Anti-Missbrauchsgipfel: Das sagen Deutschlands Bischöfe und Theologen
Aus Sicht des Trierer Bischofs Stephan Ackermann ist der Anti-Missbrauchsgipfel im Vatikan im Ergebnis "doch ein bisschen vage" geblieben nach vielen starken und offenen Worten während des Treffens. Er habe sich zum Abschluss "eine Art to-do-Liste" erhofft, einen konkreteren Fahrplan für die nächsten Schritte, sagte der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz am Sonntagabend in der ARD-Talkshow "Anne Will".
Insgesamt aber, so Ackermann weiter, seien bei dem viertägigen Treffen viele wichtige Themen klar und offen angesprochen worden. Papst Franziskus sei es vor allem darum gegangen, die Bischöfe aus aller Welt auf denselben Stand zu bringen, was das Bewusstsein für den Umgang mit Missbrauch angehe. Und das sei sicher gelungen. Verständnis äußerte der Bischof für die Kritik etlicher Missbrauchsopfer daran, dass diese nicht selbst an den Diskussionen teilnehmen konnten. Zwar seien bei allen Sitzungen eindrucksvolle vorab aufgezeichnete Zeugnisse von Betroffenen zu hören gewesen, doch "es wäre wahrscheinlich gut gewesen, noch mehr direkte Kontakte zuzulassen".
Ackermann verteidigt Papst Franziskus
Der Bischof verteidigte zudem Papst Franziskus gegen die Kritik, dieser habe die Missbrauchstaten von Geistlichen verharmlosen wollen, indem er darauf hingewiesen habe, dass es auch in Familien oder Sportvereinen Missbrauch gebe. Der Papst habe keinesfalls etwas relativiert, so Ackermann, denn er habe zugleich betont, dass solche Taten im Umfeld der Kirche umso schlimmer seien. Unter anderem hatte der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller die Abschlussrede des Papstes ein "Fiasko" genannt.
Der Passauer Bischof Stefan Oster forderte im Interview mit der "Passauer Neuen Presse" (Montag) unter anderem eine eigene kirchliche Gerichtsbarkeit für Missbrauchsfälle, "damit die Verfahren für Priester nicht immer langwierig und zum Teil ergebnislos über Rom laufen müssen". Darüber hinaus sei eine "intensive Kooperation mit staatlichen und anderen unabhängigen kompetenten Stellen" notwendig. Weitere und raschere Verbesserungen mahnte er auch in den Punkten an, zu denen sich die Bischofskonferenz bereits verpflichtet hat: "zum Beispiel Professionalisierung der Personalaktenführung, hohe und kontrollierbare Standards bei der Prävention, unabhängige Anlauf- und Beratungsstellen, Aufarbeitung der systemischen Aspekte, die Missbrauch begünstigen und eine Überprüfung der Art und Weise, wie wir Betroffene begleiten und entschädigen".
Wie Ackermann verteidigte auch Oster die Abschlussrede von Papst Franziskus gegen die zum Teil heftige Kritik: "Ich war sehr gespannt, was der Papst sagen würde, und bin dankbar für seine Klarheit." Insgesamt müsse es vor allem darum gehen, "weltkirchlich ein Bewusstsein dafür herzustellen, welche dramatischen Folgen Missbrauch für Betroffene hat und dass wir als Kirche alles uns Mögliche tun müssen, um das zukünftig zu verhindern." Alle kirchlichen Bemühungen müssten zuerst den Opfern gelten "und nicht zuerst dem Schutz der Institution".
Marx: Papst ist nicht zu allgemein geblieben
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, betrachtet den Anti-Missbrauchsgipfel als wichtigen Schritt hin zu einer weltweiten Bewegung gegen sexualisierte Gewalt. Die Konferenz habe "noch einmal einen Schub gegeben, dass die ganze Weltkirche sieht, hier ist eine Herausforderung, der wir uns alle stellen müssen", sagte er am Sonntagabend im ZDF-"heute journal". "Aber es ist nicht die letzte Konferenz, und es wird ein weiterer Weg notwendig sein", so der Münchner Erzbischof.
Den Vorwurf, Papst Franziskus sei in seiner Ansprache zum Abschluss der viertägigen Konferenz zu allgemein geblieben, wies Marx zurück. "Er hat schon sehr konkret gesprochen in seinen sieben Punkten." Franziskus habe "einige Guidelines, Richtlinien" vorgegeben, "aber nicht alles kann von Rom erledigt werden". Die Bischöfe seien nun gefordert, in der großen Linie - "keine Vertuschung, Hinschauen auf die Opfer, Aufarbeitung der Vergangenheit" - voranzuschreiten. Dagegen könnten etwa Fragen des Kirchenrechts nur auf weltkirchlicher Ebene behandelt werden: "Das geht nicht von heute auf morgen."
Der Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürsf, nannte den vom Papst geforderten, kompromisslosen Kampf gegen sexuellen Missbrauch den "einzig richtige Weg". Er verwies darauf, dass der Papst zum Abschluss der Kinderschutz-Konferenz im Vatikan am selben Tag ein Ende der Vertuschung solcher Taten versprochen und erklärt habe, die Kirche werde alles tun, um Missbrauchstäter der Justiz zu übergeben. "Auch wenn Papst Franziskus zum Abschluss des Treffens 'nur' Leitlinien und nicht, wie von vielen erhofft, konkrete Maßnahmen gegen sexuellen Missbrauch vorgestellt hat, geht von dem Treffen in Rom doch ein Signal an die Weltkirche aus", sagte Fürst. "Zugleich sind die Leitlinien für uns Bischöfe ein klarer Arbeitsauftrag des Papstes."
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Weitaus kritischer blickt der Theologe und Psychotherapeut Wunibald Müller auf den Gipfel. Der habe nicht die gewünschte Wende oder gar Umkehr eingeleitet. Die katholische Kirche habe ihre Chance nicht genutzt, erklärte der frühere Leiter des Recollectio-Hauses in Münsterschwarzach am Sonntag in Würzburg. Die verantwortlichen Bischöfe mit Papst Franziskus an der Spitze zeigten, "dass sie offensichtlich den Ernst der Lage nicht erkannt haben". Die Kirche befinde sich in einer Situation, die an die Zeit vor der Reformation erinnere, "ja mitunter sogar noch dramatischer". Sie sei auf dem besten Weg, "mit Karacho an die Wand" zu fahren.
Die Missbrauchskrise habe deutlich gemacht, "dass etwas an der Kirche selbst faul ist", sagte Müller. Der üble Geruch, der von sexualisierter Gewalt in der Kirche und dem lieblosen Umgang der Bischöfe mit den Betroffenen ausgegangen sei und ausgehe, komme aus dem Innersten der Kirche. Was anstehe, seien nicht noch mehr Juristen, noch mehr Bußgottesdienste, so sehr sie auch ihre Bedeutung und ihr Recht hätten. Angesagt sei vielmehr "radikale Umkehr" und zwar nicht nur, was den Schutz der potenziellen Opfer angehe und den Umgang mit den Tätern und den Bischöfen, die vertuscht haben.
Striet schlägt deutsche Synode vor
Der Freiburger Fundamentaltheologe Magnus Striet schlägt nach dem Treffen im Vatikan eine deutsche Synode vor. Die Bischöfe könnten dabei mit Fachleuten und Vertretern des Kirchenvolks über offene Fragen sprechen, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. "In Deutschland gibt es eine allgemeine Verwirrung, wie es weitergehen soll. Eine deutsche Synode wäre sinnvoll." Ein gesamtkirchliches Konzil dagegen "wäre in der jetzigen Situation eine Überforderung". Zuletzt sollen die Bischöfe Peter Kohlgraf (Mainz), Franz-Josef Overbeck (Essen) Karl-Heinz Wiesemann (Speyer) und Stefan Oster (Passau) mit dem Vorschlag für eine deutsche Synode bei ihren Amtsbrüdern gescheitert sein.
Nach Striets Ansicht unterstützen die deutschen Bischöfe zwar grundsätzlich den Kampf gegen sexuellen Missbrauch von Kindern durch Geistliche. "Aber viele sind erschrocken, was das konkret bedeuten würde." So müssten etwa die kirchlichen Aussagen zur Sexualität auf den Prüfstand - ebenso wie die Pflicht zum Zölibat. Zum Kampf gegen Missbrauch gehöre es auch, den strikt hierarchischen Aufbau der Kirche zu überdenken. Denn dieser fördere zu viel angepasstes Verhalten und zu wenig Widerspruch, sagte Striet.
Der Münsteraner Dogmatiker Michael Seewald kritisierte die Selbstwahrnehmung der katholischen Kirche. "Die Kirche sollte aufhören, sich selbstmitleidig als Opfer des Missbrauchsskandals zu sehen. Sie sollte vielmehr die Menschen in den Blick nehmen, denen durch Männer der Kirche großes Leid angetan wurde", sagte Seewald. Er kritisierte auch, dass bei dem Gipfel eine Chance vertan worden sei, konkrete Regeln aufzustellen - etwa zum Thema Machtkontrolle. "Jetzt liegt der Ball wieder im Feld der nationalen Bischofskonferenzen, die mit dem Thema sehr unterschiedlich umgehen", sagte Seewald. (bod/KNA/dpa)