Papst: "Das heilige Gottesvolk schaut auf uns..."
Papst Franziskus hat die katholische Kirche zu konkreten Maßnahmen im Kampf gegen sexuellen Missbrauch aufgerufen. "Das heilige Gottesvolk schaut auf uns und erwartet von uns nicht nur einfache Verurteilungen, sondern konkrete und wirksame Maßnahmen. Wir müssen konkret werden!", sagte er am Donnerstagmorgen im Vatikan. Auf dem Weg dahin seien Glaube, Redefreiheit, Mut, Klarheit und Kreativität nötig, so Franziskus bei der Eröffnung des viertägigen weltweiten Bischofstreffens im Vatikan zum Kinderschutz in der Kirche.
Franziskus mahnte, den "Schrei nach Gerechtigkeit der Kleinen" zu hören. Die Muttergottes bat der Papst, um "Erleuchtung, bei der Suche nach Wegen, wie wir die schweren Wunden heilen können, die der Skandal des Kindesmissbrauchs unter den Kleinen und unter den Gläubigen verursacht hat". Das Treffen in der vatikanischen Synodenaula begann am Donnerstagmorgen mit einer Schriftlesung, der Verlesung eines Zeugnisses eines Opfers sowie einer langen Schweigeminute.
Gemeinsam, aufrichtig und tiefgehend diskutieren
Die "seelsorgliche und kirchliche Verantwortung" verpflichte alle Teilnehmer, gemeinsam, aufrichtig und tiefgehend zu diskutieren, "wie dieses Übel, das die Kirche und Menschheit plagt, angegangen werden muss", sagte der Papst. Als Diskussionsgrundlage sollen den Teilnehmern Kriterien von Bischofskonferenzen und Kommissionen dienen. Franziskus betonte, diese seien ein Ausgangspunkt und sollten nicht "die Kreativität einschränken, die es bei diesem Treffen braucht".
An dem Gipfeltreffen im Vatikan nehmen die Vorsitzenden aller Bischofskonferenzen, Vertreter der unierten Ostkirchen, 22 männliche und weibliche Ordensobere sowie Behördenleiter und Experten aus dem Vatikan teil. Auch einige Missbrauchsopfer sollen bei dem Treffen berichten.
Missbrauchsvertuschung und Täterschutz in der Kirche hat Manilas Kardinal Antonio Tagle im ersten Redebeitrag des Bischofstreffens verurteilt. "Das Fehlen von Antworten auf das Leid der Opfer, bis hin zu ihrer Zurückweisung und der Vertuschung des Skandals zum Schutz der Vergewaltiger und der Institution hat unser Volk gebrochen", sagte der 62-Jährige am Donnerstag im Vatikan. Der erste Tag des Gipfels steht unter dem Thema "Verantwortung".
"Wie können wir unseren Glauben an Gott bezeugen, wenn wir unsere Augen verschließen angesichts all der durch Missbrauch verursachten Wunden?", fragte der Kardinal in der Synodenaula. Es sei nötig, den "ärmlichen Umgang mit diesen Verbrechen" und eigene Fehler einzugestehen. Auch Bischöfe hätten durch diese Fehler dazu beigetragen, Menschen zu verwunden.
Tagle forderte zur Übernahme persönlicher Verantwortung auf. "Wir müssen uns verpflichten, alles in unserer Macht stehende zu tun, damit Minderjährige und verletzliche Erwachsene sicher sind", so der Kardinal.
Bischöfe "verdienen" Vergebung nicht
Um die Krise zu überwinden und die Wunden der Opfer sowie auch der Kirche zu heilen, sind laut Tagle besonders Gerechtigkeit und die Bitte um Vergebung wichtig. "Wir als Kirche sollten weiterhin an der Seite derer gehen, die so tief von Missbrauch verletzt wurden, indem wir Vertrauen bilden, unbedingte Liebe aufbieten und immer wieder um Vergebung bitten", so Tagle. Die Bischöfe müssten sich bewusst sein, dass sie diese Vergebung nicht verdienten, sondern sie nur als "Geschenk und Gnade" im Heilungsprozess empfangen könnten.
Die Kirche müsse den Menschen nahe sein, ihre Wunden teilen und Mitgefühl zeigen, sowie Angst vor eigenem Schmerz und Verletzlichkeit ablegen. Es sei wichtig, dass die Kirche sich neben den Opfern auch um die Täter kümmere und diesen helfe, "der Wahrheit ins Gesicht zu sehen", so Tagle.
Einen Anstoß für die weltweite Überwindung des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen erhofft sich Kardinal Reinhard Marx vom Vatikan-Gipfel zum Thema Kinderschutz. Zum Auftakt des Treffens räumte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz am Donnerstagmorgen in Rom ein, dass in manchen Ländern die Tragweite des Problems noch nicht ausreichend erkannt werde. Der vom Papst einberufene weltweite Gipfel in Vatikan werde aber dazu beitragen, "dass alle Bischöfe der Weltkirche begreifen, dass wir uns dem stellen müssen."
Marx sagte, er hoffe, dass von dem Treffen auch ein Impuls über die Kirche hinaus in die gesamte Gesellschaft ausgehen werde, um "dieses furchtbare Übel zu überwinden". "Wir dürfen niemals mehr dulden, dass Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht werden", erklärte der Münchner Erzbischof.
"Wir sind in Deutschland schon sehr weit"
Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck erhofft sich vom Anti-Missbrauchsgipfel weltweite Fortschritte. Es gehe darum, das Problembewusstsein in allen Bischofskonferenzen und allen Ländern der Erde zu schärfen, sagte er am Donnerstag im ARD-Morgenmagazin. "Wir sind in Deutschland schon sehr weit." In anderen Ländern sei das anders. Nun sollten Ziele benannt werden, die weltweit bindend seien. So müsse vor allem der Opferschutz "mit allen Konsequenzen" in den Mittelpunkt gestellt werden, sagte Overbeck. Zugleich sei eine klare Haltung in Sachen Prävention und Täterverfolgung notwendig.
Den Zölibat könne man nicht ursächlich verantwortlich für sexuellen Missbrauch machen, betonte der Bischof. Das bestätigten alle Wissenschaftler. Vielmehr sei es notwendig, auf sexuelle Reife zu drängen, die für jeden Menschen von Bedeutung sei - "erst recht für Priester". Zudem gelte es, sensibel zu bleiben für alle Fragen der Beziehungsfähigkeit.
Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, warnte vorab vor zu großen Erwartungen an den Anti-Missbrauchsgipfel. "Ich befürchte, dass wir große Reformschritte nicht von einer solchen Tagung erwarten können", sagte Sternberg der Funke-Mediengruppe (Donnerstag). Das Treffen an sich bewertete der Vertreter des höchsten repräsentativen Gremiums des deutschen Laien-Katholizismus positiv: "Niemand wird nach dieser Konferenz noch sagen können, dass ein Land oder eine Region nicht betroffen wäre", so Sternberg. Er erwarte, dass die Reformwilligen in der Kirche nicht ausgegrenzt würden.
Der ZdK-Präsident äußerte zudem die Hoffnung, dass die nationalen Bischofskonferenzen gestärkt werden, "damit ein einheitliches Vorgehen bei Missbrauchsskandalen möglich wird. Es gibt kirchliche und staatliche Gesetze, die konsequent angewandt werden müssen", betonte Sternberg weiter. Er bemängelte, dass es bei den deutschen Bistümern dieses einheitliche Vorgehen nicht gebe und dass die Aufklärungsarbeit sehr unterschiedlich laufe. Die Erschütterung in Deutschland sei zu Recht sehr groß: "Die katholische Kirche in Deutschland hat erkannt, dass etwas passieren muss. Es gibt den klaren Willen zu Reformen und zu Mechanismen, die einen weiteren Missbrauch verhindern", erklärte Sternberg: "Wir werden hart arbeiten müssen, um verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Das gilt nicht nur für Bischöfe und Priester, sondern auch für die Laien." (tmg/KNA)
21.2., 11:47 Uhr: Ergänzt um den ersten Redebeitrag von Kardinal Tagle.