Erster afroamerikanischer US-Priester starb vor 125 Jahren

Augustus Tolton: Von der Sklaverei zur Ehre der Altäre?

Veröffentlicht am 09.07.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Augustus Tolton (1854-1897)
Bild: © gemeinfrei

Chicago ‐ Ein afroamerikanischer Seliger oder Heiliger fehlt bislang. Durch Augustus Tolton könnte sich das ändern. Für den ersten bekannten schwarzen Priester der USA bedeutete Kirche Freiheit – trotz vieler Hindernisse auf seinem Weg. Vor 125 Jahren starb er.

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Die Schar der Heiligen und Seligen, die die Kirche verehrt, ist unüberschaubar – und wächst immer weiter. Sie umfasst Menschen aus verschiedenen Zeitaltern, Nationen und Gesellschaftsschichten. Doch noch immer fehlt ein Afroamerikaner in diesem Kreis. Viele aus der schwarzen Community in den Vereinigten Staaten werten das als Zeichen eines andauernden strukturellen Rassismus in der katholischen Kirche des Landes. Doch die Chancen stehen nicht schlecht, dass sich in nicht allzu ferner Zukunft daran etwas ändert: Seit 2010 läuft der Seligsprechungsprozess für Augustus Tolton. Er gilt als erster schwarzer katholischer Priester der Vereinigten Staaten. Vor 125 Jahren starb der schüchterne Geistliche, dessen Leben von Armut und Rassismus geprägt war. Über sich selbst soll er gesagt haben, dass die katholische Kirche die einzige sei, die ihm helfen könne, die "doppelte Sklaverei" seines Geistes und seines Körpers zu besiegen.

Augustus Tolton wurde 1854 auf einer Farm in Missouri geboren, seine Eltern waren Sklaven. Da deren Dienstherren Katholiken waren, wurden auch sie und später ihre Kinder katholisch getauft. Als der Amerikanische Bürgerkrieg (1861 bis 1865) ausbrach, floh Toltons Vater Peter Paul in die Nordstaaten und schloss sich deren Armee an, starb aber bald an der Ruhr. Mutter Mary Jane entkam mit dem kleinem Augustus und dessen Geschwistern ebenfalls. Sie landeten in der Stadt Quincy im Bundesstaat Illinois, wo es keine Sklaverei gab. Augustus begann, in einer Zigarrenfabrik zu arbeiten.

In den Staaten abgelehnt, in Rom aufgenommen

Wegen seiner Hautfarbe stieß er von Anfang an auf Schwierigkeiten: Die Schule seiner katholischen Kirchengemeinde, die beinahe ausschließlich weiße Schüler unterrichtete, konnte er wegen Protesten in der Pfarrei nur einen Monat lang besuchen. Somit musste der Junge in eine öffentliche Schule der schwarzen Community wechseln, die er aber nur drei Monate im Winter besuchen konnte – wenn die Zigarrenfabrik geschlossen war. Ein Priester erkannte die spirituelle Begabung des schwarzen Jungen und nahm ihn in der Schule seiner Gemeinde auf. Auch diese besuchte Augustus, von allen meist nur "Gus" gerufen, nur drei Monate pro Jahr. Dann kehrte er wieder in die Fabrik zurück.

Der Weg des frommen und fleißigen Jungen ins Priesteramt schien vorgezeichnet, doch erneut tauchten die altbekannten Probleme auf. Man versuchte, Tolton in einem Orden oder einem Priesterseminar unterzubringen, um ihn weiter ausbilden zu lassen. Aber keine Institution sah sich bereit, einen Kandidaten mit solch "speziellen Bedürfnissen" aufzunehmen, wie es hieß: Aufgrund seiner schulischen Vorkenntnisse schätzten sie ihn als ungeeignet für die Priesterlaufbahn ein. Also erhielt Tolton die nötige Bildung mit Hilfe von Privatunterricht. Doch auch danach wollte ihn kein amerikanisches Priesterseminar aufnehmen. Daher wandten sich seine priesterlichen Unterstützer schließlich an den Vatikan: Tolton wurde an der Päpstlichen Universität Urbaniana in Rom angenommen, die Studenten aus aller Welt auf die Tätigkeit als Missionare vorbereiten sollte. Tolton dachte, dass er nach seiner Weihe als Seelsorger nach Afrika geschickt werde: Neben Theologie und Philosophie studierte er daher afrikanische Kulturen und Sprachen.

Lateranbasilika
Bild: ©Fotolia

Die römische Basilika San Giovanni in Laterano: Hier empfing Augustus Tolton nach seiner Ausbildung an der Päpstlichen Universität Urbaniana die Priesterweihe.

Am 24. April 1886 wurde Tolton in der Lateranbasilika im Rom zum Priester geweiht. Doch anstatt nach Afrika wurde er in sein Geburtsland geschickt. Als "Father Gus" kehrte er nach Quincy zurück und wurde dort zu einem bei Schwarzen wie Weißen beliebten Seelsorger. Doch als ein neuer weißer Dekan in die Stadt kam und eine Hetzkampagne gegen Tolton begann, wurde es erneut ungemütlich: Weiße sollten nicht mehr zu ihm gehen, forderte der Dekan. Obwohl die Priester der Stadt auf der Seite von Tolton standen, konnten sie nicht verhindern, dass ihm befohlen wurde, entweder nur Schwarzen zu predigen oder die Stelle zu wechseln.

1889 wechselte er schließlich nach Chicago. Das Erzbistum empfing "Father Gus" mit offenen Armen. Sofort wurde er zum Pfarrer aller Schwarzen installiert. Doch seine Arbeit rieb den Priester immer mehr auf, was ihn zunehmend kränklich werden ließ. Nach seiner Rückkehr von Priesterexerzitien starb er am 9. Juli 1897 an einem Hitzschlag – im Alter von nur 43 Jahren.

Toltons Erbe: Güte, Inklusivität, Empathie – und Entschlossenheit

Eine wichtige Etappe auf dem Weg zur Kanonisation machte Tolton 2019, als Papst Franziskus ihm den "heroischen Tugendgrad" zuerkannte. Die katholische Kirche versteht darunter, dass er die christlichen Tugenden in vorbildlicher Weise lebte. Seither darf für Tolton die Bezeichnung "Ehrwürdiger Diener Gottes" verwendet werden. Ein weiterer Schritt erfolgte im April dieses Jahres: Vertreter des Vatikan waren in den USA, um mögliche Wunder Toltons zu überprüfen. Für eine Seligsprechung ist ein Wunder, für eine Heiligsprechung ein weiteres nötig. Der Chicagoer Weihbischof Joseph N. Perry, Postulator in Toltons Seligsprechungsverfahren, wies bereits vor ein paar Jahren auf mehrere unerklärliche Heilungen von Krankheiten hin, die nach der Bitte um Fürsprache bei Augustus Tolton eingetreten sein sollen.

"Die Lehren aus seiner Herkunft als Sklave und die Vorurteile, die er als Priester erlitt, gelten auch heute noch für unsere derzeitigen Probleme rassistischer und sozialer Ungerechtigkeiten", betonte Perry. Toltons Leben erzähle von der langen und reichen Geschichte afroamerikanischer Katholiken, die in der amerikanischen Geschichte schwierige Kapitel und Rückschläge erlebt hätten."Wir werden sein Erbe an Güte, Inklusivität, Empathie und Entschlossenheit in der Art und Weise, wie wir einander behandeln, ehren."

Sollten die Mitarbeiter der vatikanischen Heiligsprechungsbehörde zu dem Ergebnis kommen, dass Tolton ein Wunder gewirkt hat, dann könnte er zügig seliggesprochen werden. Und gibt es auch ein zweites, wird aus "Father Gus" vielleicht bald "Saint Gus" – und die Heiligenschar erneut ein Stück bunter. Und auch für die afroamerikanische Gesellschaft in den USA wäre es ein wichtiges Zeichen.

Von Matthias Altmann

Dieser Text ist eine überarbeitete Version eines Artikels, der erstmals im April 2019 erschienen ist.