Standpunkt

Ich möchte meiner Kirche wieder vertrauen können!

Veröffentlicht am 12.11.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Taten statt Worte: Die bisherige Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der Kirche reicht Simon Linder nicht aus. Nach solch einer "Katastrophe" müsse es grundlegende Veränderungen geben.

  • Teilen:

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.

Vor sechs Jahren habe ich ein Theologiestudium begonnen, weil mir die Kirche am Herzen liegt und ich sie mitgestalten will. Seit letztem Jahr arbeite ich als Referent für Kirchenpolitik und Jugendpastoral an der BDKJ-Bundesstelle.

Die Ergebnisse der MHG-Studie über sexualisierte Gewalt durch Kleriker an Minderjährigen haben mich schockiert. Jeder zwanzigste Diözesanpriester, der zwischen 1946 und 2014 im kirchlichen Dienst stand, wird beschuldigt, sexualisierte Gewalt ausgeübt zu haben. 3.677 Menschen waren und sind davon betroffen. In der Studie wird zudem erwähnt, dass die Dunkelziffer hoch sein könnte.

Ich glaube nicht, dass die Kirche gerade so ist, wie Jesus sie will – und es fällt mir manchmal schwer, zu einer Kirche zu gehören, in der sich so viele schuldig gemacht haben. Aber: In vielen Momenten bin ich nun noch motivierter. Ich will mithelfen, dass wir in der Kirche alle Strukturen verändern, die sexualisierte Gewalt begünstigt haben. Ich bin loyal zu meiner Kirche – gerade deshalb sehe ich mich in der Verantwortung! Es zeigt sich allerdings schon jetzt: Das System ist träge.

Dass Bischöfe um Entschuldigung gebeten haben, ist wichtig – aber es reicht nicht. Können wir bitte endlich über Fakten diskutieren? Straffällig gewordene Kleriker verüben im Mittel ihre erste Tat 14,3 Jahre nach der Weihe – im Alter zwischen 36 und 40 Jahren, zehn Jahre später als andere Täter. Das ist eine von vielen Erkenntnissen der MHG-Studie, deren Ursachen erforscht werden müssen.

Mein Eindruck ist, dass die Aufarbeitung nicht überall in angemessenem Umfang geschieht. Ich will keine Worte mehr hören, ich will Taten sehen. Ich kann doch nicht mein Leben lang für eine Institution arbeiten, wenn diese nach Bekanntwerden einer solchen Katastrophe nicht grundlegende Veränderungen vornimmt. Ich möchte meiner Kirche wieder vertrauen können.

Von Simon Linder

Der Autor

Simon Linder ist Referent für Kirchenpolitik und Jugendpastoral beim Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) und Kolumnist bei der Ludwigsburger Kreiszeitung.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von katholisch.de wider.