Bode: Wir Bischöfe schauen die Wirklichkeit verschieden an
Für den Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode war das vergangene Jahr nicht leicht: Zehn Monate lang prägte eine schwere Krankheit sein Leben. An Weihnachten stand Bode erstmals wieder am Altar und ist nun zurück an der Spitze seines Bistums. Im Osnabrücker Bischofshaus hat er sich mit katholisch.de zum Gespräch über die drängenden Fragen der Kirche getroffen.
Frage: Bischof Bode, zu Beginn des Jahres haben Sie gesagt, dass die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals schneller und umfassender sein muss. Was läuft derzeit falsch?
Bode: Wir brauchen in der Bischofskonferenz viel Zeit für die Beschäftigung mit diesem Thema. Es sind nun aber schon mehr als 16 Jahre, in denen wir vom Missbrauchsskandal wissen. Trotzdem arbeiten wir noch immer nicht an den Kernfragen.
Frage: Woran liegt das?
Bode: Es sind schwierige Fragen, die in den Themenbereichen Beziehung und Sexualität liegen. Begünstigt die kirchliche Auffassung von Sexualität vielleicht Fehlformen? Inwieweit hängen Zölibat und sexuelle Verfehlungen zusammen? Die Grundfrage ist jedoch, wie Lebenswirklichkeit und Wahrheit zusammenhängen. Sage ich: Die Wahrheit ist so und danach hat sich alles zu richten? Das kann sich nach einer Einbahnstraße anhören. Oder gibt es einen Dialog zwischen der Lebenswirklichkeit der Menschen und der Lehre, sodass sie sich entwickeln und vertiefen kann? Darüber sind wir Bischöfe unterschiedlicher Auffassung.
Frage: Einige Ihrer Mitbrüder im bischöflichen Amt haben in diesem Punkt also Nachholbedarf?
Bode: So will ich das nicht nennen. Wir sind einfach verschiedener Auffassung, ohne dass ich das bewerten möchte. Wir schauen die Wirklichkeit verschieden an, was nicht heißt, dass wir uns über das Fundament des christlichen Glaubens nicht einig wären. Aber wir ziehen unterschiedliche Konsequenzen daraus.
Frage: Haben Sie deshalb auch eine Regionalisierung der Missbrauchsaufarbeitung angeregt?
Bode: Wir sind 65 Bischöfe in der Bischofskonferenz, da kann eine Regionalisierung eine gute Hilfe sein. Es gibt ja schon regionale Gruppen, die zusammenarbeiten, wie die Freisinger Bischofskonferenz oder die südwestdeutschen Bischöfe. Wir norddeutschen Bischöfe befinden uns in einer Diaspora-Situation, in der die offenen Fragen oft brennender sind als anderswo. Untereinander können wir in einem Vertrauensraum reden, uns leichter verständigen und vordenken. Und wenn wir dann, gerne auch gemeinsam mit anderen Bischöfen, eine Lösung für bestimmte Probleme gefunden haben, stellen wir sie in der Bischofskonferenz vor.
Frage: Ist es kirchenrechtlich nicht sowieso die Aufgabe der Bischöfe, die Missbrauchsaufarbeitung voranzutreiben? Sie sind schließlich die Gesetzgeber in ihren Diözesen.
Bode: Das ist richtig, aber wir machen es oft so, wie es gerade passt: Wenn wir an unterschiedlichen Meinungen festhalten wollen, sind wir eben Bischöfe, die allein handeln können. Ansonsten benutzen wir die Bischofskonferenz als Gemeinschaft, die uns bindet. Das kann eigentlich nicht sein. Nicht nur nach Außen ist es notwendig, dass wir eine gemeinsame, einmütige Form finden, um weiterzugehen – auch wenn sie nicht einstimmig sein muss.
Frage: Vor genau einem Jahr hatten sie sich dafür ausgesprochen, über eine Segnung für homosexuelle Paare nachzudenken. Hat sich ihre Meinung zu diesem Thema geändert?
Bode: Was wir brauchen, ist eine Form, mit der wir das Miteinander von Menschen würdigen, die bindungsbereit, verantwortungsvoll und treu in Liebe zueinander stehen. Es muss eine pastorale und auch eine liturgische Begleitung geben. Wie das dann genau aussieht, wird sich zeigen, aber ich bin sicher, dass die Kategorie des Segens dabei eine Rolle spielen wird. Diese Frage ist zudem wichtiger geworden, seit es die staatliche "Ehe für alle" gibt. Darauf müssen auch wir als Kirche bald reagieren. Wir dürfen Homosexualität nicht immer nur unter dem Aspekt schwerer Sünde behandeln. Dieses Thema polarisiert sehr, das merke ich an zahlreichen Zuschriften, die ich bekommen habe. Viele davon sind verletzend und gehen manchmal unter die Gürtellinie.
Frage: Im Zuge des Missbrauchsskandals wird immer wieder von Klerikalismus gesprochen. Wie verstehen Sie Klerikalismus?
Bode: Das Wort "Klerus" kommt von einem sehr schönen altgriechischen Wort und bedeutet soviel wie "zugefallenes Erbe". Kleriker sind die, die ein gutes Erbe von Gott mitbekommen haben: positive Kraft und Zuwendung von Gott in der Weihe. Klerikalismus missbraucht und pervertiert dieses Erbe, wenn er sich der Menschen bemächtigt, anstatt sie zum Leben zu ermächtigen. Das Wort lässt sich jedoch auch auf Laien anwenden, die ihre Sendung innerhalb der Kirche missbrauchen, um Menschen niederzuhalten.
Frage: Im Bistum Osnabrück leitet nun deutschlandweit erstmals ein hauptamtlicher Laie eine Pfarrei. Ist das auch eine Form, dem Klerikalismus entgegenzuwirken?
Bode: Wir sprechen im Bistum Osnabrück von einer Kirche der Beteiligung. Wir wollen, dass möglichst viele Gläubige aktiv an der Gestaltung der Kirche beteiligt sind: Getaufte, Gefirmte, Beauftragte, Gesendete, Geweihte – das sind schon fünf verschiedene Weisen. Diese Beteiligung ist ein Hindernis für Klerikalismus, weil man so Verantwortung und Macht teilt, sich austauscht und gegenseitig korrigiert. Wenn Sie in einem Team arbeiten, dann sind Sie kein Alleinherrscher. Insofern ist das ein sehr wichtiges Mittel gegen Klerikalismus.
Frage: Die Bistümer fahren verschiedene Konzepte. Das Bistum Trier etwa reduziert die Gemeinden drastisch. Im Bistum Osnabrück passiert das nicht. Warum ist Ihr Modell besser?
Bode: Wir müssen überschaubare Einheiten behalten. Bei zu großen Fusionen kann es leicht zu einem Zentralismus kommen, bei dem die einzelnen Gemeinden ihre Stärke verlieren. Denn auch wenn den Kirchorten ein Budget bleibt, wird ihnen letztlich das Vermögen genommen, weil sie keine Pfarreien mehr sind. Das darf man nicht unterschätzen, denn was einem nicht gehört, darum kümmert man sich nicht wirklich. Andererseits ist auch zu verstehen, dass man in Zukunft nicht mehr in jedem Ort mit 20 Leuten einen Gottesdienst feiern kann. Eine gewisse Mobilität kann man von den Gläubigen heute schon erwarten, vor allen Dingen für die Eucharistiefeier. Aber die Gewissheit, wir können vor Ort noch selbst gestalten, muss bleiben.
Frage: Wäre es dann aber nicht der nächste folgerichtige Schritt, Laien mehr Macht in der Kirche zu geben und eine Gewaltenteilung einzuführen?
Bode: Im Bistum Osnabrück sind wir auf diesem Weg. Etwa im Kirchensteuerrat und im Diözesanverwaltungsrat sitzen hauptsächlich Laien, die den Generalvikar überstimmen können. Ich fände es auch wünschenswert, wenn es in Deutschland einen gemeinsamen kirchlichen Gerichtshof für Straffälle gäbe. So könnten Missbrauchsfälle unabhängig und mit größerer Kompetenz behandelt werden.
„Wenn Laien eine hohe Verantwortung tragen, muss die Frage gestellt werden, ob man das nicht auch sakramental würdigt.“
Frage: Ist es also das Modell der Zukunft, Macht abzugeben und zu teilen?
Bode: Die kirchliche Vollmacht kulminiert im Bischof, und die kirchliche Gewaltenteilung wird anders aussehen als die des Staates. Der Bischof muss seine Vollmacht so handhaben, dass er sich an ein Miteinander bindet, das auch vertraglich festgeschrieben ist. Je mehr Instanzen es gibt, desto mehr wird das Handeln des Bischofs eingebunden. Insgesamt geschieht da schon viel, aber wir Bischöfe werden noch viel konsequenter sein müssen.
Frage: Im Oktober ist die Amazonassynode. In diesem Zusammenhang wurde viel über die Weihe von verheirateten Männern und "Viri probati" gesprochen. Haben Sie schon das Schreiben an den Papst fertig, in dem Sie um diese Möglichkeit der Weihe bitten?
Bode: (lacht) Nein, das Schreiben habe ich noch nicht fertig, aber ich bin sehr gespannt, welche Bewegung die Amazonassynode auslösen wird. Denn wenn Laien eine hohe Verantwortung tragen, muss die Frage gestellt werden, ob man das nicht auch sakramental würdigt. Das heißt also, die Frage der Weihe für Verheiratete stellt sich nicht nur wegen des Priestermangels. Deshalb sollten wir auch in Deutschland die Amazonassynode sehr hellhörig verfolgen und unsere Konsequenzen aus den Beschlüssen ziehen.
Frage: Aber ist es nicht klerikales Denken, die Laien weihen zu wollen, weil sie Verantwortung tragen? Warum können sie nicht einfach Laien bleiben?
Bode: Ich habe gar nichts dagegen, wenn es ein Gegenüber von Klerikern und Laien gibt, beide ergänzen sich. Aber in bestimmten Fällen könnte es doch sinnvoll sein, die hohe Verantwortung von Laien positiv in die sakramentale Struktur der Kirche einzubinden. Das ist natürlich schon durch Taufe und Firmung der Fall. Aber ich denke, dass es zwischen den Initiationssakramenten und der Weihe noch viel mehr geben kann.
Frage: Ihre zehnmonatige Krankheit war zeitweise lebensgefährlich. Wie hat diese Zeit Sie verändert?
Bode: Diese Krankheit war ein tiefer Einschnitt in mein Leben, eine wirkliche Grenzerfahrung. Ich habe jetzt noch mehr Verständnis für Menschen, die verwundet wurden oder schwere Schmerzen haben. Auch jetzt spüre ich, dass meine Kräfte sehr begrenzt sind. Ich will so viel tun und machen und kann es noch nicht wieder. Deswegen relativieren sich einige Dinge, etwa die vielen, vielen Sitzungen für alles Mögliche auf Ebene des Bistums und der Bischofskonferenz. Gerade da muss man sehr genau unterscheiden lernen, was wirklich wichtig ist und was nur wichtig gemacht wird.
Frage: Gibt es einen Punkt, den Sie besonders herausstellen möchten?
Bode: Während meiner Krankheit sind mir manchmal die Worte ausgegangen, auch die Gebetsworte. Da war es wohltuend zu erleben, was Eucharistie im Kern bedeutet. Die Kommunion wurde mir jeden Tag gebracht, sodass ich die Sakramentalität, die wir in der Kirche haben, neu erfahren durfte: Egal wie ich mich fühle und was ich kann, für die Eucharistie muss ich nichts tun. Das ist ein reines Annehmen und Beschenktwerden. In der Krankheit habe ich erfahren, wie wichtig das ist. Im Alltag kommt das manchmal zu kurz.