Bischofstreffen in Lingen: Gerade noch die Kurve gekriegt
Gerade noch die Kurve gekriegt: Als man schon nicht mehr daran glauben wollte, kamen die deutschen Bischöfe am Donnerstag zum Ende ihrer Frühjahrsvollversammlung in Lingen doch noch mit einem greifbaren Ergebnis um die Ecke. Ohne Gegenstimmen beschlossen die im Emsland versammelten Hirten auf den letzten Metern ihrer Tagung, angesichts der durch den Missbrauchsskandal ausgelösten Verwerfungen einen "synodalen Weg" zur Erneuerung der katholischen Kirche einzuschlagen. "30 Minuten vor Ende der Besprechungen", wie Kardinal Reinhard Marx mit Nachdruck betonte. Auch wenn noch weitgehend unklar ist, wie dieser Weg genau aussehen und wo er am Ende hinführen soll, ist die Entscheidung zumindest ein deutliches Signal der Bischöfe an die Gläubigen.
Das Wort "Synode" vermied Marx allerdings bewusst. Es sei ein Begriff, an dem man sich "zerreiben" könne, antwortete er salomonisch – wohl auch mit Blick auf die Diskussion, die es während der Sitzung des Ständigen Rates im Januar in Würzburg gegeben hatte. Damals hatten die Bischöfe Peter Kohlgraf (Mainz), Franz-Josef Overbeck (Essen), Stefan Oster (Passau) und Karl-Heinz Wiesemann (Speyer) einen entsprechenden Vorschlag eingebracht, fanden aber keine Zustimmung bei ihren Amtsbrüdern. Kohlgraf vermutete anschließend, "dass der Begriff der Synode einfach ein wenig zu groß für manche war".
Bereitschaft zu echtem Dialog nötig
Nun soll es ein synodaler Weg sein, bei dem die bekannten "heißen Eisen" der Kirche auf den Tisch kommen sollen, die mit Blick auf den Missbrauch zuletzt vor allem als "systemische Gefährdungen" bezeichnet wurden: die Frage nach der klerikalen Macht, der Zölibat als verpflichtende priesterliche Lebensform und die kirchliche Sexualmoral. Damit die Debatte über diese für die Kirche so herausfordernden Themen nicht nur ein "belangloses Gespräch" (Marx) wird, sondern echte Ergebnisse zeitigt, wird es entscheidend auf das Format der Debatte und die Bereitschaft der Bischöfe zu einem echten Dialog ankommen.
Die Bischöfe sicherten am Donnerstag zu, noch in diesem Jahr nach geeigneten Formaten für die geplante Debatte zu suchen. Ein erster Zwischenbericht – auch aus drei auf der Vollversammlung gegründeten Foren unter Leitung der Bischöfe Franz-Josef Bode (Forum "Sexualmoral"), Felix Genn (Forum "Priesterliche Lebensform") und Karl-Heinz Wiesemann (Forum "Macht, Partizipation, Gewaltenteilung") – soll bei einer Konferenz von Bischöfen, Mitgliedern des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) und weiteren Personen im September veröffentlicht werden. Man darf gespannt sein.
Weniger positiv fällt die Bilanz der Vollversammlung aus, wenn man nach konkreten Maßnahmen auf dem weiteren Weg der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals fragt. Zwar war ein Bemühen um entsprechende Schritte bei der Tagung durchaus spürbar. Doch wenn man auf die Ergebnisse der Beratungen blickt, muss man sagen, dass die Bischöfe hier nicht geliefert haben.
Lücke zwischen Anspruch und Realität
Beispielhaft zeigte sich die Lücke zwischen dem öffentlich immer wieder betonten Anspruch, den himmelschreienden Skandal des sexuellen Missbrauchs in der Kirche umfassend aufklären zu wollen, und der Realität am Mittwoch bei einem Pressegespräch mit Bischof Stephan Ackermann. Keine Frage: Der Trierer Oberhirte macht als Missbrauchsbeauftragter der Bischofskonferenz seit Jahren eine glaubwürdige Figur. Aber auch er kann nur soweit vorangehen, wie ihn das Kollektiv der Bischöfe lässt. Und das war in Lingen noch immer nicht sonderlich weit.
Ackermanns Erklärung war gespickt mit vagen Absichtserklärungen: Mit Blick auf die Erarbeitung eines Leitfadens für die unabhängige Aufarbeitung sei eine Kooperation mit dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes Wilhelm Rörig, geplant; zur Überprüfung des bestehenden Verfahrens kirchlicher Anerkennungszahlen solle ein Gutachten in Auftrag gegeben werden; für die geplante Einrichtung unabhängiger Anlaufstellen für Betroffene laufe eine Recherche. Kraftvolle Aufarbeitung – wie sie auch nach der MHG-Studie im vergangenen Herbst versprochen worden war – klingt anders.
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Natürlich: Missbrauchsfälle mehrerer Jahrzehnte und ihre auch systemischen Ursachen lassen sich nicht mal eben so aufarbeiten; dafür braucht es Zeit. Allerdings – und das hat in Lingen auch Kardinal Marx betont – ist die Kirche ja nicht erst seit ein paar Wochen dabei, den Missbrauch in den eigenen Reihen aufzuarbeiten. Seit dem großen Schock von 2010 sind inzwischen neun Jahre vergangen. Dass es so viele Jahre später noch immer nicht in allen deutschen Bistümern wirklich unabhängige Ansprechpartner für Missbrauchsopfer gibt, ist nicht nachvollziehbar. Was sollen die auf Aufklärung hoffenden Opfer davon halten?
Gläubige im Regen stehen gelassen
Auch bleiben von Lingen einige wenig vorteilhafte Bilder in Erinnerung: Als nach dem Eröffnungsgottesdienst der Vollversammlung rund 300 Menschen vor der St.-Bonifatius-Kirche für Reformen in der Kirche demonstrierten, suchten nur drei Bischöfe das Gespräch mit ihnen. Alle anderen verschwanden schnell in den bereitstehenden Bussen und ließen die Demonstranten nicht nur sprichwörtlich im Regen stehen. Und auch als einen Tag später 50 Seelsorger aus dem Bistum Osnabrück – der Kirche loyal verbundene Menschen also – vor dem Tagungshaus der Bischöfe eine Gebetswache für das Gelingen der Vollversammlung abhielten, mischten sich nur wenige Bischöfe unter die Betenden. "Wir sehen und hören Sie. Ihre Kritik, Sorgen, Nöte, Zweifel und Ihre Forderungen", sagte Kardinal Marx zum Abschluss der Vollversammlung in Richtung der Gläubigen. So wirkten diese Szenen allerdings nicht.
Klar ist nach der Konferenz von Lingen: Der jahrzehntelange Missbrauch wird die katholische Kirche noch lange Zeit beschäftigen. Und er wird das Vertrauen in die Kirche auch künftig noch erschüttern. Umso wichtiger ist es, dass die Bischöfe weitere konkrete Schritte in der Aufarbeitung gehen und den von ihnen beschlossenen synodalen Weg ernst nehmen. Eine bloße Neuauflage des wenig überzeugenden Gesprächsprozesses der Jahre 2011 bis 2015 darf das nun am Horizont aufscheinende Format nicht sein. Schließlich geht es um nichts weniger als um die Zukunft der katholischen Kirche.