Koch: Wachsendem Antisemitismus in Deutschland entgegentreten
Die deutliche Zunahme von antisemitischen Straftaten in Deutschland sorgt bei Kirche, Politik und Zivilgesellschaft für Betroffenheit. "Der Anstieg von Gewalt gegen Juden ist ein alarmierendes Signal für die Entwicklung unserer Gesellschaft", erklärte der Berliner Erzbischof, Heiner Koch, am Mittwoch. "Antisemitische Gewalttaten treffen unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, aber sie betreffen uns alle." Die Christen stünden an der Seite der Juden und würden "nicht nachlassen, uns für die Verständigung und das Miteinander in unserer Gesellschaft einzusetzen", betonte der Erzbischof.
Nach einer vorläufigen Statistik hat die Polizei 2018 bundesweit 1.646 Taten, knapp zehn Prozent mehr als im Vorjahr (1.504), registriert, wie der Berliner "Tagesspiegel" berichtet. Die Zahlen stammen aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag. Gegen Juden gerichtete Gewalttaten stiegen im selben Zeitraum sogar um rund zwei Drittel, von 37 auf 62. Bei diesen Taten wurden den Angaben zufolge 43 Personen verletzt.
Die Polizei habe 857 Tatverdächtige ermittelt, hieß es weiter. 19 von ihnen wurden festgenommen. Haftbefehle wurden nicht erlassen. Aus früheren Antworten der Regierung zu antisemitischen Delikten im Jahr 2018 geht nach Angaben des Blattes hervor, dass die meisten Täter aus rechtsextremen Milieus stammen. Eine Umfrage der EU-Grundrechteagentur hatte im vergangenen Jahr allerdings ein anderes Bild ergeben: Demnach sagten 41 Prozent der befragten Juden in Deutschland, dass die Täter einen muslimischen Hintergrund gehabt hätten, 20 Prozent ordneten die Täter rechts ein.
Anstieg antisemitischer Vorfälle in Europa
Auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, zeigte sich beunruhigt: "Die jüngsten Zahlen sind zwar noch nicht offiziell, aber geben zumindest eine Tendenz wieder - und die ist erschreckend. Was sich unter Juden bereits als subjektiver Eindruck verfestigt hatte, bestätigt sich jetzt in der Statistik." Zudem sei zu bedenken, dass die Statistik keine Taten berücksichtige, die strafrechtlich nicht relevant sind. Es brauche mehr Engagement gegen Antisemitismus von Politik, Polizei und Justiz, so Schuster.
"Jetzt wird noch mehr deutlich, dass jenseits aller pädagogischen Aufklärung und der Appelle der Politik jeder einzelne Bürger in seinem Umfeld gefordert ist, dem Gift des Antisemitismus entgegenzutreten", sagte der Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner. Für Auschwitz-Überlebende sei der Anstieg antisemitischer Vorfälle in Europa eine "beängstigende und abgrundtief traurige Entwicklung". Anfang der Woche war bekanntgeworden, dass in Frankreich die Zahl antisemitischer Vorfälle zwischen 2017 und 2018 noch deutlich stärker angestiegen ist als in Deutschland: von 311 auf 541.
Für die katholischen Bischöfe in Deutschland bleibt unterdessen das Gespräch mit dem Judentum von herausgehobener Bedeutung. In einer am Mittwoch in Bonn von der Deutschen Bischofskonferenz veröffentlichten Stellungnahme betonen sie, sich weiterhin gegen jede Form von Antisemitismus und für die Förderung jüdischen Lebens einsetzen zu wollen. Zu den Voraussetzungen des Dialogs gehöre ferner, "dass die Kirche keine Judenmission betreibt und auch keine Interessen dieser Art verfolgt". (tmg/KNA)