Zwischen Wendepunkt und großer Enttäuschung
Am Sonntag hat Papst Franziskus das viertägige Gipfeltreffen gegen Missbrauch in der Kirche fast so beendet, wie alle mehrtägigen vatikanischen Veranstaltungen enden: Mit einer Messe. Aber einiges war anders als sonst. Es gab keine große Eucharistiefeier im Petersdom. Mit den 190 Teilnehmern, hauptsächlich Vorsitzende der Bischofskonferenzen weltweit, aber auch Ordensobere, Chefs von Vatikanbehörden und Experten zum Thema Missbrauch und Kinderschutz, feierte der Papst in der "Sala Regia", dem Königssaal, in dem sonst der Neujahrsempfang des Diplomatischen Corps stattfindet. Und der Papst predigte nicht – er ergriff erst am Schluss das Wort für eine programmatische Rede.
Er sprach knapp eine halbe Stunde lang und zunächst schien es, als würde Franziskus die Kirche auslassen und nur über das weltweite Phänomen Missbrauch sprechen, das hauptsächlich in Familien geschehe und auch Themen wie Sextourismus und Kinderpornografie umfasse. Opfer von Missbrauch durch Geistliche reagierten prompt und empört. Es folgte ein theologischer Teil, in dem der Papst erklärte, Geistliche, die Kinder missbrauchten, machten sich zu Werkzeugen des Teufels. Er führte aus: "In den Missbräuchen sehen wir die Hand des Bösen, das nicht einmal die Unschuld der Kinder verschont." Die Kirche erblicke "in der gerechtfertigten Wut der Menschen den Widerschein des Zornes Gottes, der von diesen schändlichen Gottgeweihten verraten und geohrfeigt wurde".
Die beiden Übel nach Papst Franziskus
Dann sprach Franziskus die Übel innerhalb der Kirche an: Klerikalismus und Machtmissbrauch. In der Kirche sei der Missbrauch "schwerwiegender und skandalöser, weil er im Gegensatz zu ihrer moralischen Autorität und ihrer ethischen Glaubwürdigkeit steht". Der Papst legte acht Leitlinien vor, auf die sich die Kirche in Zukunft konzentrieren solle: Kinderschutz, "absolute Ernsthaftigkeit" gegen Relativierungen, "wirkliche Reinigung", eine bessere Auswahl und Ausbildung von Priesteramtskandidaten, die Leitlinien der Bischofskonferenzen sollen Normen werden, missbrauchte Personen begleitet sowie Kinderpornografie und Sextourismus bekämpft werden.
Wenige Stunden nach dem Gottesdienst kündigte der Vatikan mehrere weitere Maßnahmen an. Denn ein konsequentes Durchgreifen gegen Täter auch im Inneren des Vatikans wurde von den Veranstaltern bereits vor dem Treffen angekündigt – und die ersten Reaktionen auf die Papstrede fielen außer bei den Opfern auch bei Theologen und katholischen Verbänden negativ aus.
Neues Gesetz für den Vatikanstaat
Bald soll es ein päpstliches "Motu proprio" zum Schutz von Minderjährigen und Veränderungen des Kirchenrechts geben sowie ein neues Gesetz für den Vatikanstaat, verkündete der Moderator des Treffens und Ex-Vatikansprecher Federico Lombardi. Zudem werde die Glaubenskongregation eine Schritt-für-Schritt-Handreichung für Bischöfe herausgeben, wie mit Fällen umzugehen sei und wie Prävention auszusehen habe. Auch eine Art "Task Force" soll geschaffen werden, die jenen Bistümern helfen soll, die sich bislang schwer tun, den Missbrauchsskandal anzugehen und Präventionsmaßnahmen in die Wege zu leiten.
In den drei Tagen zuvor widmeten sich die Teilnehmer im Plenum und in elf Sprachgruppen drei Themen: Zu Beginn am Donnerstag wurden sie über ihre seelsorglichen, rechtlichen und spirituellen Aufgaben beim Kinderschutz informiert. Am zweiten Tag ging es um ihre Rechenschaftspflicht. Der Samstag war der Transparenz bei Missbrauchsfällen gewidmet, sowohl in der Kirchenleitung als auch gegenüber dem Kirchenvolk, Gott, den Zivilbehörden sowie der Öffentlichkeit.
Dazu empfahl der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, die Einführung einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit. Nur so könnten sich alle Menschen gegen Fehler kirchlichen Verwaltungshandelns wehren. Im geltenden Kirchenrecht haben nur Kleriker diese Möglichkeit. Der Forderung nach Transparenz widerspreche auch der juristische Grundsatz der Unschuldsvermutung für Beschuldigte nicht, führte Marx aus. Erzbischof Charles Scicluna, der vatikanische Chefaufklärer bei Missbrauchsfällen, sprach sich dafür aus, dass mehr Informationen geteilt werden. Bislang würden die Opfer nicht informiert, wie ihre Kirchenprozesse ausgingen.
Auch die dienstälteste Vatikan-Journalistin Valentina Alazraki sprach vor den Kirchenoberen über Transparenz: "Wenn Sie gegen Missbrauch und Vertuschung sind, können wir Verbündete sein." Sollten die Bischöfe und Oberen aber "nicht radikal auf der Seite der Kinder, Mütter, Familien und Zivilgesellschaft sein, dann haben Sie mit Recht Grund zur Sorge", warnte die Mexikanerin. In 45 Jahren als Vatikan-Korrespondentin habe sie erlebt, dass Journalisten unterstellt worden sei, für Missbrauchsskandale verantwortlich zu sein oder durch deren Aufdeckung die Kirche zerstören zu wollen.
Starke Redebeiträge von Frauen
Überhaupt gab es starke Redebeiträge von den Frauen, die neben den (Erz-)Bischöfen drei der insgesamt neun Referate hielten. Die nigerianische Ordensobere Veronika Openibo verlangte, die Ausbildung von Priestern grundlegend zu überdenken. Angesichts des Missbrauchs müssten kirchliche Ausbildungshäuser, die bei künftigen Geistlichen ein falsches Überlegenheitsgefühl fördern, in Frage gestellt werden, erklärte sie. Als ein Bischof kritisch nachfragte, gab Openibo ihm zu verstehen, dass da einiges im Argen liege. Der Papst bestätigte sie in dem Moment mit einer aufmunternden Geste. Gemischte Kommissionen in jedem Bistum könnten das Handeln der Bischöfe kritisch begleiten, schlug sie vor.
Auch auf den Redebeitrag von Linda Ghisoni von der Päpstlichen Behörde für Familie und Leben reagierte der Papst in einer für den Vatikan ungewöhnlicher Weise: Er ergriff am Freitagabend das Wort und dankte ihr öffentlich. Die Kirche, die eine Frau sei, habe selbst gesprochen, so der Papst. "Als ich Dr. Ghisoni zuhörte, hörte ich die Kirche von sich selbst sprechen." Es gehe nicht darum, den Frauen in der Kirche mehr Funktionen zu geben – "ja, das ist gut, aber so wird das Problem nicht gelöst", fügte er hinzu. "Es geht darum, Frauen als Figuren der Kirche in unser Denken zu integrieren. Und auch an die Kirche mit den Kategorien einer Frau zu denken."
Gegengipfel im Schatten des Petersdoms
Und was ist mit den Missbrauchsopfern? Die Bischöfe hörten drei Tage lang Berichte von Opfern, etwa von einer Frau, die von einem Priester zum Sex und anschließend zu Abtreibungen gezwungen wurde. Aber Opferverbände selbst waren nicht eingeladen und veranstalteten kurzerhand auf eigene Kosten eine Art Gegengipfel im Schatten des Petersdoms. Nur wenige Bischöfe suchten aktiv Kontakt zu ihnen, darunter Marx, der englische Primas Vincent Nichols und der Luxemburger Erzbischof Jean-Claude Hollerich.
Am Sonntagvormittag forderte der Vorsitzende der Australischen Bischofskonferenz, Erzbischof Mark Coleridge, eine "kopernikanische Wende" in der Kirche. Missbrauchsopfer drehten sich nicht um die Kirche sondern stünden im Mittelpunkt und die Kirche müsse sich um sie drehen, sagte er in seiner Predigt beim Abschlussgottesdienst. Er verlangte eine echte Bekehrung und konsequente Erneuerung, damit die Kirche zu einem besseren und sicheren Ort für die Schwächsten werde. Jetzt sei wichtig, dass aus Worten Taten werden, fügte Kardinal Marx in seinem Schlussstatement am Sonntagmittag hinzu.