Die Politik muss handeln, damit der ländliche Raum Zukunft hat
Der mediale Blick auf den ländlichen Raum ist hierzulande ambivalent: Während Hochglanzmagazine das Land als romantisches Idyll präsentieren, herrscht in den Nachrichten meist ein negatives Bild vor, in dem vor allem Probleme wie Landflucht, eine schlechte Internetverbindung und mangelnde Perspektiven für junge Menschen thematisiert werden. Wie aber geht es dem Land und den Menschen, die dort leben, wirklich? Was muss getan werden, damit die ländlichen Räume lebenswert bleiben? Und wie steht es um das von der Politik ausgegebene Ziel der gleichwertigen Lebensverhältnisse? Diese und weitere Fragen beantwortet die Bundesvorsitzende der Katholischen Landjugendbewegung (KLJB), Stefanie Rothermel, im Interview mit katholisch.de.
Frage: Frau Rothermel, Ende November hat Bundesbildungsministerin Anja Karliczek die These vertreten, dass der neue Mobilfunkstandard 5G in Deutschland "nicht an jeder Milchkanne notwendig" sei. Das hat Sie als Interessenvertreterin des ländlichen Raums vermutlich ziemlich geärgert, oder?
Rothermel: Und wie! Für die Entwicklung auf dem Land ist eine zukunftsfähige technische Infrastruktur zwingend notwendig. Damit ländliche Räume eine gute Zukunft haben können, brauchen sie Anschluss an die Technologien des 21. Jahrhunderts – inklusive Internet an jeder Milchkanne. Nur dann kann es ihnen gelingen, mit den Städten Schritt zu halten und für die Menschen dauerhaft als Wohn- und Arbeitsort attraktiv zu bleiben.
Frage: War die Aussage von Frau Karliczek denn typisch für den Umgang der Politik mit dem Land?
Rothermel: Nein, das würde ich so nicht sagen. Allerdings habe ich schon den Eindruck, dass sich die Politik in den vergangenen Jahren zu sehr auf die Städte konzentriert hat und die Probleme der ländlichen Räume dabei etwas aus dem Blick geraten sind. Erschwerend kommt sicher hinzu, dass die ländliche Entwicklung ein Querschnittsthema ist, das zwar in fast allen Ministerien irgendwie eine Rolle spielt, aber nirgends richtig beheimatet ist. Das führt dazu, dass die Probleme der Menschen auf dem Land oft nicht mitgedacht werden.
Frage: Könnte das von Horst Seehofer und der CSU auf Bundesebene initiierte Heimatministerium hier Abhilfe schaffen?
Rothermel: Das muss man abwarten. Grundsätzlich bin ich zuversichtlich, dass das Ministerium die ländlichen Räume und die ländliche Entwicklung stärker in den Fokus rücken wird. Allerdings braucht das wohl noch etwas Zeit.
Linktipp: Ein kirchlicher "Hausarzt" für Bauern in Not
Ob sinkende Milchpreise, schlechte Ernten oder Konflikte auf dem Hof: Im Bistum Trier bietet man Bauern in Not Hilfe an. Wie die Kirche das konkret tut, erklärt Berater Harald Klein im Interview. (Interview von März 2018)Frage: In Bayern gibt es bereits seit 2013 ein Heimatministerium, das sich besonders um die ländlichen Räume jenseits der großen Städte im Freistaat kümmert. Haben die ländlichen Regionen davon profitiert?
Rothermel: Ja, ich denke schon. Zumindest hat das Ministerium dafür gesorgt, dass die ländlichen Räume und ihre Bewohner wieder stärker in den Blick der Landespolitik geraten sind und nicht mehr nur die großen Städte im Fokus stehen.
Frage: Zu tun gibt es mit Blick auf den ländlichen Raum trotzdem noch genug – nicht nur in Bayern, sondern bundesweit. Die mangelhafte technische Infrastruktur auf dem Land haben Sie bereits angesprochen. Was sind weitere Probleme?
Rothermel: Ein Hauptproblem ist die Arbeitsplatzsituation auf dem Land. Hier muss es dringend Verbesserungen geben! Junge Menschen, die ihre Heimatregion für eine Ausbildung oder ein Studium verlassen, müssen die Chance haben, nach ihrem Abschluss wieder zurückzukommen. Dafür braucht es zukunftsfähige Arbeitsplätze in allen Bereichen – und nicht nur in den klassischen "Landberufen". Mindestens genauso wichtig ist ein flächendeckender Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Auch Menschen auf dem Land sind darauf angewiesen, möglichst schnell und unkompliziert von A nach B zu kommen. Wem nützt es etwas, wenn in einem Dorf nur einmal am Tag ein Bus in die nächste Stadt fährt?
Frage: Digitalisierung, Arbeitsplätze, Nahverkehr: Neu sind die Probleme nicht, die Sie ansprechen – trotzdem tut sich im ländlichen Raum kaum etwas. Warum?
Rothermel: Weil die Politik die Probleme nicht angeht oder sich zu viel Zeit lässt. Beispiel Digitalisierung: Seit Jahren klagen Unternehmen auf dem Land, dass sie wegen schlechter Internetverbindungen nicht in der Lage sind, den digitalen Herausforderungen adäquat zu begegnen – doch geschehen ist kaum etwas. Wenn die ländlichen Regionen nicht vom technischen Fortschritt abgehängt werden sollen, muss die Politik jetzt dringend handeln.
Frage: Die Maßnahmen, die Sie für die Entwicklung des ländlichen Raums fordern, kosten sehr viel Geld. Allein beim Thema Digitalisierung geht es um Milliardenbeträge...
Rothermel: Klar – aber was wäre die Alternative? Sollen wir die ländlichen Regionen vom gesellschaftlichen und technischen Fortschritt abkoppeln, nur weil es zu teuer ist? Ich bin der festen Überzeugung, dass die Gesellschaft insgesamt solidarisch sein muss und niemand zurückgelassen werden darf. Und das gilt selbstverständlich auch für die Menschen auf dem Land. Hinzu kommt: Die ländlichen Regionen versorgen Deutschland. Die Landwirte sorgen jeden Tag dafür, dass die Menschen im ganzen Land in den Supermarkt gehen und tolle Lebensmittel einkaufen können. Deshalb ist es im Interesse aller, die ländlichen Regionen durch kluge Investitionen in die Infrastruktur zu stärken und zukunftsfähig zu machen.
Frage: Sie selbst sind auf dem Land aufgewachsen und werben als KLJB-Bundesvorsitzende unermüdlich für diesen Lebensraum. Wie kann es gelingen, trotz der beschriebenen Probleme langfristig wieder mehr Menschen für ein Leben auf dem Land zu begeistern?
Rothermel: Ich denke, dass wir stärker aufzeigen müssen, was das Leben auf dem Land alles zu bieten hat. Ich bin überzeugt: Man kann auf dem Land – gerade im Vergleich zum Leben in der Stadt – ganz viel gewinnen! Die Gemeinschaft auf dem Land ist einfach toll; die Menschen halten zusammen, man kennt sich, man grüßt sich. Das ist ein Lebensgefühl, das Spaß macht. Hinzu kommt: Das Leben auf dem Land ist gesünder. Es ist ruhiger und man ist viel an der frischen Luft, während man in der Stadt eher mal im Stau steht.
Frage: Dafür ist der nächste Arzt oder Supermarkt oft ziemlich weit weg. Wer mobilitätseingeschränkt ist, hat da schnell ein Problem...
Rothermel: Umso wichtiger ist es, auch hier durch kluge Anreize Abhilfe zu schaffen. Da ist ebenfalls die Politik gefordert. Es müsste viel stärker versucht werden, mit Förderprämien und einer intelligenten Investitionspolitik eine gute Nahversorgung im ländlichen Raum zu entwickeln. Das gebietet im Übrigen auch das von der Politik ausgegebene Ziel der gleichwertigen Lebensverhältnisse in ganz Deutschland.
Frage: Sind diese gleichwertigen Lebensverhältnisse mit Blick auf die fundamentalen Unterschiede zwischen Stadt und Land nicht bloß eine Illusion?
Rothermel: Das denke ich nicht. Es geht dabei ja nicht darum, in einem kleinen Dorf eins zu eins dasselbe Angebot an Nahversorgungsmöglichkeiten oder Kultureinrichtungen aufzubauen wie in einer großen Stadt. Das wäre unrealistisch, und das will auch keiner. Wichtig ist aber, dass die Politik keine Region in Deutschland vernachlässigt und vor Ort jeweils Projekte und Einrichtungen fördert, die jeweils passend sind. Konkret: Die Politik muss im ländlichen Raum keine Opern oder Kinos bauen, sie sollte aber ein vielfältiges Vereinsleben fördern, aus dem heraus auch in kleineren Dörfern spannende Kulturangebote angeboten werden können.