Kolumne: Römische Notizen

Meuterei gegen Papst Franziskus – im Vatikan?

Veröffentlicht am 26.11.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Rom ‐ Im Vatikan ist es nicht anders als an jeder anderen Arbeitsstelle auch: Die Angestellten beklagen sich manchmal über ihren Chef. Worüber die Mitarbeiter des Papstes murren, das verrät Gudrun Sailer von Vatican News in der katholisch.de-Kolumne "Römische Notizen" – und sagt auch, warum sie dennoch gerne für Franziskus arbeitet.

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Etwa viereinhalbtausend Leute arbeiten für den Papst im Vatikan. Ich kenne einen Bruchteil von ihnen, fast alles kleine Zahnräder wie ich selbst. Aber die, die ich kenne und mit denen ich rede, stehen trotz aller Verschiebungen im Vatikan, Stichwort Reform, grundsätzlich loyal zu Papst Franziskus.

Dass das überhaupt der Erörterung wert ist, scheint mir seltsam. Aber ich staune eben jedes Mal, wenn ich irgendwo auf kleinem Bildschirm lese, im Vatikan zetteln sie gerade einen Aufstand gegen Franziskus an, weil keiner mit ihm kann und alle unter ihm leiden, dem Despoten. Leute: So ist es nicht, murmle ich dann. Ich erlebe das in meinem Umfeld anders.

Das lässt mehrere Hypothesen zu. Entweder ich rede immer mit den Falschen, mit den Jasagern, den Misstrauischen, den Wohlerzogenen, den Hintersinnigen, den Unehrlichen oder denen, die sich in allen Lebenslagen mit möglichst wenig Aufwand durchlavieren (gibt’s auch bei uns, nicht bloß bei Ihnen). Oder die – vorhandenen – Fundamentalkritiker von Papst Franziskus im Vatikan sind so umsichtig, sich ihre Sorgen nur untereinander anzuvertrauen. Oder sie gehören alle höchsten Diensträngen an, mit denen unsereins bestenfalls oberflächlichen Umgang pflegt. Oder sie sind überhaupt nur "quattro gatti", "vier Kater", wie die Italiener eine überschaubare Menge von Individuen nennen. In welcher Mischung diese Hypothesen der Wahrheit am nächsten kommen, weiß ich nicht. Und ohne weiteres gestehe ich die Einsicht zu, dass ich selbst in einer kleinen vatikanischen Filterblase fröhlich dahinblubbere.

Arbeitsplätze im Vatikan sind beliebt

An dieser Stelle ein Einblick in die dienstlichen Gegebenheiten im Staate Vatikan. Franziskus hat recht bald nach seinem Antritt einen Aufnahmestopp verhängt. Zugleich hat er klargestellt, er werde reformieren und sparen, aber keine Laienbedienstete kündigen. Wer sich also nicht komplett danebenbenimmt - Murren wird toleriert und praktiziert -, hat eine sichere Stelle bis zur Rente. Richtig gelesen. Das Salär ist nicht üppig, aber es kommt zuverlässig und im Tausch gegen eine Wochenarbeitszeit von milden 36 Stunden. 27 Feiertage weist der vatikanische Jahreskalender aus, was selbst dann noch erfreulich ist, wenn einer – Ostern – bekanntlich stets auf Sonntag fällt. Die vatikanische Krankenversicherung ist nach einer seltsamen Reform leider nicht mehr besser als die italienische, das stimmt. Aber die Rente bleibt von tolerabler Höhe. Drauflagen für weniger wohlhabende Familien gibt es auch. Und pro neugeborenem Kind lässt der Papst 2000 Euro Taufgeld springen.

So kann man verstehen, dass gerade in den einfacheren römischen Familien der Arbeitgeber in weißer Soutane so beliebt ist wie kein zweiter in Rom und weitem Umkreis. Wer als Schreiner, Apothekenhelferin oder Portier eine Stelle im Vatikan ergattert, wird sie im Leben nicht freiwillig aufgeben. Das gilt oft auch für jene, die mit Priesterweihe oder akademischer Bildung beim Heiligen Stuhl arbeiten, also in der Verwaltungszentrale der Weltkirche. Der Glanz des hohen Dienstherrn und des ganzen Ambientes spielt ebenfalls eine Rolle. Nicht zu vergessen der gemeinsame Glaube. Vatikanleute leben eine starke Identifikation mit dem, was sie tun, sie stehen im Allgemeinen gern im Dienst des Papstes und der Kirche.

Bild: ©Charlotta Smeds

Gudrun Sailer ist Journalistin in Rom und Redakteurin bei "Vatican News".

Nun ist es freilich nicht so, dass der oder die gemeine Papstangestellte am Chef so gar nichts zu beanstanden hätte. Wer im Vatikan herausrückt mit Kritik an diesem oder jenem, für das Franziskus steht, tut das im Übrigen beherzter als früher. Viele Altgediente empfinden das als Verbesserung, weil offene Meinungsäußerung für sie zum guten Klima beiträgt. Andere schmerzt es, dass im Vatikan Zeiten angebrochen sind, in denen manche herumnörgeln am Vorgesetzten, der zugleich – das ist ja das Besondere am Weinberg Vatikan – Oberhaupt der Kirche ist, an die wir alle glauben.

Die meisten kleinen Zahnräder nörgeln, so wie ich, weil sie jetzt für eine Arztvisite beim externen Spezialisten einen Batzen Geld drauflegen müssen. Sie seufzen, wenn der Papst zu Pilgern in freier Rede wieder einmal etwas schwer Vermittelbares sagt, was dann zwei Tage links und rechts durch die Twitteria peitscht. Sie werden nervös, wenn Franziskus in der Menge den Wagen stoppt und aussteigt, weil sie ihn schützen müssen und wissen, dass es so nicht geht. Sie beklagen ihren dritten Büro-Umzug im Jahr und knurren am Kaffeeautomaten, der Chef habe keine Ahnung, was er da anrichtet, und überhaupt, diese Kurienreform. Sie sind verschnupft, weil der sparsame Franz den Prosecco gestrichen hat, den frühere Päpste ihren Angestellten im Advent auf den Schreibtisch stellten. Jetzt gibt's nur noch Panettone. Ja, das innervatikanische Raunen und Nörgeln bleibt mitunter in ichbezogenen Horizonten verfangen.

Vatikan-Mitarbeiter teilen Franziskus' Kirchenvision

Aber über diesen Horizont hinaus gibt es einen weiteren, und alle, mit denen ich rede, wissen den einen vom anderen zu trennen. Franziskus hat zwei Reformen in Gang gesetzt, die Kurienreform, die alle Vatikanleute betrifft, und die Kirchenreform, die alle katholischen Getauften betrifft. Sein Blick ist global, nicht lokal. Er will eine missionarische, frohe, voranschreitende Gemeinschaft der Gläubigen. Er will der geistlichen Herzverfettung entgegenwirken und hat der Kirche, wo sie reich und satt ist, einen Diätplan verpasst und ein Sportprogramm: runter vom Sofa, raus aus der Sakristei. Diese Kirche wächst an Vielfalt, sie wächst in die Peripherie. Der Vatikan als ihre Mitte (nicht als ihre Spitze) muss sich dem anpassen. Daher die Kurienreform.

Der Diät- und Sportplan und die ganze Fasson der Kirche, die Franziskus will, das alles geht die kleinen Zahnräder im Vatikan eminent etwas an. Bitte aufzeigen, wer darüber staunt, dass Papstangestellte über die vom Papst verordnete Kirchenreform an- und aufgeregt diskutieren. Aber dies Für und Wider ist in meinem ganz persönlichen Filterblasenblick weder dominant noch giftig, noch mischt es sich mit Fundamentalopposition oder gar Sabotage. Die sehe ich anderswo am Werk, bei vernetzten Kräften von außen, die das große digitale Wort schwingen und sich auf angeblich geharnischte Papstkritiker im Vatikan selbst berufen.

Von verschwörerischen Anti-Franziskus-Zirkeln direkt am Petersdom wiederum weiß ich nichts. Mein Eindruck ist ein anderer. Die meisten Vatikanleute teilen die Vision von Papst Franziskus. Sie tragen diese zwei Reformen mit, auf ihren Schultern, in Loyalität. Auch wenn das zur Zeit recht unbequem ist.

Von Gudrun Sailer