Die Zwillingspriester
"Wir wurden oft die drei May-Patres genannt", erklärt Karlheinz May (80), der im Redemptoristenkloster in Bonn lebt. Doch er ist nicht der einzige in der Familie. Auch sein Zwillingsbruder Hermann-Josef und sein jüngerer Bruder Gerhard haben sich für ein geistliches Leben entschieden. Wenn er gefragt wird, warum gleich drei Brüder in der Familie Priester geworden sind, antwortet er immer knapp: "Wir kamen aus demselben Mistbeet". Er lacht.
Regelmäßig feiert Pater May mit seinen Mitbrüdern, Ordensschwestern und Gästen in der kleinen Hauskapelle des Klosters Gottesdienst. 22 Priester und zwei Laienbrüder leben zur Zeit hier. Nur fünf der Mitbrüder sind unter 70 Jahre alt. Die meisten Mitbrüder sind in der Seelsorge tätig. Im Kloster hängen schöne Wandteppiche und Bilder. Vieles stammt aus Indonesien, in denen zwei seiner Brüder als Missionare tätig waren, berichtet May. Nicht zu vergessen der vierte Bruder Paul-Winfried, der als Nachzügler im Krieg geboren wurde.
Rosenkranz-Beten im Bombenhagel
Geboren und aufgewachsen sind die vier May-Brüder in dem Hunsrück-Bauerndorf Schillingen nahe bei Trier. Karlheinz May erinnert sich an den Zweiten Weltkrieg. Während die Bomben fielen, haben er und seine Brüder oft stundenlang mit dem Rosenkranz in der Hand im Bunker gesessen. Die Mutter war alleinerziehend, der Vater 1943 in der Ukraine vermisst. "Was haben wir gebetet, dass Vater wiederkäme. Aber unsere Gebete wurden nicht erhört." Aber das hat unserem Glauben keinen Abbruch getant, meint May.
Not lehrt beten. Die vollen Kirchen während des Krieges und in den ersten Nachkriegsjahren waren der Beweis dafür, sagt der Ordensmann. Mit der Verbesserung der Lebensverhältnisse und dem steigenden Wohlstand seien die Kirchen mit den Jahren leerer geworden, erinnert er sich. "Doch unserer Mutter war der Sonntag immer heilig, sie sang viel mit uns. Noch bevor wir Buben in die Schule gingen, konnten wir einige Kirchenlieder auswendig. Dass drei ihrer vier Söhne einmal Priester werden könnten, hätte sie damals wohl nicht gedacht", meint May schmunzelnd. Sie hätte zu gerne eine Schwiegertochter gehabt.
Doch schon ein Onkel, Pater Anton Eibel war Redemptorist und Missionar in Argentinien. Er hat uns Neffen mit seiner Begeisterung für die Mission angesteckt, ist sich May sicher. "Hermann und ich wollten auch Missionare werden", ergänzt er. Doch zuerst ging es für die Zwillingsbrüder aufs Ordensgymnasium der Redemptoristen nach Bonn. "Schon im Internat wurden wir auf Redemptorist getrimmt", erinnert er sich im Rückblick. Doch seine Fähigkeit zur Anpassung war damals wenig ausgeprägt. Sein Freiheitsdrang habe ihm immer wieder Strafen eingebracht, erzählt May. Er habe es einfach schlecht hinnehmen können, wenn ein unerleuchteter Präfekt, wie er sagt, die Schüler an kurzer Leine führte.
Später wurde es allerdings besser und ich fand Freude am Lernen, so May. Er könne sich noch gut daran erinnern, dass sein Bruder Hermann-Josef viel Zeit in der Klosterbibliothek verbracht habe. "Aus ihm wurde schließlich später auch ein Professor", erzählt der Pater. Man hört den Stolz in seiner Stimme. Er hingegen spielte lieber Fußball oder zeichnete. Damals konnte er sich sogar noch vorstellen, eines Tages eine eigene Familie zu haben. "Aber ich wäre meines Lebens nicht froh geworden, hätte ich den Ruf Gottes ausgeschlagen", so May.
Viel zu jung für eine tragende Lebensentscheidung
Nach dem Abitur kamen die Zwillingsbrüder ins einjährige Noviziat nach Trier. Bei ihrer Einkleidung waren sie 20 Jahre alt. Viel zu jung für eine tragende Lebensentscheidung, meint May heute. "Mehrere Male war ich kurz davor das Handtuch zu werfen und wieder aus dem Kloster auszutreten", gibt er zu. "Aber ich wäre meines Lebens nicht mehr froh geworden, hätte ich den Ruf Gottes ausgeschlagen." Nach der eweigen Profess kehrten Frieden in seine Seele ein. Nie mehr habe er danach ernsthaft an seiner Berufung gezweifelt. Nun ist er 60 Jahre im Orden, nald 55 Jahre Priester. Während er erzählt, zeigt er alte Fotos, die ihn als jungen Ordensmann im Kreis seiner Brüder zeigen. Er lässt sich beim Sprechen viel Zeit, während er die Erinnerungen betrachtet.
"Unsere Mutter war zuerst dagegen, dass wir Priester werden, sie wünschte sich doch so sehr eine Schwiegertochter", sagt er, während er ein Familienfoto in die Hand nimmt. Der jüngste Bruder Paul-Winfried wurde Lehrer und brachte die ersehnte Schwiegertochter nach Hause.
Nach dem Noviziat, also zu Beginn des Studiums der Theologie und Philosophie in Hennef-Geistingen legten die Zwillinge im Vertrauen auf Gott, wie May es nennt, ihre zeitlichen Gelübde für drei Jahre ab. Später, etwa zwei Jahre vor der Priesterweihe folgte die ewige Profess. Damit wurden sie Mitglieder der "Kongregation vom heiligsten Erlöser" auf Lebenszeit. 1964 wurden die Zwillinge in der Klosterkirche in Geistingen zu Priestern geweiht. Zur Primiz, die in ihrer Heimatgemeinde in Schillingen stattfand, haben sich die Brüder ein besonderes Pauluswort ausgesucht. Es lautet: "Wir sind nicht die Herren eures Glaubens, sondern Diener eurer Freude". Auch der jüngere Bruder Gerhard wählte diesen Spruch vier Jahre später zu seiner Primiz. Er wurde ebenfalls Redemptorist.
Nach dem Abschlussexamen in Hennef trennten sich die Wege der Zwillingsbrüder. Hermann-Josef promovierte und wurde nach einer kurzen Zeit als Dozent auch Missionar auf Sumba in Indonesien, wie zuvor schon sein jüngerer Bruder Gerhard. Karlheinz erhielt eine Kaplanstelle in einer hessischen Diasporagemeinde. "Ich war aber auch als Missionar vorgesehen", erinnert er sich. Ein Arzt erklärte ihn aber damals für bedingt tropentauglich. Das fand er gut, denn so konnte er auch in der Nähe der Mutter bleiben. Schließlich brauchte man auch in Deutschland gute Priester, erklärt er seine Entscheidung von damals.
Seine Brüder aber habe er mehrfach in Indonesien besucht und ihre Arbeit dort mit Geldspenden unterstützt. "Ich war immer stolz auf meine beiden Sumba-Brüder", sagt er. Gerhard sei in den Hungerperioden oft kilometerweit mit seinem Motorrad durch den Urwald gefahren, um den Menschen Nahrungsmittel zu bringen. Er war der geborene Gemeindepfarrer, meint May, ein Freund der armen und kleinen Leute. Um ein weit entlegenes Dorf zu erreichen, war er auch schon mal zehn Stunden zu Fuß unterwegs. Sien Zwillingsbruder Hermann habe mehr als 1.300 Brunnen bauen lassen, damit war die Wasserversorgung Sumbas gewährleistet. Er hat auch die zentrale Sozial- und Bildungsstätte der Diözese Sumba errichtet, ein Zentrum mit Ausstrahlung, meint May. Außerdem habe sein Zwillingsbruder auch den ersten Laienverband Indonesiens, den Kolpingverband dort eingeführt und über 100 Kolpingfamilien auf den Nachbarinseln gegründet. "Meine Brüder waren sehr beliebte Missionare in Indonesien", ist sich Pater Karlheinz May sicher.
Der tödliche Motorradunfall
Als Karlheinz May 1988 neuer Stadtpfarrer in Siegen wurde, verunglückte der jüngere Bruder Gerhard kurz vor seinem 50. Geburtstag tödlich bei einem Motorradunfall auf Sumba. "Es war ein Sonntagmorgen", erinnert sich May. "Das war schlimm, als ich die Nachricht übermittelt bekam." Bis heute habe er seinen den Tod nicht überwunden. "Mein Herzensbruder" nennt er ihn liebevoll. "Wir standen uns sehr nahe." Sein Zwillingsbruder Hermann habe ihm damals zum Trost einen langen Brief geschrieben, der mit dem Satz endete: "Wenn einer vom Motorrad fällt, fällt er nicht aus der Hand Gottes".
"Ein halbes Jahr nach Gerhards Tod verstarb auch unsere Mutter", erzählt Karlheinz weiter. Er hält inne, schweigt und blickt nachdenklich auf die Familienfotos, die vor ihm auf dem Tisch liegen. Seit bald 60 Jahren ist er nun Ordensmann und seit 55 Jahren Priester. Er war in zahlreichen Gemeinden von vier Bistümern als Kaplan, Bezirksvikar, Jugend-, Studenten- und Gemeindepfarrer sowie als Leiter einer Bildungshauses und später als Missionsprokurator für die indonesische Vizeprovinz des Ordens unterwegs und zuletzt in drei Gemeinden Hilfspriester. Nach vielen Umzügen ist er nun wieder in Bonn gelandet. "Ich wollte nie Karriere machen", stellt er nüchtern fest. Er mochte die Abwechslung, suchte stets neue Herausforderungen. "Sobald sich irgendwo Routine eingeschlichen hatte, habe ich etwas Neues begonnen", so May.
Er blickt nachdenklich auf die Fotos vor ihm auf dem Tisch. Viele zeigen ihn in Soutane. Heute trägt er lieber bunte Hemden. Er sagt, dass er die Entscheidung, als Priester und Ordensmann zu leben, nie grundsätzlich in Frage gestellt habe. Seinen Dienst habe er immer als Miteinander von Klerikern und Laien verstanden.
Rückkehr von Sumba nach Deutschland
Vor kurzem ist sein Zwillingsbruder Hermann von der Insel Sumba nach Deutschland zurückgekehrt. Er sei gesundheitlich angeschlagen und will sich ärztlich behandeln lassen. Weil er in einem Seniorenheim der Redemptoristen in Köln untergekommen ist, besucht ihn sein Zwillingsbruder Karlheinz nun regelmäßig. "Endlich haben wir die Zeit füreinander, die wir all die vielen Jahre nicht hatten. So nahe standen wir uns lange nicht", freut der sich.
Damit die Geschichte der drei May-Patres nicht vergessen wird, hat er alle Erinnerungen aufgeschrieben und daraus ein kleines Büchlein mit vielen Fotos drucken lassen. Als sein Zwillingsbruder und er in Würzburg gemeinsam ihr Goldenes Priesterjubiläum feierten, verteilte er das Buch an Freunde und Familienmitglieder. "So lebt etwas von unserem Wirken weiter", ist sich May sicher. "Ich habe nie weiter als bis zu meiner Nasenspitze geschaut", meint der Ordensmann, aber für ein gutes Leben voller Gottvertrauen habe es gereicht. Er lacht fröhlich und legt die Fotos zurück in den Umschlag.
Pater Karlheinz May ist am 17. Mai 2023 verstorben. Sein Bruder, Hermann May, zwei Jahre zuvor.