Schwester Birgit Stollhoff über das Sonntagsevangelium

"Wer ohne Sünde ist ..." - Jesus lenkt den Blick auf die Opfer

Veröffentlicht am 06.04.2019 um 17:45 Uhr – Lesedauer: 
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Bonn ‐ Die innerkirchliche Debatte um Sexualität zieht meistens eine Grenze zwischen "Sündern" und denen, die "ohne Schuld" sind. Doch im Evangelium hebt Jesus diese Trennung auf. Denn ihm geht es zuallererst um die Opfer, schreibt Schwester Birgit Stollhoff.

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Impuls von Schwester Birgit Stollhoff

Erst kürzlich habe ich für meine neue Aufgabe mit Jugendlichen einen Kurs zur „Prävention von sexueller Gewalt und Missbrauch in der Kirche“ besucht. Was ich dort gehört habe, war nicht neu, aber wieder schrecklich: Wie strategisch Täter oder Täterinnen vorgehen, wie oft ein Opfer vergeblich versucht, sein Leid anzusprechen (siebenmal!) und wie leicht das in der Kirche möglich war.

Der Missbrauch passt so gut in diese Bibelstelle! Die Bibelstelle beschreibt zwei Tätergruppen: die Männer in ihrer moralischen Wut und die ertappte Ehebrecherin. Beide haben gesündigt, die einen wollen wieder sündigen, die andere harrt ihres Todes. Alle, die Männer und die Frau, sind ein Bild von Kirche für mich:

Es sind die Männer, die eine schutzlose Frau nicht nur für ihre Sexualität verurteilen sondern ihr auch öffentlich dafür Gewalt antun wollen. In vielen Kulturen, so mein Eindruck, schreiben Männer Frauen vor, wie sie ihre Sexualität zu leben haben. Ist es denn „die Sexualität der Frauen“? Oder sind es nicht eher die Phantasien der vorschreibenden Männer, die sie in Andere hineinprojizieren und die ihnen Angst machen? In der Kirche wurde das Thema Sexualität dadurch verengt, dass das Ideal der zölibatär lebende Christ war. Sexualität wurde verdrängt – „weil nicht sein kann, was nicht sein darf“ so schreibt es der Dichter Christian Morgenstern. „Unter dem Teppich“ ist, so meine eigene Erfahrung, der beste Ort, um ein Bedürfnis mächtig und zerstörerisch werden zu lassen. Die verzerrten Gesichter der Männer - in der Fortbildung habe ich gelernt, dass im Kopf vieler Opfer die Gesichter ihrer Täter eingebrannt sind, als Traumata und Zerstörung eines ganzen Lebens.

Die Kirche als moralische Instanz hat so an Glaubwürdigkeit verloren – „Wer von Euch ohne Sünde ist…“

Ich sehe die Frau: Die Frau hat gesündigt, das bestätigt Jesus. Es gibt nicht nur Sünder in der Kirche, auch die Kirche selbst ist sündig. Es gibt die heilige Kirche mit ihrer froh machenden Botschaft. In der alles, was zum Leben hilft, seinen Platz hat, auch die Sexualität. Und es gibt die sündige Kirche, die mit ihren Machtstrukturen und ihrer Intransparenz den Blick auf Gott verdunkelt. Die Kirche, deren Mitglied ich bin, ist zwiespältig, hat zwei Seiten, wie ich auch.

Die Bibelstelle zeigt für mich die Täter und Täterinnen. Aber zu dieser Frau gehört der nicht erwähnte betrogene Ehemann, zur Kirche das um seine Kindheit betrogene Opfer. Und auch das Schweigen gehört dazu.

Meine Sehnsucht und mein Blick richten sich auf Jesus. Jesus, der die Wut der Pharisäer mit einer klaren Ansage stoppt. Der seelenruhig in den Sand schreibt: Was wichtig ist, was vergeht und bleibt – wir wissen es nicht. Was der Missbrauch für die Kirche bedeutet, bleibt in der Gegenwart ein Geheimnis. Jesus denkt zweimal an das Opfer: an die Ehebrecherin als Opfer der Verurteilung und Gewalt und an den Mann als Opfer des Fremdgehens. Und zweimal gibt er die Perspektive vor. Für jetzt entscheidend ist Jesu zweite Ansage, die an die Ehebrecherin: „Gehe hin und sündige nicht mehr!“ Das meint mich und das, diese Aussage Jesu, meint alle in der Kirche: Wir sind dafür mitverantwortlich, dass so ein Missbrauch nie wieder geschieht. Dafür hat mir der Präventionskurs Mut gemacht: Wie kann ich dafür sorgen, dass Jugendliche sich sicher fühlen bei uns? Wie kann ich sie darin bestärken, Grenzen zu setzen und Übergriffe zu melden? Dazu gehört auch die Frage: Wie können wir in einer guten Weise über Sexualität reden? Ihre Kraft nutzen und genießen, ohne dass sie Gefahr wird?

Nicht mehr zu sündigen – das ist die wichtigste Aufgabe und Verantwortung aus dem Missbrauch.

Von Sr. Birgit Stollhoff CJ

Evangelium nach Johannes (Joh 8, 1-11)

Jesus aber ging zum Ölberg. Am frühen Morgen begab er sich wieder in den Tempel. Alles Volk kam zu ihm. Er setzte sich und lehrte es. Da brachten die Schriftgelehrten und die Pharisäer eine Frau, die beim Ehebruch ertappt worden war.

Sie stellten sie in die Mitte und sagten zu ihm: Meister, diese Frau wurde beim Ehebruch auf frischer Tat ertappt. Mose hat uns im Gesetz vorgeschrieben, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du? 

Mit diesen Worten wollten sie ihn auf die Probe stellen, um einen Grund zu haben, ihn anzuklagen. Jesus aber bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde. Als sie hartnäckig weiterfragten, richtete er sich auf und sagte zu ihnen: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie. Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde. 

Als sie das gehört hatten, ging einer nach dem anderen fort, zuerst die Ältesten. Jesus blieb allein zurück mit der Frau, die noch in der Mitte stand. Er richtete sich auf und sagte zu ihr: Frau, wo sind sie geblieben? Hat dich keiner verurteilt? Sie antwortete: Keiner, Herr. Da sagte Jesus zu ihr: Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!

Die Autorin

Sr. Birgit Stollhoff CJ gehört dem Orden Congregatio Jesu (auch bekannt als Mary-Ward-Schwestern) an, arbeitet im Jugendpastoralen Zentrum "Tabor" in Hannover, studiert Theologie im Fernstudium an der Universität Luzern und ist mitverantwortlich für die Öffentlichkeits- und Medienarbeit ihres Ordens.

Ausgelegt!

Katholisch.de nimmt den Sonntag stärker in den Blick: Wie für jeden Tag gibt es in der Kirche auch für jeden Sonntagsgottesdienst ein spezielles Evangelium. Um sich auf die Messe vorzubereiten oder zur Nachbereitung bietet katholisch.de nun "Ausgelegt!" an. Darin können Sie die jeweilige Textstelle aus dem Leben Jesu und einen Impuls lesen. Diese kurzen Sonntagsimpulse schreibt ein Pool aus Ordensleuten und Priestern für uns.