Pastoraltheologe Paul Zulehner im Interview

"Pro Pope Francis": So funktioniert das Theologennetzwerk

Veröffentlicht am 10.04.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Wien ‐ Die Initiative "Pro Pope Francis" will dem Pontifex nun auch theologisch unter die Arme greifen. Warum sich deshalb ein Netzwerk von Theologen aus aller Welt gegründet hat, erklärt Koordinator Paul Zulehner im Interview. Darin spart er auch die Themen Missbrauch, Frauen und Priestermangel nicht aus.

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Papst Franziskus braucht für seinen kirchlichen Reformkurs eine möglichst breite Unterstützung. Diese Überzeugung motivierte die Theologen Paul Zulehner und Tomas Halik dazu, 2017 die Kampagne "Pro Pope Francis" ins Leben zu rufen. Warum aus der Initiative nun ein Netzwerk von zahlreichen Theologen aus aller Welt geworden ist, erklärt Zulehner im Interview.

Frage: Herr Zulehner, Sie haben dem Papst Ende Januar die 75.000 Namen umfassende Unterstützerliste Ihrer Kampagne "Pro Pope Francis" als gebundenes Buch übergeben. Wie hat Franziskus reagiert?

Zulehner: Er hat aufmerksam zugehört und sich über den Titel "Rückenwind für den Papst" gefreut. Den hat er sogar gleich wiederholt: "Ah, Rückenwind!" (lacht) Franziskus begegnet unserer Initiative sehr wohlwollend.

Frage: Nun gab es auch Kritik an Ihrem Aufruf zur Unterstützung des Papstes...

Zulehner: Tomas Halik und ich sind der Meinung, dass unsere Initiative genau richtig ist. Aber eigentlich braucht nicht der Papst unsere Unterstützung, sondern wir wollten für die Medien und die kirchliche Öffentlichkeit aufdecken, dass sehr viele qualifizierte Menschen diese innovative Politik des Papstes unterstützen. Daher ist es eher eine Stärkung des Kirchenvolkes als des Papstes, denn der Papst geht seinen Weg und lässt sich von nichts und niemandem davon abbringen.

Frage: Aus "Pro Pope Francis" hat sich nun ein Theologennetzwerk entwickelt. Wie ist es dazu gekommen?

Zulehner: Wir hatten zunächst auf emotionale Unterstützung gesetzt und einen Offenen Brief ins Internet gestellt. In relativ kurzer Zeit haben wir dann viele bekannte Unterzeichner bekommen, wie einen früheren Staatspräsidenten von Ungarn oder einen ehemaligen italienischen Europaminister. Aber bei genauerer Betrachtung der Unterstützerliste haben wir festgestellt, dass sehr viele Universitätslehrer und vor allem Theologieprofessoren darunter sind. Diese 2.400 Menschen haben wir herausgefiltert, angeschrieben und gefragt, ob sie nach der emotionalen nun auch argumentative und rationale Unterstützung leisten wollen. Das Grundanliegen des Papstes ist die Fortsetzung des Konzils, sodass wir uns darüber Gedanken gemacht haben, wie man das Zweite Vaticanum weiterdenken kann. Dabei sind wir auf drei Fragen gestoßen. Erstens: Was sind derzeit die großen Herausforderungen auf jedem Kontinent? Zweitens: Was kann das Evangelium zur Lösung beitragen? Und drittens: Wie müsste sich die Kirche reformieren, damit sie diese Aufgabe gut leisten kann? 150 Theologen aus aller Welt haben sich zurückgemeldet und sehr gute Texte geschrieben, die vor wenigen Tagen als E-Book mit dem Titel "Wir teilen diesen Traum" erschienen sind. Es ist eine kleine Bibliothek zugunsten der Pastoralkultur des Papstes, getragen von diesem interkontinentalen und völlig informellen Netzwerk von Theologen.

Pasoraltheologe Paul Zulehner
Bild: ©KNA/Lukas Ilgner

Paul Zulehner war bis 2008 Professor für Pastoraltheologie an der Universität Wien. 2017 initiierte er gemeinsam mit dem tschechischen Theologen Tomas Halik die Online-Petiton "Pro Pope Francis".

Frage: Wie läuft die Arbeit innerhalb des Netzwerkes ab?

Zulehner: Wir wollen einige dieser Themen aufgreifen und die Theologinnen und Theologen mit der Frage anschreiben, ob sie sich nicht an dieser Denkarbeit durch ein Symposium in Wien, Prag oder anderswo beteiligen möchten. So würden wir öffentlich sichtbar machen, dass Theologen aller Welt "Pro Pope Francis" sind und für den Papst eintreten.

Frage: Braucht es Ihr Theologennetzwerk überhaupt? Denn es gibt doch zahlreiche Beratergremien des Papstes, die aus Theologen bestehen – etwa die vatikanische Theologenkommission.

Zulehner: Natürlich gibt es die Theologenkommission, die vom Vatikan besetzt und zu vorgegebenen Fragen konsultiert wird. Wir wollen ein unabhängiges Netzwerk von Theologen auf die Beine stellen, in dem die Themen frei gewählt werden können. Das sollen Themen sein, bei denen der Papst von den Theologen noch etwas lernen kann. So wird etwa durch einige Beiträge im E-Book deutlich, dass vor allem für die modernen Kulturen die Frauenfrage der Schlüssel für die Glaubwürdigkeit der Kirche ist. Es ist nicht so sehr der Missbrauchsskandal, bei dem viele unserer Theologen der Meinung sind, dass er eine Belastung ist, die durchaus vernünftig gelöst werden kann. Aber die eigentliche Herausforderung der Kirche besteht darin, dass die Gesellschaften in Europa und Amerika beim Thema der Emanzipation der Frau um Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte voraus sind. Diese Schieflage stört natürlich das Verhältnis von vielen Frauen zur Katholischen Kirche.

Frage: Wird in Ihrem Theologennetzwerk kontrovers diskutiert oder ist man sich in der inhaltlichen Ausrichtung eher einig?

Zulehner: Natürlich sind die Positionen verschieden und entspringen dem Denken der einzelnen Köpfe. Ein gutes Beispiel sind die Texte des Ebooks zur Megaherausforderung der Digitalisierung. Die Einschätzung der modernen Kommunikation durch den Eichstätter Religionspädagogen Engelbert Groß etwa ist spirituell sehr pessimistisch. Als Beispiel führt er eine Kunstinstallation an, bei der Jesus am Abendmahlstisch sitzt und die Apostel auf ihre Handys und Tablets schauen, sodass kein Gespräch stattfindet. Ein indischer Theologe hingegen schaut sehr positiv auf die modernen Kommunikationsmittel. Er sagt, sie sind eine der stärksten Abbildungen der Kommunikationsfähigkeit des Menschen. Das verbindet er mit einer Theologie der Trinität, von der er sagt, dass diese in sich ein Kommunikationsereignis ist. Die Digitalisierung leistet aus seiner Sicht einen weiteren Schritt zur Annäherung an dieses Ideal. Also es gibt vielfältige Meinungen in unserem Netzwerk. Wesentlich an den Texten ist, dass sie auf der einen Seite globale Probleme benennen – also die Ökologie, die Ökonomie mit der Gerechtigkeitsfrage, die Digitalisierung und die Migration. Auf der anderen Seite aber auch kontinentale Probleme behandeln, wie etwa die Gewalt der Religionen in Asien, die dort derzeit eine große Geißel ist. Damit wollen wir eine formale Seite des Pontifikats von Franziskus unterstützen. Der Papst sagt, man kann nicht alle Themen im weltkirchlichen Gleichschritt angehen. Er setzt mehr auf die Kompetenz in den Regionen, auf den Kontinenten, in den Versammlungen der Bischofskonferenzen. Das macht der Papst etwa im Herbst bei der Frage des Priestermangels auf der Amazonassynode in Rom. Er hat die Ortsbischöfe bewusst darum geben, bei dieser Frage mutige Vorschläge zu machen. Deshalb bin ich mir sicher, dass es nun grünes Licht für die Weihe verheirateter, nicht akademisch ausgebildeter ehrenamtlicher Priester geben wird.

„Es gibt eine Verantwortung der Bischöfe den "eucharistischen Hunger" der Gemeinden zu stillen.“

—  Zitat: Paul Zulehner

Frage: Viele Menschen setzen ihre Hoffnungen zur Erneuerung der Kirche auf Papst Franziskus. Aber was wäre, wenn bei der Amazonassynode nicht über die Weihe von "Viri probati" oder die Abschaffung des Pflichtzölibats gesprochen würde, sondern eher andere Aspekte, wie ökologische Probleme, zur Sprache kämen?

Zulehner: Mein guter Freund Bischof Erwin Kräutler aus Brasilien verantwortet das Vorbereitungspapier zur Synode. Er hat mir garantiert, dass sowohl über die Umweltproblematik des Regenwalds als auch über verheiratete Priester gesprochen wird. Der Papst hat schließlich auf dem Rückflug vom Weltjugendtag in Panama gesagt, dass er zwar die Ehelosigkeit der Priester schätzt, sich aber vorstellen kann, dass es daneben auch verheiratete Priester gibt. Es gibt eine Verantwortung der Bischöfe den "eucharistischen Hunger" der Gemeinden zu stillen. Bei der Audienz mit dem Papst habe ich ihm auch ein Buch von Bischof Fritz Lobinger mit Lösungsmodellen für den Priestermangel gegeben. Der Papst kannte das Buch: "Ah, Lobinger – habe ich schon gelesen." Das zeigt, Franziskus ist schon in das Thema eingelesen.

Frage: Sie teilen also die Ernüchterung nicht, die viele Gläubige aufgrund des Pontifikates von Papst Franziskus haben? Denn bislang sind tiefgreifende Reformen ja weitgehend ausgeblieben...

Zulehner: Nein, ich teile die Ernüchterung nicht, denn Leute, die diese Schnelligkeit verlangen, erwarten eigentlich einen autoritären Papst. Wenn der Papst die Bischöfe zu einer Synode zusammenruft, wie etwa vor kurzem zum Kinderschutz, und handfeste Resultate direkt nach dem Treffen erwartet werden, dann würde das nur gehen, wenn er als autoritäres Kirchenoberhaupt schon vorher die Ergebnisse vorbereitet und während der Versammlung durchsetzt hätte. Der Papst will jedoch, dass alle zunächst auf den gleichen Bewusstseinsstand kommen und dass die Leitenden für ihre Region vor Ort eine Lösung synodal suchen können. Die bisherige Logik war, dass es eine Entscheidung in solchen Fragen nur gibt, wenn die ganze Weltkirche im Gleichschritt marschiert: Sonst würde die Kirche auseinanderfallen. Durch diesen Panik-Zentralismus hat man in den letzten 50 Jahren seit dem Konzil jede weitere Entwicklung der Weltkirche verhindert und damit einen fatalen Reformstau geschaffen. Das durchbricht der Papst, indem er die mutigen Bischöfe in den verschiedenen Regionen ermächtigt, ihm Vorschläge zu machen und ihnen in Aussicht stellt, dass sie ihm Entwicklungen vorschlagen, die sie auf Grund theologischer Arbeit, Gebet und Fasten für richtig erachten. Er hält ihnen den Rücken frei, um in ihrer Region das Leben der Kirche zu entwickeln.

Frage: Ihre Unterstützung für Papst Franziskus ist also nicht geringer geworden?

Zulehner: Nein, denn der entscheidende Durchbruch zur Entwicklung der Kirche ist, dass Franziskus das Prinzip der Synodalität theologisch begründet, absolut ernst nimmt und auch praktiziert. Das schreibt auch der Kirchenhistoriker Hubert Wolf in unserem Ebook: Wenn der Papst die Synodalität und damit die Subsidiarität in der Kirche einführt, ist ihr damit mehr gedient, als wenn er in einzelnen Fragen eine Entscheidung herbeiführt. Denn es handelt sich um eine grundsätzliche Dynamisierung der Weltkirche und überwindet langjährige Stagnation.

Bischof Erwin Kräutler im Porträt.
Bild: ©KNA

Der aus Österreich stammende Amazonas-Bischof Erwin Kräutler setzt sich seit Jahrzehnten für die Indigenen in Brasilien ein.

Frage: Aber dieser Papst macht es den Gläubigen auch nicht immer leicht. Ich denke an seine Äußerungen zu homosexuellen Menschen. Vor einigen Jahren sagte Franziskus, er wolle nicht über sie urteilen. Vor kurzem äußerte er sich hingegen negativ über homosexuelle Seminaristen. Widersprüchliche Äußerungen dieser Art gibt es von Franziskus viele…

Zulehner: Sie haben Recht. Es gibt einige Äußerungen von Franziskus, die mir persönlich nicht gefallen. Aber die Dinge, die er schreibt, haben einen ganz anderen Tonfall. Ein Beispiel ist auch sein Ausspruch über Abtreibung als Auftragsmord. Wenn eine Frau wegen einer unerwünschten Schwangerschaft am Boden zerstört ist, lässt dieses Leid den Papst ganz anders sprechen. Er hat seine Pastoral des Erbarmens auch in diesem Bereich durchgesetzt. Man sollte nicht jedes schnelle Wort eines Menschen, der sehr gern aus dem Bauch heraus redet, auf die Goldwaage legen – das sage ich aus eigener Erfahrung. (lacht.)

Frage: Der Missbrauchsskandal bewegt die Kirche in der ganzen Welt. Ist Ihr Theologennetzwerk dabei, eine Theologie des Missbrauchs zu gestalten? So etwas gibt es bislang kaum.

Zulehner: In den Texten unseres Ebooks gehen wir auf dieses Thema nicht so stark ein, aber in einer vorangegangenen Publikation von "Pro Pope Francis" war auch der Missbrauchsskandal ein umfassender Punkt. Man sieht sehr deutlich, dass der Vatikan bei der Prävention von Missbrauch und der Bestrafung der Täter auf dem richtigen Weg ist. Der Papst muss jedoch auch die Kirche in Afrika und Asien auf den gleichen Bewusstseinsstand wie bei uns in Europa bringen. In den großen Gesellschaften der Welt hat derzeit niemand die Nase im Bereich der Missbrauchsbekämpfung so weit vorn wie die Kirche. Ich finde es immer verlogen von zahlreichen gesellschaftlichen Akteuren, wenn sie die Kirche mit Vergnügen an den Pranger stellen und zu Recht erwarten, dass wir in diesem Bereich ordentlich arbeiten. Aber man darf nicht vergessen, dass der gesamte Missbrauch zu wohl 90 Prozent in Familien, Schulen und öffentlichen Einrichtungen passiert. Eines Tages wird man sagen, die Kirche ist mit der Lösung dieser Probleme weit voran, aber die Gesellschaft hat noch viel zu tun, um den Standard der Kirche zu erreichen. Bei uns in Österreich ist es jedenfalls der Fall gewesen, dass die Stadt Wien und andere Träger von Einrichtungen bei der Kirche angefragt haben, wie man Missbrauch ordentlich aufarbeiten kann.

Frage: Sie glauben also, dass Papst Franziskus auch bei diesem Thema auf einem guten Weg ist?

Zulehner: Ja, aber auf einem synodalen Weg. Die Opferschutzverbände haben zu Recht eine gewisse Ungeduld, weil alles schon so lange dauert. Aber das kann man nicht Papst Franziskus in die Schuhe schieben, denn Johannes Paul II. hat Missbrauch völlig unter Verschluss gehalten und das geschah auch unter Benedikt XVI. noch mehr oder minder. Der eigentliche Durchbruch der Aufarbeitung ist unter Papst Franziskus gekommen. Und wenn es man das weltkirchlich macht, geht es halt nicht so schnell.

Von Roland Müller