Nach Jahrhunderten wiederentdeckt!

Was wirklich in Galileis verschollenem Brief stand

Veröffentlicht am 11.10.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Bild: © KNA

London ‐ Galileo Galilei und die Inquisition: keine Sternstunde in der Geschichte von Kirche und Wissenschaft. Alles begann mit einem Brief des Forschers – doch was wirklich darin stand, war jahrhundertelang unbekannt. Bis jetzt.

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Einmal den Jackpot knacken - für Wissenschaftler bedeutet das, im Archiv ein verloren geglaubtes Dokument zu finden, das seit Jahrhunderten gesucht wird. Genau das ist dem italienischen Wissenschaftshistoriker Salvatore Ricciardo von der Universität Bergamo gelungen. Als er im August in der Bibliothek der Royal Society in London forschte und im Online-Katalog stöberte, stieß er auf einen siebenseitigen Brief des italienischen Astronomen Galileo Galilei von 1613. Dieser markiert den Beginn seiner langen Auseinandersetzung mit der Inquisition.

Am 21. Dezember 1613 schrieb Galilei an den Pisaner Mathematiker Benedetto Castelli und legte erstmals seine Argumente dar, warum sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt. Damit lehnte er nicht nur das von der Kirche vertretene geozentrische Weltbild ab; er sprach der Kirche auch die Autorität in Sachen Astronomie ab - forderte also die Freiheit der Wissenschaft. Aus diesem wiederentdeckten Brief lässt sich erkennen, wie der Wissenschaftler versuchte, den absehbaren Konflikt mit der Kirche zu begrenzen. Die internationale Fachzeitschrift "Nature" hat jetzt exklusiv von dem spektakulären Fund berichtet.

Schadensbegrenzung war nötig

Galileis Brief wurde, wie damals in der wissenschaftlichen Community üblich, vielfach kopiert und umhergeschickt. Eine dieser Kopien landete bei dem Dominikaner Niccolo Lorini, der den Text sofort voller Entsetzen an die Inquisition weiterreichte. Diese Kopie befindet sich noch heute im Vatikanischen Geheimarchiv.

Für Galilei war klar, dass Schadensbegrenzung dringend nötig war. Denn erst 1600 war der Dominikaner und Mathematiker Giordano Bruno wegen Häresie in Rom auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden. Ebenso wie er stand auch Galileo hinter dem Kopernikanischen Weltbild, dass sich nämlich die Planeten und damit auch die Erde um die Sonne drehen und nicht umgekehrt.

Ein sich drehender Globus.
Bild: ©picture alliance/CHROMORANGE / Bilderbox

"Und sie dreht sich doch" – Das soll, so geht zumindest die Legende, Galilei gemurmelt haben, nachdem er vor dem Inquisitionsgericht widerrufen hatte.

In einem ersten Schritt bat Galilei den Mathematiker Castelli, ihm den Originalbrief von 1613 zurückzuschicken. Im Februar 1615 schrieb Galilei an den römischen Kleriker Piero Dini, dass Lorini die Kopie seines Briefes in böswilliger Absicht bearbeitet habe, damit er als Häretiker verurteilt würde. Er fügte eine Kopie bei und behauptete, dass es sich hierbei um die korrekte Version handelte. Letzterer wurde dann wieder vielfach abgeschrieben - und existiert heute noch in verschiedenen Kopien.

Glatte Lüge

Historiker hatten sich schon immer gefragt, welcher Brief denn nun am nächsten am Original wäre: die Kopie, die Lorini an die Inquisition gab, oder die Version Galileis an Dini. Nun liegt das Original wieder vor - und anhand der vielen nachträglichen Durchstreichungen, Ersetzungen und Anmerkungen Galileis ist Folgendes klar: Der Dominikaner Lorini hat eine korrekte Kopie des Originals an die Inquisition gegeben.

Galileos Bemerkung, dieser habe böswillig Änderungen eingefügt, waren also glatt gelogen und dienten allein dem Selbstschutz. Anhand der Bearbeitungen des Originals ist zu erkennen, dass Galileo selbst seine Aussagen im Ton zu entschärfen versuchte, um sich zu schützen. Diese Version brachte er dann selbst über Dini in Umlauf.

Hausarrest statt Kerkerhaft

Für den Moment hatte Galileis Schadenskontrolle gewirkt. 1616 erhielt er von Kardinal Robert Bellarmin zwar eine erste Warnung, nicht mehr öffentlich das Kopernikanische Weltbild zu verteidigen sondern nur als Hypothese zu diskutieren. Daran hielt er sich. 1632 kam es aber nach Veröffentlichung seines Buches "Dialog der beiden Weltsysteme" zu einem Prozess vor der Inquisition. Um dem Scheiterhaufen zu entgehen, verlas er ein Dokument der Richter, in dem er seiner Lehre abschwor. Statt Kerkerhaft konnte Galilei die letzten neun Jahre seines Lebens in Hausarrest verbringen. Papst Johannes Paul II. hat ihn am im Oktober 1992 vollständig rehabilitiert.

Wie kam nun der Brief in die Bestände der Royal Society, einer 1660 gegründeten Gelehrtengesellschaft zur Wissenschaftspflege, die heute als nationale Akademie der Wissenschaften des Vereinigten Königreichs für die Naturwissenschaften dient? Man vermutet, dass er aufgrund der Beziehungen zwischen der Royal Society und der 1657 von Galileos Schülern gegründeten Accademia del Cimento nach London gelangte. In den vergangenen 250 Jahren wurde er jedenfalls mehrfach nicht richtig katalogisiert und in seiner Bedeutung erkannt - bis Salvatore Ricciardo den Jackpot knackte. (KNA)