Meisner beklagt "Katholikenphobie"
In Bezug auf den Missbrauchs- und den Kölner Klinik-Skandal betonte Meisner, er sei bestürzt über "die Häme und Aggression", mit der Teile der Öffentlichkeit der katholischen Kirche begegneten. Er sprach von einem "Sturm", den er in seinen Jahren als Bischof selten so erlebt habe. Den tiefer liegenden Grund dafür sieht Meisner darin, dass "die Entschiedenheit der katholischen Positionen zum Lebensschutz, zu Ehe und Familie" sowie des Eintretens dafür durch Papst und Bischöfe "immer stärker polarisieren".
Mut zur Tapferkeit
Ebenso beklagte er, dass in vielen Texten und Filmbeiträgen die Bereitschaft der katholischen Kirche zur Aufklärung des Missbrauch-Skandals angezweifelt werde. Zugleich ermutigte der Kardinal seine Mitarbeiter, "tapfer ungerechtfertigte Vorwürfe" zu ertragen: "Tapferkeit besteht nicht im Dreinschlagen, in der Aggressivität, sondern im Sich-schlagen-Lassen und im Standhalten gegenüber den Maßstäben der herrschenden Meinungen", so Meisner in seinem Brief.
Eine Woche zuvor hatte sich der Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation, Erzbischof Gerhard Ludwig Müller, zu der medialen Kritik geäußert, die ihn an eine "Pogromstimmung" erinnere.
Skandal oder Ausdruck mangelnder Selbstkritik?
Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück, äußerte Verständnis für Meisners Kritik. In dessen Vorwurf einer "Katholikenphobie" sei zwar die Defensive spürbar, doch argumentiere der Kölner Erzbischof differenzierter als Müller. "Immerhin hatte der Kardinal den Mut, in einer Druck-Situation Bewegung etwa in die Debatte über die "Pille danach" zu bringen", sagte Glück der Zeitung. "Das war überraschend und verdient Anerkennung."
Der Berliner Medienwissenschaftler Norbert Bolz bestätigte den Eindruck der beiden Kirchenmänner: Auch er wirft den Medien eine massive Kampagne gegen die katholische Kirche vor. Die Einschätzungen der Erzbischöfe halte er zwar für übertrieben, die Medien nutzten aber jede Gelegenheit, Fehler der Kirche zu skandalisieren. "Dabei ist viel Heuchelei und Häme im Spiel."
Der Freiburger Sozialwissenschaftler und Theologe Michael N. Ebertz hält die Klage Hingegen für einen Ausdruck mangelnder Selbstkritik. «Moralische Arroganz und Überheblichkeit in der Kirche fallen jetzt nur auf sie selbst zurück», sagte Ebertz dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Wenn die Kirche gerade in moralischen Fragen versage, sei es "kein Wunder, dass die Menschen hämisch reagieren".
Seit langem in der Kritik
Seit Beginn des Jahres steht die katholische Kirche in der Kritik: Anfang Januar hatten die deutschen Bischöfe dem Kriminologen Christian Pfeiffer gekündigt, der mit einem von zwei Forschungsprojekten zum Missbrauchsskandal betraut war. Nur wenige Tage später hatten sich die Ärzte zweier Krankenhäuser des Celitinnen-Ordens geweigert, eine Frau zu behandeln, die möglicherweise vergewaltigt wurde. (mir/KNA)