Zwischen Ambo und Labor: Der Diakon, der Affen erforscht
Professor Stefan Schlatt (54) leitet das Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Im November 2018 wurde er von Bischof Felix Genn mit sechs weiteren Männern im St.-Paulus-Dom in Münster zum Ständigen Diakon mit Zivilberuf geweiht. Schlatt ist verheiratet und Vater von drei erwachsenen Kindern.
Frage: Herr Schlatt, Sie sind Naturwissenschaftler und Diakon, wie passt das zusammen?
Stefan Schlatt: Warum sollte das nicht zusammenpassen? Ich bin Forscher und kein Arzt, der Abtreibungen vornimmt. Das fände ich problematischer. Ich habe sogar einige Semester Katholische Theologie studiert. Natur und Glaube sind für mich kein Widerspruch. Ich erkläre mir die Welt nur an manchen Stellen anders, als es in der Bibel steht.
Frage: Glauben Sie daran, dass Gott die Welt erschaffen hat?
Schlatt: Ich glaube an einen Gott, der die Schöpfungsgeschichte beginnen ließ. Aber das Leben auf unserer Erde ist spontan entstanden und hat sich aus sich selbst organisierenden organischen Makromolekülen entwickelt. Dann sind einzelne Zellen entstanden und daraus die Vielzeller, ein faszinierender Prozess der sich in jedem Lebewesen neu ereignet. Für mich ist Gott ein Gott der Liebe. Dies wird wunderbar erzählt in der Geschichte des ersten Liebespaares in der Bibel, Adam und Eva. Sie haben im Unterschied zu allen Tieren Nacktheit und Schuld entdeckt und herausgefunden, wie sie verantwortlich miteinander umgehen und sich lieben können.
Frage: Genau das erforschen Sie auch …
Schlatt: Ja, ich beschäftige mich mit männlichen Fortpflanzungsfunktionen. Aktuell untersuchen wir Spermien auf ihre biochemischen und physiologischen Eigenschaften wie Überlebensrate, Beweglichkeit und Anzahl. Es fehlen bislang Methoden, mit denen man die Spermienqualität im Hinblick auf ihr Erbgut beurteilen kann. Gelingt uns das, könnte man die optimalen Spermien finden. Die Idee dabei ist, bei einer künstlichen Befruchtung nur Spermien mit gesunder DNA zu verwenden und damit die Erfolgschancen auf ein gesundes Kind zu erhöhen. Eine solche Methode würde die Spermiendiagnostik revolutionieren.
Frage: Sie überlassen es also nicht dem Zufall, ob neues Leben entsteht?
Schlatt: Männliche Unfruchtbarkeit ist ein weit verbreitetes Leiden. Jeder zehnte Mann ist davon in irgendeiner Weise betroffen. Wir arbeiten zum Beispiel mit Patienten, die in ihrer Kindheit oder Pubertät eine Chemotherapie oder eine Bestrahlung erfahren haben und dadurch häufig unfruchtbar werden. So finde ich auch die künstliche Befruchtung durchaus gerechtfertigt. Um das zu ermöglichen, untersuchen wir Störungen der männlichen Fortpflanzungsfunktionen und des Hormonhaushalts in verschiedenen Lebenssituationen. Wir testen dies auch anhand von Affen aber natürlich auch an humanen Spermien Allerdings können wir am Ende nur sehr wenig beeinflussen, da selbst beim Aussortieren der offenbar gestörten Spermien die Neukombination der Gene zufällig geschieht, und dies ist auch gut so. Wunschkinder mit bestimmten Merkmalen suchen wir uns durch Partnerwahl und nicht durch Laborverfahren aus. So funktioniert übrigens Evolution im Allgemeinen.
Frage: Sie führen Tierversuche durch?
Schlatt: Ja, aber natürlich nur, wenn sich diese Versuche wissenschaftlich rechtfertigen lassen, genehmigt wurden und verantwortlich durchgeführt werden können. Wenn ich brauchbare Ergebnisse haben will, muss ich dafür an Tieren experimentieren. Wir haben am Institut etwa 100 Weißbüschelaffen und 50 Makaken. Zum Beispiel kastrieren wir einige Männchen und transplantieren ihr Hodengewebe in Mäuse, um sie auf diese Weise später weiter untersuchen zu können.
Frage: Töten Sie die Tiere auch?
Schlatt: Ja, wenn es sein muss. Wir töten Tiere, um mit deren Organen zu arbeiten und entnehmen dazu neben den Hoden auch viele weitere lebenswichtige Organe wie Gehirn oder Herz für Forschungszwecke in anderen Abteilungen. Natürlich ernte ich dafür viel Kritik. Aber ich mache das, um Menschen zu helfen, damit sie Eltern werden können. Andere Kollegen erforschen andere Krankheiten. Es hat keinen Sinn, das gegeneinander abzuwägen. Es macht keinen Spaß, Affen zu kastrieren oder zu töten, das müssen Sie mir glauben.
Frage: Geraten Sie dabei mit Ihrem christlichen Gewissen in einen Konflikt?
Schlatt: Nirgendwo in der Bibel steht, dass das Töten von Tieren verboten ist. Josef, der Vater von Jesus, opfert im Tempel eine Taube. Für Juden war das normal. Heute brauchen wir keine Opfertiere mehr. Aber wir töten Tiere, um sie zu essen. Für mich ist es leichter, auf ein Schnitzel zu verzichten, als auf Tierversuche. Ich arbeite mit Tieren, weil es für einige Fragestellungen keine andere Möglichkeiten oder Modelle gibt. Wir bemühen uns aber auch um Alternativmethoden zum Tierversuch. Aber wenn ein Mann trotz Chemotherapie noch Vater werden kann, dann ist das für mich ein guter Grund, den Einsatz von Tiernmodellen zu rechtfertigen. Ich selbst bin jedoch eher kritisch gegenüber Tierversuchen und sehe den Umgang mit Tieren und die Achtung ihrer selbst in vielen Bereichen unserer Gesellschaft für verbesserungswürdig. Zu Beginn meiner Ausbildung bin ich damit sehr angeeckt. Ich habe das Forschungsinstitut verlassen müssen, weil ich die geplanten Tierversuche nicht verantwortungsvoll genug fand. Monate später wurde der Versuch unter verbesserten Bedingungen neu aufgelegt. Da war ich dann wieder dabei. Erst kürzlich habe ich mit Kollegen ein "Leitbild zum ethischen Umgang mit Tieren in der wissenschaftlichen Forschung und Lehre" verfasst. Darin fordern wir etwa, besonders schmerzvolle Versuche an Tieren zu unterlassen.
Frage: Warum wollten Sie Diakon werden?
Schlatt: Ich wollte dort helfen, wo es nötig ist. Ich engagiere mich beispielsweise in der Caritas der Kirchengemeinde. Menschen am Rande der Gesellschaft liegen mir besonders am Herzen. Diese Woche beerdigte ich eine junge Frau, die an einem Drogenentzug gestorben ist. Ich fand es sehr wichtig, dass sie als Getaufte eine würdige Abschiedsfeier und ein mit ihrem Namen versehenes Grab bekommt. Einen Menschen nur anonym zu verscharren, finde ich nicht akzeptabel.
Frage: Was sagen Ihre Arbeitskollegen zu Ihrem Ehrenamt?
Schlatt: Manche meiner wissenschaftlichen Kollegen finden es ungewöhnlich, dass ich Diakon geworden bin. Sie können nicht nachvollziehen, warum ich meinen Glauben auf diese Weise leben will. Die Naturwissenschaft basiert auf atheistischen Prinzipien, da braucht es keinen Gott, weil alles aus sich heraus erklärbar ist.
Frage: Sehen Sie das auch so?
Schlatt: Es gibt Dinge, die kann man wissenschaftlich nachweisen. Also etwa, dass Jesus eine historische Person war. Aber ob er auferstanden ist, kann ich wissenschaftlich nicht nachweisen. Daran kann ich nur glauben. Und ich glaube daran, egal, was andere darüber denken. Schon in meiner Kindheit war der Glaube für mich eine besondere Kraftquelle. Das ist bis heute so. Ich glaube, es ist auch ein Stück Gnade, glauben zu können.
Frage: Glauben Sie, dass Sie im Himmel einmal für Ihren Dienst als Diakon besondere Pluspunkte als Ausgleich für die Tierversuche erhalten werden?
Schlatt: Nein, da gibt es keinen, der mitschreibt oder Punkte verteilt. Ich glaube auch nicht daran, dass ich nach meinem Tod mit meinem Körper auferstehen werde, auch wenn ich weiß, dass dies nicht exakt der kirchlichen Lehre entspricht. Vielmehr denke ich mir, dass außerhalb von Raum und Zeit die Liebe bleibt. All das, was wir aus Zuneigung und uneigennützig anderen Menschen gegenüber getan haben, wird weiter leben. So stelle ich mir die (leibliche) Auferstehung vor.