Katholische Verbände fordern grundlegend veränderte Kirche
Mit Blick auf die Missbrauchsstudie fordert das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) strukturelle Reformen in der Kirche sowie ein verändertes Verständnis von Sexualität. "Nicht erst nach dieser Studie sind wir davon überzeugt, dass die Kirche ihr Verständnis von Sexualität, insbesondere auch von Homosexualität, überdenken muss", erklärte Präsident Thomas Sternberg vor Veröffentlichung der Studie am Dienstag in Bonn.
Er kritisierte ein überholtes Amts- und Kirchenverständnis, das Missbrauch begünstigt habe. Deshalb müssten "klerikale Führungs- und Leitungsstrukturen" aufgebrochen und synodale Elemente gestärkt werden. Auf allen Ebenen müssten gewählte Frauen und Männer mitentscheiden können. Die "männlich strukturierte Aus- und Fortbildung des Klerus" und die gesamte Leitungs- und Ämterstruktur der Kirche müssten weiblicher werden.
"Flickenteppich" unterschiedlicher Präventionsstrategien
Konkret forderte der ZdK-Präsident die Schaffung einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit auf der Ebene der Bischofskonferenz. Zudem solle eine unabhängige Kommission eingerichtet werden, die die Fortschritte im Kampf gegen Missbrauch in den Diözesen regelmäßig prüft und einen jährlichen Bericht gibt, der veröffentlicht wird.
Sternberg kritisierte einen Flickenteppich unterschiedlicher Präventionsstrategien in den 27 Bistümern. Es gebe eine Bandbreite von entschlossenem Handeln bis zu Relativierungen oder Abwarten. "Wir halten das für untragbar." Der ZdK-Präsident kritisierte zudem, dass die Sanktionierung von Fehlverhalten von Geistlichen in den vergangenen Jahrzehnten ausschließlich in innerkirchlichen Verfahren erfolgt sei. "Alle die aufgezeigten Straftaten gehören in die Untersuchung der Staatsanwaltschaften und öffentlichen Gerichtsbarkeit", forderte er.
Der Familienbund der Katholiken forderte eine verstärkte Präventionsarbeit für Familien und neue Ansätze in der Sexualmoral der Kirche. Eine grundlegende Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs sei nur möglich, wenn sich die Kirche einer offen geführten Sexualitätsdebatte stelle, sagte Präsident Stefan Becker.
BDKJ: Wertschätzend mit Sexualität umgehen, Präventionsschulungen absichern
Der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) fordert ein "Aufbrechen des Klerikalismus und der patriarchalen Strukturen, die Machtmissbrauch fördern". Es brauche ein partnerschaftliches Miteinander, betont der BDKJ-Bundesvorsitzende Thomas Andonie. Außerdem sei ein anderer Umgang mit Sexualität wichtig: "Sexualität ist Teil unseres Lebens. Wir müssen alle lernen, wertschätzend mit ihr umzugehen und unsere eigenen Grenzen und die unseres Gegenübers zu kennen. Nur auf dieser Grundlage kann eine Abgrenzung zur Gewalt stattfinden", so Andonie weiter.
Grundsätze wie Achtung von Würde und Grenzen des einzelnen, Einvernehmlichkeit und Gegenseitigkeit seien bereits jetzt Grundlage der sexualpädagogischen Angebote der Mitgliedsverbände des BDKJ. Schulungen zur Prävention sexualisierter Gewalt gehörten schon seit Jahren zum Alltagsgeschäft in der Jugendarbeit. Dafür brauche es "eine dauerhafte strukturelle Absicherung".
Auch bei der Priesterausbildung sei eine bessere Auseinandersetzung mit Sexualität nötig: "Wir wissen, dass es in einigen Priesterseminaren in den letzten Jahren Fortschritte gab, Sexualität stärker zum Thema zu machen. Wir sehen hier aber trotzdem noch Nachholbedarf, gerade im Bezug darauf wie offen über bestimmte Fragen der Sexualmoral gesprochen werden kann."
GKP: Auf Deutungshoheit verzichten
Die Gesellschaft Katholischer Publizisten (GKP) lobte die aufklärerische Funktion von Medien bei der Aufarbeitung des Missbrauchs. "Nur mit rückhaltloser Offenheit und Transparenz wird es der katholischen Kirche gelingen, sexualisierte Gewalt in ihren Reihen mit Ursachen und Hintergründen aufzuarbeiten und Vertrauen zurückzugewinnen", betonte der Vorsitzende Joachim Frank. "Die Bischöfe sind schlecht beraten, wenn sie auf ihre Deutungshoheit pochen und den Informationsfluss kontrollieren wollen", sagte er. "Zu lange war kirchliche Kommunikation davon geprägt, Probleme zu verschweigen."
Die Kirche profitierte davon, wenn Medien und Öffentlichkeit sie dazu drängten, sich ehrlich zu machen, fügte Frank hinzu. "Im Vergleich mit anderen Institutionen hat die Kirche bereits wichtige Schritte nach vorn gemacht. Eine Vorreiterrolle stünde ihr auch künftig gut an - auch angesichts eklatanter Mängel und Versäumnisse in anderen Ortskirchen wie im Vatikan."
Die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) betonte, dass tiefgreifende Reformen unvermeidlich seien. Es müsse endlich deutlich werden, dass die katholische Kirche veränderungswillig sei, sagte die Bundesvorsitzende Mechthild Heil. Zentrale Schritte seien eine strukturelle Erneuerung, die deutlich mehr Frauen den Zugang zu Leitungsfunktionen ermögliche. Nicht zuletzt müsse die Bischofskonferenz endlich den konstruktiven Austausch zu Themen wie Aus- und Weiterbildung von Priestern, Ämter von Frauen in der Kirche und zeitgemäße Sexualethik verstärken.
Der Katholische Deutsche Frauenbund (KDFB) erklärte, Gebete, Bekundungen von Scham und Entschuldigungen seien ein erster Schritt, reichten aber bei weitem nicht aus. "Wir erwarten von der Kirche, dass künftig jedem Hinweis auf Missbrauch nachgegangen und nachgewiesener Missbrauch durch kirchliche und staatliche Institutionen strafrechtlich verfolgt wird", erklärte die KDFB-Präsidentin Maria Flachsbarth. "Dabei muss auch überprüft werden, welche Rolle die Priesterausbildung, der Zölibat, die Haltung der Kirche zur Sexualität und das in vielen Teilen des Klerus immer noch gestörte Verhältnis zu Frauen spielen." (tmg/KNA)