Entdeckungsreise auf dem Friedhof

"Wo sie ruhen" – eine App auf den Spuren berühmter Toter

Veröffentlicht am 21.11.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ An vielen Persönlichkeiten würde man einfach vorbeigehen, so unscheinbar ist ihr Grab. Damit das nicht geschieht, weist nun eine App den Weg zu Grabstätten berühmter Persönlichkeiten. Das Programm verrät dabei noch allerhand Wissenswertes zu Grabmälern und Friedhöfen.

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Eine einfache Platte aus Bronze schmückt das unscheinbare Grab, das sich zwischen vielen anderen auf dem Nürnberger Johannisfriedhof befindet. Wer es nicht absichtlich sucht, der wird es beim Besuch auf dem Gottesacker vermutlich unbeachtet liegen lassen. Erst beim Entziffern der Inschrift, die sich auf der Grabplatte befindet, gerät man mitunter ins Stocken: "Memoriae Alberti Dveri" kann man dort lesen, "Zum Gedenken an Albrecht Dürer". Und weiter verrät der kleine, lateinische Text, dass sich die Überreste des großen Nürnbergers unter eben jenem Grabhügel befänden. Eine sensationelle Entdeckung für jeden Friedhofsbesucher, wenn man urplötzlich und ungeplant vor dem Grabmal Albrecht Dürers steht!

Bild: ©picture alliance/BREUEL-BILD

Grabmal auf dem Friedhof Ohlsdorf in Hamburg.

Nur unweit von Dürer ruhen übrigens andere bekannte Persönlichkeiten: Der Philosoph und Religionskritiker Ludwig Feuerbach zum Beispiel. Etwa 6.000 Menschen, so heißt es, hätten sich 1872 seinem Trauerzug angeschlossen. Den Sandstein-Sarkophag ziert bis heute das in Bronze gegossene Portrait des Nürnberger Denkers. Wer noch nicht genug hat, der kann auch noch die Gräber von Veit Stoß (dem berühmten Bildhauer und Holzschnitzer) oder die imposante Grablege der Patrizierfamilie Holzschuher auf dem Johannisfriedhof besuchen. Eine Handvoll berühmter Personen oder Familien hat auf dem Friedhof inmitten der fränkischen Metropole ihre letzte Ruhe gefunden. Sie aber ausfindig zu machen, ist bei der enormen Größe des Friedhofs und den zahlreichen anderen Gräbern wahrlich kein leichtes Unterfangen.

Hölderlin lebte und liegt in Tübingen

Durchaus spannend ist auch ein Rundgang auf dem Tübinger Stadtfriedhof: Hier lädt zum Beispiel das Grab des früheren Bundeskanzlers Kurt Georg Kiesinger zum Verweilen ein. Nach einigen Jahren als baden-württembergischer Ministerpräsident wurde Kiesinger 1966 Bundeskanzler – allerdings nur für knapp drei Jahre. Ein nur wenig bearbeiteter Naturstein ziert heute seine letzte Ruhestätte. Nur wenige Meter weiter trifft man auf einen weiteren Großen aus der Geschichte: den Lyriker Johann Christian Friedrich Hölderlin. Nach Stationen in Frankfurt und Nürtingen kam der Dichter in die Obhut des Tübinger Tischlers Ernst Zimmer. Im heutigen "Hölderlinturm" entstand ein Großteil seines schriftstellerischen Œuvre, hier starb Hölderlin auch 1843 und wurde auf dem Tübinger Stadtfriedhof beigesetzt. Und wem das noch nicht reicht, der kann auch noch an der Grabstelle Friedrich Silchers einen kurzen Zwischenstopp einlegen. Die Melodien berühmter Volkslieder wie "Alle Jahre wieder", "So nimm denn meine Hände" oder die "Lorelei" stammen aus seiner Feder. Ab 1817 wirkte er als erster Musikdirektor an der Universität Tübingen, wo Silcher 1860 auch starb. Sein Grab, das im Laufe der Jahre mehrmals umgestaltet wurde, schmückt heute ein einfaches Kreuz auf einem Sockel – seit 1979 eine Kopie des originalen Grabsteins.

Bild: ©dpa/Beate Schleep

Das Grab des früheren Bundeskanzlers und Berliner Bürgermeisters Willy Brandt auf dem Waldfriedhof Zehlendorf.

An all diesen Grabstätten geht man vermutlich achtlos vorüber. Denn die unscheinbaren Grabmäler lassen kaum erahnen, welch bedeutende Persönlichkeiten hier ihre letzte Ruhe gefunden haben. Meist ähneln ihre Gräber den zig anderen, die sich ringsum in der Nachbarschaft befinden. Die Friedhofsapp "Wo sie ruhen" bietet für Friedhofsbesucher eine willkommene Abwechslung: Die Stiftung Historische Kirchhöfe und Friedhöfe in Berlin-Brandenburg hat sie ins Leben gerufen und lädt den Nutzer ein, 45 Friedhöfe in 32 deutschen Städten virtuell oder real zu erkunden. Über 1.200 historische Grabstätten sind mittlerweile in der App gelistet. Man kann sie entweder am PC oder am Smartphone betrachten. Oder aber man greift auf das vorhandene Kartenmaterial zurück und lässt sich ganz einfach mithilfe der App zur nächstgelegenen berühmten Grabstätte leiten. Die informativen Texte, die zu den einzelnen Grabmälern zur Verfügung gestellt wurden, hat der Schauspieler Hans-Jürgen Schatz eingesprochen. Sie bieten sowohl einen Einblick in den Lebenslauf der Verstorbenen, erzählen aber auch allerlei Anekdoten und Hintergründiges. Mithilfe der aufgenommenen Texte kann die App auf dem Smartphone auch als Audio-Guide dienen, mit dem man wie in einem Museum über die Friedhöfe streifen kann.

Das Smartphone wird zum Friedhofsführer

Der Friedhofsbesuch wird so zu einem spannenden Spaziergang durch die Vergangenheit. Das Hintergrundwissen über die Grabstätten machen diese App zum wertvollen Begleiter. Aber auch das viele Wissenswerte, das man über die einzelnen Persönlichkeiten erfahren kann, bereichert den Gang über den Friedhof. Man erfährt zum Beispiel, dass Albrecht Dürer eigentlich Goldschmied lernen sollte und sich erst nach einer abgebrochenen Lehre zum Maler ausbilden ließ. Oder dass die Holzschuherkapelle auf dem Nürnberger Friedhof aufgrund von Aufschüttungen nach Beerdigungen nun einen Meter tief liegt als das umgebende Niveau. Wer möchte, der kann sich mithilfe der Tonaufnahmen die Biografien der Personen, deren Grabmal man besucht, einfach vorlesen lassen.

Bild: ©Fotolia.com/Oliver Hlavaty

Der Alte Friedhof in Berchtesgaden.

Das Smartphone wird somit zum Friedhofsführer. Von Kiel bis München kann man derzeit die Friedhöfe erkunden, wobei man sich leider bisher in den meisten deutschen Städten noch auf eigene Faust einen Weg durch den Gräberdschungel bahnen muss. In Bayern beispielsweise sind momentan nur Friedhöfe in Nürnberg, Bayreuth und München gelistet. Dafür kann man in Berlin virtuell über zehn Friedhöfe streifen und die Gräber von Rio Reiser, Adelbert von Chamisso und vielen anderen bedeutenden Persönlichkeiten erkunden. Dabei erfährt man auch einiges über die Friedhöfe selbst: Der Alte Friedhof der St. Nicolaigemeinde in Berlin ist wohl seit hunderten von Jahren der Begräbnisort der Kirchengemeinde und wurde im Jahr 1802 nach mehrmaliger Aufgabe und Überbauung neu eingeweiht. Nach einem Entwurf des Berliner Stadtbaurats Carl Ferdinand Langhans wurde er als typischer Parkfriedhof gestaltet. Dadurch wurde er zum Vorbild für viele andere Berliner Friedhöfe, die im typischen "Allee-Quartier"-Stil angelegt wurden.

Große, prachtvolle Gräber säumen die sogenannte Millionärsallee auf dem Melaten-Friedhof in Köln.
Bild: ©katholisch.de

Große, prachtvolle Gräber säumen die sogenannte Millionärsallee auf dem Melaten-Friedhof in Köln.

Der Friedhofsbesuch wird mit der App "Wo sie ruhen" zur Geschichtsstunde und zur spannenden Entdeckungsreise in die Vergangenheit. Dabei lernt man nicht nur vieles über die bedeutenden Persönlichkeiten der Historie. Man wird auch sensibel dafür, Friedhöfe mit offenen Augen zu betreten und den Geschichten nachzuspüren, von der jeder einzelne Grabstein zeugt. Der Gang zum Friedhof wird dadurch zu einer spannenden Entdeckungsreise. Bleibt zu hoffen, dass die App noch zahlreiche Erweiterungen erfährt und vielleicht auch andere Städte auf diese Art und Weise ihre Friedhöfe erschließen.

Von Fabian Brand

Die App "Wo sie ruhen"

Die kostenlose und werbefreie App enthält Texte und Audioguides zu mehr als 1.200 historischen Grabstellen bedeutender Persönlichkeiten auf 45 Friedhöfen in 32 deutschen Städten.