Engelforscher Johann Hafner über das Gebet gegen den Teufel

Heiliger Erzengel Michael, kämpfe für uns?

Veröffentlicht am 08.02.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Papst Franziskus hatte den Gläubigen jüngst das Gebet zum heiligen Erzengel Michael empfohlen. Doch wie soll man es einordnen? Professor Johann Hafner, katholischer Theologe und Religionswissenschaftler, ist Experte für Engel. Seine Meinung: Das Gebet könne man so heute nicht mehr beten.

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Papst Franziskus hat im Rosenkranzmonat Oktober den Gläubigen das Gebet zum heiligen Erzengel Michael empfohlen. Es ist ein Gebet, das zum Schutz der Kirche vor dem Teufel dienen soll. Doch wie soll man das einordnen? Professor Johann Hafner, katholischer Theologe und Religionswissenschaftler, ist Experte für Engel. Zum Erzengel-Michael-Gebet hat er eine deutliche Meinung.

Frage: Professor Hafner, wie ordnen Sie das Gebet zum Erzengel Michael ein?

Hafner: Das Gebet zum Heiligen Erzengel Michael habe ich im alten Gotteslob von 1975 unter der Nummer 284 gefunden. Es lautet so:

"Heiliger Erzengel Michael, steh' uns bei im Kampf! Gegen die Bosheit und Nachstellungen des Teufels sei Du unser Schutz. 'Gott gebiete ihm!', so bitten wir flehentlich. Du aber, Fürst der himmlischen Heerscharen, stoße den Satan und die anderen bösen Geister, die in der Welt umherschleichen, um die Seelen zu verderben, durch die Kraft Gottes hinab in die Hölle. Amen“.

Bis 1964 war es vorgeschrieben, dieses Gebet nach jeder heiligen Messe zu beten. Es wurde beim Zweiten Vatikanischen Konzil abgeschafft. Das ist auch gut so, denn dieses Gebet kann man so heute nicht mehr beten.

Frage: Warum nicht?

Hafner: Das Gebet vermittelt durch seine Zitate und seinen Ton die Atmosphäre einer unmittelbaren, apokalyptischen Bedrohung. Es bezieht sich inhaltlich auf die heilsgeschichtliche Endzeit, wie sie in der Johannes-Apokalypse beschrieben wird. Dort ist tatsächlich von einem Krieg im Himmel die Rede. Der Erzengel Michael ist der Anführer der himmlischen Heerscharen und kämpft gegen den endzeitlichen, teuflischen Drachen. Papst Leo XIII. hat das Gebet geschrieben und es im Jahr 1886 seiner Enzyklika beigefügt. In diesem Lehrschreiben sieht er die Welt in einem ständigen Kampf zwischen der Moderne, vor allem den Freimauren, und der Kirche.

Bild: ©Foto: Universität Potsdam

Johann Evangelist Hafner ist ein katholischer Theologe, Religionswissenschaftler und Philosoph an der Universität Potsdam. Er beschäftigt sich in seinen Forschungen unter anderem mit Engeln.

Frage: Aber Papst Franziskus empfiehlt dieses Gebet ausdrücklich …

Hafner: Ich finde es unnötig, ein Gebet zu empfehlen, das endzeitliche Ängste schürt. Katholiken leben momentan in keiner apokalyptischen Endzeit, in der man so ein Gebet sprechen müsste. Außerdem ist das Gebet Teil eines Laien-Exorzismus gegen den Teufel, den auch Papst Leo XIII. eingeführt hat. Die Anrufungsformel an den Erzengel Michael "Gebiete ihm", kommt dort genauso vor. Ich denke aber nicht, dass Papst Franziskus dieses Gebet so verstanden hat. Das Gebet ist eine pastorale Empfehlung, aber bestimmt keine Frömmigkeitsübung für jeden Tag. Das kann man heute einfach nicht mehr beten, außer vielleicht in einer Extremsituation.

Frage: Was wäre denn für Sie so eine Extremsituation?

Hafner: Wenn ein Dritter Weltkrieg ausbricht oder ein Komet auf der Erde einschlägt, also wenn die Welt komplett aus den Fugen gerät, dann könnte man so ein Gebet aus tiefster Verzweiflung herausschreien. Zwar gibt es auf der Welt viele Konfliktherde, aber wir steuern doch keinem globalen Krieg entgegen. Wir Katholiken sollten nicht der Versuchung nachgeben, die Geschichte als Verfallsgeschichte zu erzählen, wie es viele evangelikale Prediger tun. Nicht umsonst hat das Zweite Vatikanische Konzil die "Zeichen der Zeit" von apokalyptischen Vorzeichen zu Merkmalen gelingender Zivilisation umgedeutet. Ich bete gerne, aber dieses Gebet bestimmt nicht.

Frage: Das sehen manche amerikanischen Bischöfe aber anders und haben das Gebet sogar als Maßnahme gegen den Missbrauchsskandal in ihren Bistümern eingeführt

Hafner: Die Missbrauchskrise bringt schlimme Verbrechen zutage und es kommt an Aufarbeitung noch einiges auf die Kirchen zu. Doch wir haben in Deutschland Maßnahmen getroffen, in anderen Ländern ist das noch nicht passiert. Es besteht durchaus die Gefahr, dass der Missbrauchsskandal nicht nur eine Phase bleibt, sondern zu einem Dauerzustand der Kirche wird. Dann Gnade Gott, wie sehr da noch Vertrauen verloren geht und die Austrittszahlen weiter steigen werden! Aber diese Krise nun allein dem Teufel zuzuschreiben, finde ich absurd. Oft findet sich dieser Gedanke bei evangelikalen Gruppen, die meinen, nur durch das Gebet das Böse zurückweisen zu können und Gott so zum Sieg zu verhelfen. Doch Gott bereitet sich seinen Sieg selbst. Außerdem sehe ich in dem Gebet noch eine weitere Gefahr.

Erzengel Michael.
Bild: ©Renata Sedmakova/Fotolia.com

Erzengel Michael.

Frage: Welche denn?

Hafner: Das Gebet kann dazu führen, den Erzengel Michael mit Jesus Christus zu verwechseln. Bei den Zeugen Jehovas etwa wird der Erzengel tatsächlich mit Verweis auf die Johannes-Offenbarung mit Jesus identifiziert. Das kann man so lesen, weil auch im Alten Testament in der Bibel der "Engel des Herrn" oft so auftritt, als spräche Gott selbst. Aber diese Deutung entspricht nicht dem katholischen Verständnis. Dort wird klar zwischen dem Anführer-Engel und dem Sohn Gottes unterschieden. Der eine ist Geschöpf, der andere Gott. Man kann nicht zu einem Engel beten, als wäre er der Erlöser selbst.

Frage: Glauben Sie daran, dass es Engel überhaupt gibt?

Hafner: Ich glaube nur an den dreifaltigen Gott. Im Mittelalter hat man an Engel geglaubt und sie als reine Formen beschrieben. Heute würde man sagen, es sind lebendige Ideen oder logische Strukturen, die auch dann bestehen, wenn sie keiner denkt. In der langen Kirchengeschichte hat es nur eine dogmatische Entscheidung zu den Engeln gegeben: Laut dem Vierten Laterankonzil sind sie als Kreaturen zu denken. Man darf aber als Christ nie ausschließen, dass es Engel tatsächlich gibt, auch jenseits und unabhängig von der irdischen Welt. Engel kommen auch nicht direkt im Credo der Kirche vor, sondern nur angedeutet in der "unsichtbaren Welt". In der biblischen Sprache heißt das: Sie bewohnen den Himmel. Diese Vorstellung gehört zum christlichen Glauben dazu.

Die himmlischen Heerscharen.
Bild: ©Renáta Sedmáková / Fotolia.com

Die himmlischen Heerscharen.

Frage: Ist es hilfreich, sich im Gebet an Engel zu wenden?

Hafner: Es kann hilfreich sein, das zu tun. Allerdings ist es nicht heilsnotwendig. Wir haben so viele Heilige in der katholischen Tradition. Ich kann mich an den heiligen Josef, an den heiligen Hieronymus oder an die heilige Mutter Gottes als Fürsprecher für persönliche Anliegen wenden. Aber bei der Anrufung des Erzengels Michael, wird es heikel, wenn der Beter denkt, dass er in die kosmische Heilsgeschichte eingreifen kann, die sich zwischen Michael und dem Teufel abspielt.

Frage: Glauben Sie daran, dass es Schutzengel gibt?

Hafner: Für mich ist ein Schutzengel nicht nur eine Art und Weise, wie Gott ein persönliches Gesicht bekommt. Meistens wird in Predigten der Schutzengel vermenschlicht und meistens wird auf Erlebnisse hingewiesen, wie man in einer Gefahr bewahrt wurde. Das mag alles stimmen, aber damit vergibt man sich die Pointe, dass die Engel nicht nur Personifikationen unserer Wünsche, vor allem in Gefahr, sondern so etwas wie unser besseres Selbst sind. Wir sollten sie nicht zur Projektionen unserer Bedürfnisse machen. Sie zeigen eher die Gestalt, wie es wäre, wenn wir frei von Leidenschaften, frei von räumlichen und zeitlichen Begrenzungen leben könnten, wenn wir endlich aufhören könnten, uns nur um uns selbst zu sorgen, anstatt um Gott und den anderen.

Von Madeleine Spendier

Zur Person

Johann Evangelist Hafner hat katholische Theologie studiert und in Philosophie promoviert. 2001 erfolgte seine Habilitation für Fundamentaltheologie. Seit 2005 ist er nebenberuflicher Ständiger Diakon. Seit 2004 hat er die Professur für Religionswissenschaft mit dem Schwerpunkt Christentum an der Universität Potsdam inne. Schwerpunkte seiner Forschung sind Systemtheorie, Christentum als Religion, Angelologie und religiöse Lokalgemeinden.