Misereor-Chef Pirmin Spiegel zur Amazonas-Synode

"Kirche kann eine Vielfalt von Erscheinungsformen haben"

Veröffentlicht am 24.03.2019 um 10:00 Uhr – Lesedauer: 

Washington ‐ Die Amazonas-Synode soll erörtern, wie Kirche in dieser Region künftig aussehen kann. Doch Amazonien liegt nicht nur in Lateinamerika, findet Misereor-Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel. Gleichzeitig sieht er Parallelen zur Situation in Deutschland.

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In Kirchenkreisen hat das Wort "Synode" gerade Konjunktur. In Deutschland wollen die katholischen Bischöfe mit einem "verbindlichen synodalen Weg" nach Möglichkeiten zu einer Erneuerung der Kirche suchen. Im Vatikan lädt Papst Franziskus im Herbst zu einer außerordentlichen Bischofsversammlung. Die Amazonas-Synode widmet sich der Urwaldregion in Lateinamerika – unter den Aspekten von Theologie, Umweltschutz, autochthonen Völkern und Menschenrechten. In Washington findet dazu bis Donnerstag eines von mehreren hochrangig besetzten Vorbereitungstreffen statt. Mit dabei: Misereor-Chef Pirmin Spiegel. Im Interview schlägt der Hauptgeschäftsführer des Werks für Entwicklungszusammenarbeit einen Bogen von Amerika nach Deutschland.

Frage: Herr Spiegel, was macht die Amazonasregion so wichtig?

Spiegel: Amazonien ist aufgrund seines enormen Rohstoff- und Artenreichtums, seiner Weisheit der dort lebenden Menschen für unsere Erde von ungeheurer Bedeutung. Wenn wir diese grüne Lunge zerstören, dann wird das weitreichende Folgen für das menschliche Leben auf der ganzen Welt haben. Schon jetzt aber sind knapp zehn Prozent des Amazonas-Urwalds abgeholzt. Bei 25 Prozent sprechen Wissenschaftler von einem Kipp-Punkt, der irreversible Schäden nach sich zieht.

Frage: Wie blickt die Kirche auf diese Region?

Spiegel: Natürlich bereitet auch der Kirche diese Entwicklung Sorge. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie Kirche mit den Menschen aussehen kann, die am Amazonas leben: an der Seite der Indigenen, der Kleinbauern, der Fischer.

Frage: Wo liegt das Problem?

Spiegel: Bisher haben wir auf Amazonien ein europäisches Modell von Kirche übertragen, das kein Gesicht Amazoniens hatte. Aber damit kommen wir nicht weiter.

Frage: Warum?

Spiegel: Weil sich darin die indigenen Völker nicht wiederfinden. Wir brauchen stattdessen eine Kirche, die ihren Atem atmet. Die ihre Kultur und ihre Lebenserfahrungen mit aufnimmt. Kirche muss anders gedacht werden. Die Indigenen, die hier in Washington präsent sind, haben klare Erwartungen an die Kirche und von der Kirche.

Pirmin Spiegel im Porträt
Bild: ©KNA/Julia Steinbrecht

Pirmin Spiegel, Hauptgeschäftsführer und Vorstandsvorsitzender des Bischöflichen Hilfswerks Misereor in Aachen.

Frage: Was könnten praktische Konsequenzen für die Seelsorge sein?

Spiegel: Dezentralisierung ist ein wichtiges Stichwort. Ich war selbst lange Jahre Pfarrer im Nordosten Brasiliens, einem Gebiet, das an Amazonien grenzt. Die Pfarrei umfasste 67 Gemeinden mit Entfernungen von hundert Kilometern. In Amazonien ist das noch viel extremer. Die großen geografischen und kulturellen Distanzen haben große pastorale Distanzen zur Folge. Wie diese Distanzen überwinden? Ob dann daraus andere Ministerien und Zugänge zu Ämtern folgen inklusive zur Priesterweihe – das wird sich zeigen. Zuallererst geht es darum, die Bedürfnisse der Menschen vor Ort zu verstehen und Antworten auf ihre Fragen, auf ihre Situation zu finden.

Frage: In Deutschland sollen solche Fragen ebenfalls auf einem "synodalen Weg" erörtert werden. Sehen Sie Parallelen?

Spiegel: Synode heißt, gemeinsam unterwegs zu sein. Auch in Deutschland hören wir den Ruf nach Veränderungen. Auch hier stellt sich die Frage, ob die vorhandenen Strukturen adäquat sind, um den Auftrag der Kirche in der Gesellschaft lebendig zu halten. Da sehe ich – bei allen Unterschieden – gemeinsame Punkte.

Frage: Bis zur Amazonas-Synode im Oktober ist es noch ein wenig hin. Wie ist der Stand der Vorbereitungen?

Spiegel: Es gibt drei große Phasen: die vorsynodale Phase – darin befinden wir uns aktuell –, die Synode selbst und dann die Umsetzung. Circa drei Wochen nach der Bischofsversammlung wird der Papst das Abschlussdokument in den Händen halten. Und ab dann wird man sehen, welche Konsequenzen das Treffen hat.

Regenwald in Brasilien
Bild: ©filipefrazao – stock.adobe.com

"Die großen geografischen und kulturellen Distanzen haben große pastorale Distanzen zur Folge," sagt Pirmin Spiegel über die Amazonas-Gegend.

Frage: Was nehmen Sie von dem Vorbereitungstreffen in Washington mit?

Spiegel: Im Zentrum stand hier das Thema "Ganzheitliche Ökologie". Für mich war zunächst einmal eine ganz eindrucksvolle Erfahrung, dass da Kardinäle von allen Kontinenten und viele Bischöfe präsent sind und dass sie zugehört haben: den Armen, Verletzlichen, Verwundbaren, den Anderen – den Vertretern der Indigenen.

Frage: Gibt es so etwas wie eine Kernbotschaft?

Spiegel: Amazonien ist nicht nur in Lateinamerika. Ganz ähnliche Probleme, die Schöpfung und Menschen zerstören, gibt es auch im Kongo, in Papua-Neugeuinea und in Indonesien. Auf der ganzen Welt beutet die Industrie die Rohstoffe aus, meist ohne die Bewohner zu fragen – und hinterlässt eine zerstörte Erde mit fatalen Folgen für die kulturelle Identität der Menschen vor Ort.

Frage: Haben Sie einen Wunsch, was bei der Amazonas-Synode herauskommen sollte?

Spiegel: Ich wünsche mir ein Bewusstsein dafür, dass Kirche sein nicht bedeutet, nur eine Kultur, eine Art das Evangelium zu leben, sondern dass Kirche eine Vielfalt von Erscheinungsformen haben kann, ohne deswegen die Einheit aufzugeben. Was Umweltschutz und die Rechte der Indigenen anbelangt, müssen wir dringend neue Wege beschreiten, und zwar weltweit: weg von der Nutzung fossiler Brennstoffe, weg von der ausschließlich auf kurzfristigen Profit setzenden industriellen Ausbeutung von Rohstoffen. Ganzheitliche Ökologie erfordert einen radikalen Wandel und Respekt vor der Mutter Erde. Viel Zeit bleibt uns nicht mehr. Wir laufen auf eine Grenze zu.

Von Joachim Heinz (KNA)