, wie das zur verschärften Religionspolitik in China passt und warum manche meinen, dass sich der Vatikan von China über den Tisch ziehen lässt.
Frage: Frau Wenzel-Teuber, haben Sie Informationen über den aktuellen Stand der Verhandlungen?
Wenzel-Teuber: Ein Abkommen um die Bischofsernennungen ist wohl schon ausgehandelt. Allerdings gab es schon öfter Gerüchte, dass die Unterzeichnung kurz bevorsteht, die sich dann nicht bewahrheitet haben. Deswegen glaube ich erst, dass das Abkommen geschlossen ist, wenn ich die entsprechende Meldung vor mir liegen habe. Allerdings sind die Anzeichen dieses Mal schon konkreter als in früheren Fällen: Es berichten einige westliche Journalisten mit sehr guten Kontakten in den Vatikan davon. Und auch die halb offizielle und parteinahe "Global Times" in China hat darüber geschrieben.
Frage: Warum kommt es nach jahrzehntelangen Bemühungen ausgerechnet jetzt zu einer Annäherung?
Wenzel-Teuber: Der Konflikt zwischen China und dem Vatikan schwelt in der Tat schon sehr lang. Auf staatlichen Druck wurden dort seit 1958 auch Bischöfe ohne Anerkennung des Vatikans geweiht. Es gab seither immer wieder Gespräche, und schon unter Papst Benedikt XVI. gab es Verhandlungen um ein offizielles Abkommen zur Bischofsernennung, die dann unterbrochen wurden. Unter Franziskus wurden sie wieder aufgenommen. Er setzt in seinem Pontifikat ja sehr auf Dialog und Versöhnung. Außerdem will er den Ortskirchen eine größere Eigenständigkeit geben. Und er ist Jesuit – auch das spielt eine wichtige Rolle.
Frage: Warum?
Wenzel-Teuber: Die Jesuiten waren im 17. Jahrhundert als Missionare in China. Sie wollten sich der chinesischen Kultur, den Sitten und Riten annähern. Sie hatten damals guten Kontakt zu den konfuzianischen Gelehrten, einige sogar zum Kaiserhof. Noch heute sind die Jesuiten in China sehr anerkannt. Von daher gehört es wahrscheinlich zu den Genen des Ordens, sich um eine Lösung zu bemühen.
Frage: Birgt das Abkommen auch Risiken?
Wenzel-Teuber: Ja. Von den rund 100 chinesischen Bischöfen sind derzeit sieben illegitime Bischöfe, die ohne päpstliche Anerkennung geweiht und teilweise exkommuniziert sind. Zweien von ihnen sagt man Beziehungen zu einer Frau und eigene Kinder nach. Dennoch hat China wohl auf ihre Anerkennung bestanden. Und nach den Berichten ist der Papst wohl auch bereit, dem nachzukommen, da alle eine Art Reueschreiben an den Vatikan geschickt haben. Hier hat sich China also durchgesetzt. Und diese Bischöfe werden wohl nicht nur ihre Titel haben, die Regierung will auch, dass sie wirklich Diözesen leiten.
Frage: Aber der Vatikan kann doch keine Bischöfe anerkennen, die solch einen problematischen Lebenswandel haben?
Wenzel-Teuber: Wie gesagt, sie haben den Papst in Reue um Anerkennung gebeten und müssten nun eigentlich auch ihre Lebensweise ändern. Ob sie das tun, wissen wir nicht. Aber natürlich wird die Anerkennung dieser Bischöfe sowohl im von der Regierung anerkannten Teil der chinesischen Kirche als auch in der Untergrundkirche Unverständnis auslösen. Es gibt aber noch weitere Probleme.
Zur Person
Katharina Wenzel-Teuber ist Chefredakteurin der Zeitschrift "China heute". Die Zeitschrift wird vom gemeinnützigen China-Zentrum herausgegeben, das auf dem Gelände der Steyler Missionare in Sankt Augustin beheimatet ist. Der Verein wurde 1988 von Mitgliedern des Deutschen Katholischen Missionsrats gegründet, Zweck des Zentrums ist nach eigenen Angaben die "Förderung von Begegnung und Austausch zwischen den Kulturen und Religionen im Westen und in China“.Frage: Welche?
Wenzel-Teuber: Mit dem Abkommen würde der Vatikan akzeptieren, dass künftig Bischöfe in China zwar von diözesanen Gremien gewählt werden, aber unter Aufsicht der Behörden, die in der Regel versuchen, die Wahl nach ihren eigenen Interessen zu beeinflussen. Der Papst hätte dann nur noch das Recht, der Personalie zuzustimmen oder sie abzulehnen. Neu wäre dann, dass der Papst aus chinesischer Sicht ÜBERHAUPT etwas zu sagen hätte. Er hätte aber keine Möglichkeit mehr, eigene Kandidaten vorzuschlagen. Das zweite Problem: Es gibt in China 36 Untergrundbischöfe, die vom Papst, aber nicht von der Regierung anerkannt sind. Um die geht es in dem Abkommen gar nicht, sie wären also weiterhin von China nicht anerkannt. Folglich würde der Druck auf die Untergrundkirchen sehr wahrscheinlich zunehmen. Die Behörden könnten dann argumentieren, dass die Untergrundkirche wegen des Abkommens illegtim und überflüssig ist. Die Frage der Untergrundbischöfe will der Vatikan in künftigen Gesprächen verhandeln.
Frage: Lässt sich der Vatikan über den Tisch ziehen?
Wenzel-Teuber: Das meinen manche Beobachter. Realistischerweise hätte der Papst wohl auch keine Handhabe einzuschreiten, sollte sich die chinesische Seite nicht an solch ein Abkommen halten und eigene Kandidaten ohne Zustimmung des Papstes durchdrücken. Deswegen soll es – soweit wir wissen – sich auch erstmal um ein vorläufiges Abkommen handeln, das dann nach einigen Jahren wieder überprüft wird.
Frage: Was haben denn dann die Christen in China überhaupt von einem solchen Abkommen?
Wenzel-Teuber: Die Spaltung der Kirche hat in China viel Leid hervorgebracht, selbst in Familien hinein. Wenn ein Ehepartner im Untergrund und einer in der offiziellen Kirche ist, dann können sich Fragen stellen: Können wir zusammen zur Messe gehen, wie leben wir unseren Glauben gemeinsam? Das Ziel des Abkommens ist es, die Einheit der chinesischen Kirche und auch die Einheit mit Rom zu wahren. Dann hätten sich solche Probleme erledigt und die chinesischen Katholiken stünden nicht immer in einer Opposition zum Staat.
Frage: Wie passt das zusammen mit den aktuellen Verschärfungen in der chinesischen Religionspolitik?
Wenzel-Teuber: Das macht ein Abkommen nochmal besonders heikel. Seit dem Frühjahr hat sich die Religionspolitik noch verschärft. Es gibt neue Vorschriften für religiöse Angelegenheiten mit noch mehr Verboten und Strafen. Und die Verbote werden auch konsequenter als früher durchgesetzt. Grauzonen, wo nochmal ein Auge zugedrückt wurde, verschwinden zunehmend. Es kommt immer häufiger vor, dass staatlich nicht genehmigte Kirchen und Gebetsstätten einfach geschlossen oder abgerissen werden. Einem Priester, der eine nicht genehmigte Wallfahrt organisierte, sollte neulich gleich der Status eines religiösen Amtsträgers entzogen werden. Solche Übergriffe haben zugenommen.
Linktipp: Kardinal: China-Vatikan-Vereinbarung kommt
Darf die chinesische Regierung bald Bischöfe ernennen - mit grünem Licht aus Rom? Ein baldiges Abkommen zwischen Peking und Heiligem Stuhl hält der frühere Erzbischof von Hongkong jedenfalls für wahrscheinlich.Frage: Warum wird ausgerechnet in so einem Klima ein Abkommen verhandelt?
Wenzel-Teuber: Manche im Vatikan meinen wohl, dass es zwar kein sehr gutes Abkommen ist, aber dass die Situation in 10, 20 Jahren noch viel schwieriger sein könnte. Es sieht jedenfalls nicht so aus, dass sich in naher Zukunft die Religionspolitik wieder lockert.
Frage: Unter dem Strich: Wäre es dann nicht besser, wenn es kein Abkommen gibt?
Wenzel-Teuber: Ich denke, man muss schon mit China verhandeln. Es wird sich zeigen, ob ein solches Abkommen zum jetzigen Zeitpunkt für die Kirche in China hilfreich ist. Es gab ja schon früher informelle Mechanismen zwischen China und dem Heiligen Stuhl, die dazu geführt haben, dass Bischöfe von beiden Seiten anerkannt wurden. Derzeit betrifft das ja fast 60 Bischöfe dort. Aber vielleicht war China aber auch einfach nicht mehr bereit, diesen Weg weiter zu gehen.
Frage: Warum wächst das Christentum in China trotz dieser schwierigen Lage?
Wenzel-Teuber: Ich glaube, die Menschen suchen einen Sinn in ihrem Leben. China hat ja wirklich wilde Zeiten durchlaufen mit Kampagnen verschiedenster Art. Da ist viel an traditionellen Werten kaputt gegangen. Und auch wegen der großen gesellschaftlichen Umbrüche wie der Urbanisierung sind viele Menschen auf der Suche nach Halt und Gemeinschaft. Das bieten die christlichen Kirchen.