Standpunkt

"Es gibt keine Internationale der Nationalisten"

Veröffentlicht am 25.01.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Am 29. März wird der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union erfolgen - mit oder ohne Abkommen. Aktuell werden Stimmen nach einem zweiten Referendum und einem Verbleib in der EU laut. Doch so leicht wird man die Geister, die man rief, nicht wieder los, kommentiert Pater Klaus Mertes.

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Es sind aufwühlende Tage, nicht nur in Großbritannien, nicht nur auf der irischen Insel, deren innerer Friede durch den BREXIT besonders tangiert ist, sondern auch für ganz Europa. Zum ersten Mal seit vielen Jahrzehnten beschleicht mich das Gefühl, wie sehr es stimmt zu sagen, dass Frieden niemals ein gesichertes Gut ist. Natürlich, das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Es wird aber in diesen Tagen mehr denn je deutlich, dass das europäische Einigungsprojekt eben ein Versöhnungs- und Friedenprojekt war und ist. Der Leichtsinn, mit dem es in den letzten Jahren von vielen Seiten her, übrigens auch von katholischen Stimmen, grundsätzlich in Frage gestellt wurde, zeitigt nun seine giftigen Früchte.

Es ist eben eine Illusion zu meinen, es könne ein Europa geben, in dem voneinander unabhängige, mit sich selbst und ihrer Identität zufriedene Nationen nebeneinander leben, ohne einander zu stören und zu belästigen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Alternative zum Zusammenwachsen Europas ist der Zerfall Europas, nicht etwa ein friedlicher Mittelzustand zwischen Zusammenwachsen und Zerfall. Es gibt keine tragfähige Internationale der Nationalisten, nur kurzfristige Bündnisse der nationalen Egoisten mit dem Zweck, den Zerfall Europas zu fördern, um dann die jeweils eigenen nationalen Interessen umso rücksichtsloser vertreten zu können.

Am Beispiel des BREXIT kann man auch erkennen: Die Geister des Nationalismus, wenn sie einmal gerufen sind, wird man nicht einfach wieder los, zum Beispiel dadurch, dass man auf einen Punkt Null zurückkehrt und ein zweites Referendum in Gang setzt. Der Nationalismus hinterlässt, je weiter er voranschreitet, irreversible Brandspuren in der Geschichte der Völker. Mit diesen Spuren ist in Zukunft zu rechnen.

Die Vision des Evangeliums lautet: Einheit aller Nationen im Reich Gottes (Gal 3,28); Einheit, die Vielfalt gelten lässt, aber Inferiorität- oder Superioritätskomplexe überwindet (1 Kor 12). Diese Vision kann heute wieder neue Kräfte in den Kirchen inspirieren: In den Gemeinden, in den Verbänden – und so auch Christgläubige heute neu motivieren, mit Elan politische Verantwortung in der Gesellschaft  anzustreben.

Von Pater Klaus Mertes

Der Autor

Der Jesuit Klaus Mertes ist Direktor des katholischen Kolleg St. Blasien im Schwarzwald.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von katholisch.de wider.