Plädoyer für eine einladende Kirche

Schluss mit dem Gerede über "U-Boot-Christen"

Veröffentlicht am 15.12.2018 um 12:01 Uhr – Lesedauer: 
Schluss mit dem Gerede über "U-Boot-Christen"
Bild: © KNA

Dresden ‐ Zu Weihnachten kommen sie wieder in die Kirche – die "U-Boot-Christen", die den Rest des Jahres meist untergetaucht sind und sich nicht im Gottesdienst blicken lassen. Das kirchlich "Stammpublikum" rümpft deshalb gelegentlich die Nase. Doch unser Autor Jonas Lietz plädiert dafür, den "U-Boot-Christen" offen zu begegnen und sie zur Mitfeier des Gottesdienstes freundlich einzuladen.

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Alle Jahre wieder geht ein Raunen durch die Bänke, wenn zum Krippenspiel oder zur Christmette Menschen in den Kirchen auftauchen, die im Laufe des übrigen liturgischen Jahres eher untergetaucht zu sein scheinen. Und alle Jahre wieder wird eine gewichtige Chance vertan, wenn man diesen Leuten abschätzig und selbstgerecht begegnet, anstatt sie freundlich in den Gemeinden und zum Mitfeiern willkommen zu heißen.

Jan Böhmermann brachte zuletzt in seiner Late-Night-Show "Neo Magazin Royale" am 13. Dezember berechtigte Kritik an den Kirchen sehr treffsicher vor, indem er "treue" Christen imitierte, wie sie an Heiligabend über Gemeindeferne in der Kirche selbstgefällig und vorschnell urteilen: "Das gibt's ja wohl nicht, dass die Quartals-Christen sich hier einmal im Jahr ihren Besinnlichkeits-Akku aufladen und uns Stammkunden die Plätze wegnehmen. Raus!" Dabei spielte er auf die evangelische Gemeinde in Essen-Haarzopf an, die in diesem Jahr Eintrittskarten für den Besuch der Gottesdienste an Heiligabend verteilt.

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Gerade die Advents- und Weihnachtszeit lädt dazu ein, im Alltagstrubel einmal durchzuatmen, zu sich selbst zu kommen und womöglich auch dazu, mit allen Sinnen dem geheimnishaften Charakter des Christfestes nachzuspüren. Es sind vor allem die sogenannten niederschwelligen Angebote, die ansprechen. Während viele Anlässe im Laufe des liturgischen Jahres (wie beispielsweise Fronleichnam oder der Christkönigssonntag) hinsichtlich ihrer Festbedeutung den meisten eher unverständlich bleiben, ist es an Weihnachten einfacher: Ein Kind wird geboren und wird von all jenen als Wunder empfunden, die es bestaunen dürfen. Das Christuskind ist in die Welt gekommen, um den Bedürftigen und Verzweifelten neue Hoffnungen aufzuzeigen. Es solidarisiert sich durch sein Leben und Sterben mit allen, die einsam sind und auf verschiedene Weise leiden, da es die Abgründe des Menschseins nicht scheut. Die aufgestellten Krippen in den Kirchen, die geschmückten Christbäume, die Advents- und Weihnachtslieder – all das zieht Menschen an und erinnert möglicherweise im Besonderen an die eigene Kindheit.

Da ist es völlig unangebracht, wenn Statio oder Homilie geradezu ausgenutzt werden, um denen, die sich aufgemacht haben und erwartungsvoll versammelt sind, vorzuhalten, wie schlimm doch die alljährliche Konsumsucht, das Weihnachtsmarkttreiben oder aber der häusliche Lichterschmuck seien. Welcher Schaden entsteht, wenn Tierliebhaber auch Hund und Katze einen Adventskalender gönnen? Was ist verwerflich daran, wenn sich Kollegen nach getaner Dienstzeit auf einen Glühwein treffen und so außerhalb des Arbeitsplatzes womöglich zu einem besseren Miteinander finden? Bricht sich dabei nicht bereits im Kleinen Bahn, was Theologietreibende im Großen als Reich Gottes predigen und lehren?

Unterschlagen werden sollte zudem nicht, dass es oft bestimmte Gründe hat, dass Menschen – Heiligabend ausgenommen – den Gemeinden eher fernbleiben. Fühlen sie sich aufgenommen und mit ihrer jeweiligen Lebenssituation angenommen? Haben sie schwerwiegende Erfahrungen machen müssen? Sind die Liturgie und die Gottesdienstzeiten ansprechend? Wissen sie überhaupt von den Angeboten vor Ort? Statt "Stein des Anstoßes" sollten kritische Rückmeldungen vielmehr herausfordernder "Stachel im Fleisch" der Christen sein.

Bild: ©Katholische Akademie Dresden

Jonas Lietz, der Autor dieses Textes, ist Theologe und Referent an der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen.

Die Advents- und Weihnachtszeit kann als eine Zeit dienen, ins Gespräch zu kommen. Das geht auf vielerlei Weise: beim Verteilen der Pfarrbriefe, im Rahmen von Kirchencafés oder dadurch, dass man im Anschluss (nicht nur) an die Festgottesdienste am Ausgang der Kirche oder auf dem Vorplatz aufeinander zugeht. Das obliegt keineswegs der alleinigen Verantwortung der pastoralen Mitarbeiter. Das können genauso gut Vertreter des Pfarrgemeinderats oder andere Repräsentierende der Gemeinde übernehmen. Im Übrigen: Nicht allein der Pastoraltheologe Johannes Först verweist zu Recht darauf, dass es ohne die Gemeindefernen, die – obwohl sie scheinbar abgetaucht sind – im Verborgenen unablässig ihre Kirchensteuer zahlen, der Kirche als organisierter Institution nicht nur finanziell entschieden schlechter ginge. Wäre ohne sie etwa die weitreichende Caritas in dem Maße aufrechtzuerhalten?

Also, Schluss mit dem Gerede über "U-Boot-Christen"! Wer sich die Spucke spart, kann die Energie an anderer Stelle sinnvoller einsetzen. Ich wünsche mir vor allem in der Advents- und Weihnachtszeit die Kirche als freundlich Einladende, die auch bereit dazu ist, sich anfragen zu lassen. Die Weihnachtserzählung überliefert nicht zuletzt, wie schmerzlich es ist, wenn man existenzielle Anliegen und Nöte hat, aber keine Herberge beziehungsweise Aufnahme findet.

Von Jonas Lietz