"Das Schweigen der Kirche"

Zeitung: Spanische Kirche vertuscht seit Jahren Missbrauch

Veröffentlicht am 16.10.2018 um 18:20 Uhr – Lesedauer: 

Madrid ‐ Anders als etwa in Chile, den USA oder Deutschland ist sexueller Missbrauch durch Kleriker in Spanien bislang noch kein so beherrschendes Thema. Woran das liegt, hat die spanische Zeitung "El País" nun aufgedeckt.

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Der weltweite Missbrauchsskandal hat die Kirche in vielen Ländern in eine Krise gestürzt. Nicht nur in Chile, Irland, den USA und Deutschland prägt sexueller Kindesmissbrauch durch Kleriker das Bild der Kirche in der Öffentlichkeit. In Spanien, einem der Länder Europas, das am stärksten durch den Katholizismus geprägt wurde, ist Missbrauch durch Kirchenmitarbeiter bislang noch kaum ein Thema. Recherchen der Zeitung "El País" haben nun offengelegt, woran das liegt: die spanische Kirche vertusche systematisch die allermeisten Fälle von Kindesmissbrauch. Das lasse sich etwa an den sehr geringen Missbrauchszahlen ablesen, die öffentlich gemacht werden.

Weniger als 0,2 Prozent der spanischen Priester wegen Missbrauch verurteilt

In den letzten 30 Jahren gab es in Spanien lediglich 33 Urteile staatlicher Gerichte gegen Priester, die Missbrauch begangen haben. Da es sich bei diesen Fällen um mindestens 80 minderjährige Opfer handelt, können die meisten der Verurteilten als Wiederholungstäter angesehen werden. Bei etwa 18.000 Priestern in Spanien sind damit etwas weniger als 0,2 Prozent der Geistlichen wegen Kindesmissbrauchs verurteilt worden. Die niedrigste Strafe lag bei einem Schmerzensgeld von 1.200 Euro, die höchste bei Freiheitsentzug von 21 Jahren. Bei einem halben Dutzend der Fälle hatten die Opfer den Missbrauch zuerst bei der Kirche angezeigt. Da sie dort jedoch keine Antwort erhielten, traten sie später an die staatliche Justiz heran.

Die in Madrid erscheinende und der Sozialistischen Partei nahestehende Zeitung fragte zur Klärung der tatsächlichen Zahl der Missbrauchsfälle bei allen 70 Diözesen des Landes an. Lediglich 18 meldeten sich zurück. "Das Schweigen der Kirche" – so bezeichnet die Zeitung die ausgebliebenen Antworten. Fünf Bistümer gaben an, in den letzten Jahrzehnten keine Anzeigen wegen Missbrauch erhalten zu haben. Vier meldeten an "El País" zurück, dass nur eine Anzeige vorgelegen habe. Ein Bistum gab an, eine falsche Anzeige bekommen zu haben. Drei Diözesen, unter ihnen auch das Hauptstadtbistum Madrid, vermieden es, eine genau Anzahl von Missbrauchsfällen zu nennen.

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Dabei gibt es in Spanien, wie auch in Deutschland, seit 2010 Leitlinien der Spanischen Bischofskonferenz zum Umgang mit Missbrauchsfällen in der Kirche. Diese Richtlinien sehen vor, dass bei angezeigten Missbrauchsfällen "die kirchliche Autorität die Anzeigenden dazu einlädt oder dabei berät, dass sie selbst ihre Anzeige bei der Polizei, der Staatsanwaltschaft oder vor Gericht stellen". Die spanische Zeitung kritisiert jedoch, dass sieben Jahre nach Einführung der Leitlinien erst drei Bistümer Regeln erlassen haben, die umfangreicher sind. Diese Reglements sehen es als "unerlässlich" an, dass der zuständige Bischof bei der Anzeige von Missbrauch die staatliche Gerichtsbarkeit einschaltet.

Großes Lob für deutsche Missbrauchsstudie

Diese Regelung entspricht einem staatlichen Gesetz aus dem Jahr 2015, das alle Personen, die um möglichen Missbrauch an Minderjährigen wissen, dazu verpflichtet, die Straftaten der Staatsanwaltschaft zu melden. Etwas, das seitens der Bistümer bislang nur in zwei Fällen passiert ist. In der jüngeren Vergangenheit gab es lediglich zwei Fälle von Missbrauch in Spanien, die einen Weg an die Öffentlichkeit fanden. Beide wurden jedoch zuerst von den Bistümern geheim gehalten und erst durch die Opfer an die Öffentlichkeit gebracht, die mit ihrer Betreuung durch die Kirche unzufrieden waren. In einem dieser beiden Fälle bezogen sich die Strafverteidiger der angeklagten Priester zudem auf ein Konkordat, das es der spanischen Justiz verbietet, Kleriker für Aussagen vor Gericht heranzuziehen.

Großes Lob hat "El País" für die deutsche Missbrauchsstudie. Eine Aufarbeitung nach deutschem Vorbild sei nach Ansicht der Zeitung in Spanien wohl nicht möglich, da sich die meisten Diözesen auf ihr Recht bezögen, nur dem Vatikan auskunftspflichtig zu sein und der spanischen Bischofskonferenz keine Rechenschaft zu schulden. Doch es gibt einen Lichtblick: Mehrere Diözesen, unter ihnen auch Madrid, gaben an, bei der Verhinderung von Missbrauch mit der Bischofskonferenz zusammenarbeiten zu wollen, "mit allem, was dazu notwendig sein sollte".

Von Roland Müller

Linktipp: Themenseite Missbrauch

2010 wurde erstmals eine größere Zahl von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche in Deutschland bekannt. Seitdem bemüht sich die Kirche um eine Aufarbeitung der Geschehnisse. Bei ihrer Vollversammlung veröffentlichen die deutschen Bischöfe am 25. September 2018 eine Studie, die die Missbrauchsfälle im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz zwischen 1946 und 2014 dokumentiert.