Bischofskonferenz 1999: Schein oder nicht Schein?
Mit der Symbolik ist es immer so eine Sache – und mit Jubiläen auch. Doch dass die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) von Montag bis Donnerstag ausgerechnet in Lingen zu ihrer turnusmäßigen Frühjahrsvollversammlung zusammenkommt, kann man guten Gewissens als Zufall mit Zeichencharakter bezeichnen. Denn vor 20 Jahren, Ende Februar 1999, tagten die Bischöfe schon einmal in der Stadt im Emsland. Damals wie heute hatte das deutsche Episkopat "heiße Eisen" zu verhandeln: Steht in diesen Tagen besonders die weitere Aufarbeitung des Missbrauchsskandals samt dessen (struktureller) Hintergründe im Fokus, war es vor zwei Dekaden die Rolle der katholischen Kirche im Geflecht der staatlichen Schwangerschaftskonfliktberatung.
Diskussionen um die kirchliche Beteiligung am staatlichen System gab es in der Bundesrepublik bereits seit der Neuregelung der Abtreibungsregelung Mitte der 1970er Jahre. Doch die Situation spitzte sich zu, als der Bundestag 1992 beziehungsweise 1995 eine Fristenlösung mit Beratungspflicht verabschiedete. Um straffrei abtreiben zu können, mussten die betroffenen Frauen ab sofort einen Beratungsschein einer staatlich anerkannten Beratungsstelle – dazu gehörten auch die kirchlichen – nachweisen können. Doch können es die Beratungsstellen der Kirche verantworten, diesen Schein auszustellen, der möglicherweise zu einer Abtreibung führt?
In einem Brief vom 11. Januar 1998 wandte sich Papst Johannes Paul II. schließlich persönlich an die deutschen Bischöfe. Er forderte sie darin auf, bei der Schwangerenkonfliktberatung keine Beratungsscheine mehr auszustellen, die Frauen eine Abtreibung ermöglichen. Der gesetzlich geforderte Schein habe eine "Schlüsselfunktion für die Durchführung straffreier Abtreibungen". Der Pontifex sah dadurch das Zeugnis der Kirche für das Leben verdunkelt.
Auf der Suche nach Lösungen
Die Mehrheit der deutschen Bischöfe nahm sich die päpstliche Aufforderung zu Herzen, suchte jedoch nach einem Weg, im staatlichen Beratungssystem zu bleiben. Ihr Argument: Wenn von vornherein feststehe, dass es keinen Beratungsschein gibt, verlöre die Kirche den Zugang zu Frauen in Konfliktsituationen. Damit lasse sie die Chance ungenutzt, sie vielleicht doch noch vom Austragen ihres Kind zu überzeugen. Bei der Frühjahrsvollversammlung im März 1998 richtete die Bischokskonferenz eine neunköpfige Arbeitsgruppe ein, die gemeinsam mit Experten gangbare Lösungswege eruieren sollte. Diese erarbeitete vier Möglichkeiten, von denen im Kern zwei bei der Frühjahrsvollversammlung 1999 in Lingen zur Debatte standen. Die eine: Man verzichtet grundsätzlich auf die Nachweispflicht gegenüber dem Arzt. Beratungsnachweise würden dann von einer anerkannten Beratungsstelle nicht mehr ausgestellt. Durch diesen totalen Rückzug aus der Pflichtberatung würde man jedoch den verfassungsmäßig grundgelegten Lebensschutz vermindern.
Die andere – und von der Mehrheit der Bischöfe favorisierte – Lösung: Die Kirche bleibt zwar in der staatlichen Beratung, die ratsuchenden Frauen sollen künftig allerdings keinen "normalen" Beratungsschein erhalten, sondern einen umfassenden "Beratungs- und Hilfeplan". Dieser sollte mit der ratsuchenden Frau erarbeitet werden und rechtsverbindliche Zusagen über Hilfen enthalten. Laut Pressestatement im Anschluss an die Vollversammlung bestand für den damaligen DBK-Vorsitzenden und Mainzer Bischof Karl Lehmann "kein Zweifel (…), dass dieser 'Beratungs- und Hilfeplan' einen 'Beratungsnachweis' im Sinne des Gesetzes darstellt".
Stichwort: Deutsche Bischofskonferenz
Die Deutsche Bischofskonferenz ist der Zusammenschluss aller katholischen Bischöfe in Deutschland. Aufgabe der Konferenz sind das Studium und die Förderung gemeinsamer pastoraler Aufgaben, die gegenseitige Beratung, die notwendige Koordinierung der kirchlichen Arbeit, der gemeinsame Erlass von Entscheidungen sowie die Pflege von Verbindungen zu anderen Bischofskonferenzen. Oberstes Organ der Bischofskonferenz ist die zweimal jährlich tagende Vollversammlung. Weitere Organe sind der Ständige Rat, in dem jede Diözese durch den Bischof mit Sitz und Stimme vertreten ist, der Vorsitzende und die Bischöflichen Kommissionen.Acht Stunden beschäftigte sich die Bischofskonferenz am zweiten Sitzungstag mit den Vorschlägen der Arbeitsgruppe. Bischof Lehmann beschrieb die Diskussionen als "intensiv, engagiert, aber auch fair und geradezu spannend" – doch hinter den verschlossenen Türen ging es wohl ziemlich zur Sache. Der "Spiegel" schrieb in seinem Nachbericht über die Versammlung, dass der eher als zurückhaltend bekannte Essener Bischof Herbert Luthe seinen Fuldaer Amtskollegen Johannes Dyba verbal attackierte, als dieser wiederholt seine schroffe Ablehnung der staatlichen Schwangerschaftsberatung zum Ausdruck brachte.
"Bruder Johannes, es reicht!"
Dyba hatte bereits 1993 verfügt, dass sein Bistum aus dem System aussteigt. "Bruder Johannes, es reicht! Wir kennen deine Position. Seitdem du hier zugehörst, gibt es Unfrieden in der Konferenz", soll Luthe Dyba während der Sitzung vorgeworfen haben. Die Bischofskonferenz, so soll Luthe später außerhalb des Protokolls nachgekartet haben, "war schon katholisch, bevor du dazugehörtest". Mehr als 50 der 67 versammelten Bischöfe plädierten für die zweite Variante, die auch der Vorsitzende Lehman bevorzugte. Vier Bistümer sprachen sich in Lingen für den Ausstieg aus. Doch bevor sie das Ergebnis öffentlich machten, legten sie es Johannes Paul II. vor. Die Bischöfe, so Franz Kamphaus, würden "dem Papst jetzt klar sagen, wo sie stehen – nur werden wir ihm das nicht über die Medien sagen". Der damalige Bischof von Limburg war einer der prominentesten Befürworter des Verbleibs der Kirche im staatlichen Beratungssystem.
Am 3. Juni 1999 wandte sich Johannes Paul II. nochmals in einem Brief an seine Brüder im Bischofsamt. Er würdigte zwar ihre Bemühungen und ihr Ringen, sah beim angedachten "Beratungs- und Hilfeplan" allerdings weitere Schwierigkeiten. "Entscheidend für die Wertung des Vorschlags ist die Frage, ob der am Ende stehende Text weiterhin die Verwendung des Scheins als Zugang zur Abtreibung gestattet", so der polnische Pontifex. Damit die rechtliche und moralische Qualität dieses Dokuments unzweideutig werde, verlangte er, "im Text selbst klarzustellen, dass der Schein, der die kirchliche Beratung bestätigt und Anrecht auf die zugesagten Hilfen gibt, nicht zur Durchführung straffreier Abtreibungen (…) verwendet werden kann". Dies solle dadurch erfolgen, dass der Bescheinigung der Satz "Diese Bescheinigung kann nicht zur Durchführung straffreier Abtreibungen verwendet werden" hinzugefügt wird. Die Bischöfe kündigten an, dem folgen und zugleich im staatlichen System bleiben zu wollen. Dem erteilte der Vatikan eine Absage: Das entspreche nicht der Intention des Papstes. Er sah die Gefahr, dass die staatlichen Stellen diesen Zusatz faktisch ignorieren und den Schein trotzdem als ausreichend für die straffreie Durchführung der Abtreibung gelten lassen.
Bei der Herbstvollversammlung in Fulda kam das Thema nochmals aufs Tapet, doch schließlich gab die Bischofskonferenz nach: Am 23. November verkündete der Vorsitzende Karl Lehmann, dass die katholische Schwangerschaftskonfliktberatung auf Wunsch des Papstes neu geordnet werde. Anfang 2000 stellten die ersten Bistümer keine Beratungsscheine mehr aus. Viele Bischöfe wollten die katholischen Einrichtungen im staatlichen Beratungssystem halten, stiegen schließlich aber aus. Am längsten leistete der Limburger Bischof Franz Kamphaus Widerstand. Doch im März 2002 beendete der Papst Kamphaus' Alleingang, beließ ihn aber im Amt. "Nach meinen Erfahrungen werden jetzt Lebenschancen für Kinder vergeben. Darum kann ich nicht verschweigen, dass mich die Verfügung des Papstes sehr schmerzt", schrieb Kamphaus in einer öffentlichen Erklärung. Zeitgleich mit der Entscheidung der Bischofskonferenz gründeten Katholiken den Schwangerenberatungsverein "Donum Vitae", der den Beratungsschein auf der Basis des "Beratungs- und Hilfeplans" weiterhin ausstellt. Das Engagement von "Donum Vitae" ist bis heute umstritten – auch wenn sich mancher deutscher Bischof zuletzt wieder wohlwollender gegenüber dem Verein geäußert hat.