Islamkonferenz im Zeichen der Kontroverse

In Berlin prallten muslimische Gegensätze aufeinander

Veröffentlicht am 30.11.2018 um 11:35 Uhr – Lesedauer: 

Berlin ‐ Zum ersten Mal traf sich die Deutsche Islamkonferenz in aller Öffentlichkeit. Das Publikum erlebte teils spannende Debatten zwischen Muslimen. Es ging um die Frage: Welchen Islam wollen wir?

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Wohin bewegt sich der Islam in Deutschland, und wohin sollte er sich bewegen, um ein harmonischer Teil der Gesellschaft zu sein? Zum Auftakt der vierten Deutschen Islamkonferenz (DIK) in Berlin entfachte die Frage scharfe Kontroversen.

Der vielbemühte Satz, dass es den einen Islam gar nicht gibt, wurde dabei sehr greifbar. Immer wieder gerieten konservative und liberal gesinnte Muslime bei den Podien am Mittwoch und Donnerstag teils heftig aneinander. Die innerislamische Debatte um die Zukunft dieser Religion in Deutschland tobt heißer denn je.

Genau das ist auch Sinn der Sache, wie Bundesinnenminister und Gastgeber Horst Seehofer (CSU) zu Beginn deutlich machte. Hatte der Staat in der vergangenen Konferenzphase lediglich die konservativen Islamverbände zum Dialog gebeten, sind nun auch wieder progressive Muslime dabei. Sie alle gehörten zu Deutschland, so der Minister. Entfalten könne sich der Islam hierzulande nur auf dem Boden der deutschen Werteordnung. Extremismus und Antisemitismus dürften die Muslime in ihren Reihen nicht dulden. "Die Grenze ist das Grundgesetz."

Abgeschottete Parallelgesellschaften und patriarchalische Strukturen

Seit Gründung der DIK vor zwölf Jahren hat es Fortschritte gegeben, etwa den Aufbau islamisch-theologischer Seminare an deutschen Universitäten. Doch es bleiben viele Probleme, und die haben aus Sicht der Kritiker vor allem mit den traditionalistischen und meist ethnisch organisierten Islamverbänden zu tun: Abgeschottete Parallelgesellschaften und patriarchalische Strukturen, in denen der deutsche Staat beinahe nichts zu sagen hat, sind eines davon.

Die ausländische Beeinflussung von Verbänden und die Entsendung von Imamen, die oft nicht einmal Deutsch sprechen, ein anderes. Noch immer gibt es in Deutschland keine nennenswerte Ausbildung der Imame durch die Verbände. Ein Podium zu diesem Thema ließ vermuten, dass sich daran so schnell nichts ändern wird.

Horst Seehofer vor einem Plakat der CSU, lächelnd.
Bild: ©picture alliance/Sven Simon

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) war Gastgeber der Islamkonferenz.

Und noch immer fehlt dem Staat eine Institution, die von sich behaupten kann, für alle gläubigen Muslime im Land zu sprechen. "Ich bin ratlos, warum das so ist", meinte Seehofer. Wer die zweitägigen Diskussionen verfolgte, begriff allerdings recht bald. Denn neben Machtinteressen und Konkurrenzdenken der Verbände untereinander existiert eine tiefe Kluft zwischen konservativen und säkular ausgerichteten Muslimen, die sich gegenseitig Diffamierung vorwerfen.

"Wer Verbände wie die Erdogan-treue Ditib zur DIK einlädt und als Partner für Integration aufbaut, macht den Bock zum Gärtner", sagte die Soziologin Necla Kelek der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) an die Adresse der Bundesregierung. Offenbar nehme die Islamkonferenz die Ängste der Mehrheitsgesellschaft vor einem "reaktionären und buchstabengläubigen Islam" nicht ernst genug.

"Hofierung" des organisierten Islam durch Politik als großer Fehler?

Auch der wegen Morddrohungen unter Personenschutz stehende Politologe Hamed Abdel-Samad bezeichnete eine angebliche "Hofierung" des organisierten Islam durch die Politik als großen Fehler. "Bevor wir über Imamausbildung sprechen, muss erstmal geklärt werden, welche islamische Lehre wir in Deutschland wollen - die intolerante Theologie der Verbände sicher nicht."

Andererseits kommt der Staat um das Gespräch mit den großen Organisationen nicht herum, repräsentieren sie doch rund 70 Prozent aller Moscheegemeinden. Auch die Gläubigen unter den seit 2015 ins Land geströmten Flüchtlingen - inzwischen machen sie ein Viertel der knapp fünf Millionen Muslime aus - erreicht er am ehesten dort. Im Übrigen seien konservative Positionen keine Straftat und gehörten zur Meinungsvielfalt, bemerkten Funktionäre wie Erol Pürlü vom Verband der Islamischen Kulturzentren.

Angesichts der festgefahrenen Debatte stellt sich die Frage, was eine Islamkonferenz für die Integration überhaupt leisten kann. Doch hier erscheint Minister Seehofer optimistisch. Er hofft in den kommenden vier Jahren auf einen regen Gesprächsprozess, der den "dynamischen Wandel" in der innerislamischen Debatte abbildet und zur Beheimatung der Muslime beiträgt. Im Mittelpunkt sollen dabei "alltagspraktische Fragen" des Zusammenlebens stehen. Noch ist nicht ganz klar, was er damit meint. Die DIK bleibt ein Versuchslabor. Und ist wieder spannend.

Von Christoph Schmidt (KNA)