Ethiker: Debatte um Bluttest nicht mit Blick auf den Geldbeutel führen
"Vereinbarte Debatte – Vorgeburtliche genetische Bluttests": Unter diesem schlichten Titel diskutiert der Bundestag an diesem Donnerstag eine zentrale ethische Frage. In der auf zwei Stunden angesetzten Orientierungsdebatte wollen die Abgeordneten darüber sprechen, ob vorgeburtliche Bluttests, mit denen behindertes Leben aufgespürt werden kann, künftig als reguläre Leistung der Gesetzlichen Krankenkassen angeboten werden sollen. Befürworter argumentieren, dass die Tests eine risikoarme Alternative zur Fruchtwasseruntersuchung seien. Außerdem sei es eine Frage der Gerechtigkeit, den Zugang zu dem Test nicht vom Geldbeutel abhängig zu machen. Gegner der Kassenzulassung befürchten dagegen, dass die Bluttests zu einer Art Automatismus bei vorgeburtlichen Untersuchungen führen könnten. Schwangerschaft werde damit immer stärker zu einer Schwangerschaft auf Probe. Der gesellschaftliche Druck, ein gesundes Kind zur Welt bringen zu müssen, steige. Im Interview mit katholisch.de spricht der Theologe Andreas Lob-Hüdepohl, der auch Mitglied im Deutschen Ethikrat ist, über die Bluttests und ihre Konsequenzen, die ethischen Grenzen der Medizin und den gesellschaftlichen Umgang mit Menschen mit Behinderung.
Frage: Professor Lob-Hüdepohl, der Bundestag diskutiert an diesem Donnerstag über vorgeburtliche Bluttests zur Erkundung genetischer Defekte bei Embryos. Wo liegt bei diesem Thema die ethische Brisanz?
Lob-Hüdepohl: Die ethische Brisanz liegt vor allem in den vorgezeichneten Konsequenzen solcher Tests. Bei vorgeburtlichen Bluttests geht es ja gerade nicht darum, eine Krankheit frühzeitig zu erkennen und zu therapieren; und es geht auch nicht um das Wohl der Schwangeren oder des ungeborenen Kindes. Vielmehr dienen diese Tests ausschließlich dazu, ein Kind mit bestimmten unerwünschten Eigenschaften, also etwa mit Trisomie 21, zu identifizieren und – jedenfalls in den allermeisten Fällen – danach abzutreiben.
Frage: Die Tests, um die es in der aktuellen Debatte geht, sind bereits seit mehreren Jahren auf dem Markt; bislang müssen werdende Eltern sie allerdings selbst bezahlen. Jetzt geht es lediglich um die Frage, ob Bluttests in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen werden. Was würde sich dadurch ändern?
Lob-Hüdepohl: Die Aufnahme in den Leistungskatalog würde die Bluttests zu einer medizinisch-diagnostischen Regeldienstleistung aufwerten. In der öffentlichen Wahrnehmung würden sie dadurch zu einer normalen medizinischen Leistung werden. Das sind sie aber nicht! Die Präimplantationsdiagnostik, die einige tausend Euro kostet, müssen Eltern auch selbst bezahlen – eben weil auch sie keine gewöhnliche Regelleistung ist. Dieser qualitative Unterschied darf keinesfalls unterschlagen werden.
Fürst: Der embryonale Mensch besitzt bereits die ganze Würde
Soll der vorgeburtliche Bluttest zur Erkennung des Down-Syndroms eine Kassenleistung werden? Darüber debattiert der Bundestag am Donnerstag. Die katholische Kirche hat eine klare Meinung zum Thema. Sie warnt vor einer Selektion von Babys in "lebenswert und nicht lebenswert".Frage: Vielfach wird argumentiert, dass es eine Frage der Gerechtigkeit sei, werdenden Eltern unabhängig von ihrem Geldbeutel den Zugang zu dem Test zu ermöglichen. Ist das aus Ihrer Sicht kein stichhaltiges Argument?
Lob-Hüdepohl: Keine Frage, auf den ersten Blick klingt dieses Argument plausibel. Allerdings kennen wir im Gesundheitsbereich viele Leistungen, die von den Versicherten selbst bezahlt werden müssen. Denken Sie etwa an die sogenannten IGeL-Leistungen – also individuelle Gesundheitsleistungen wie Ultraschall- oder Blutuntersuchungen –, die im Einzelfall sinnvoll und geboten seien können, aber trotzdem nicht zum Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherungen gehören. Hinzu kommt: Die Bluttests, um die es jetzt geht, kosten in der günstigsten Variante inzwischen nur noch rund 130 Euro. Wer Klarheit darüber haben möchte, ob sein Kind bestimmte unerwünschte Eigenschaften hat, sollte willens und in der Lage sein, diese überschaubare Summe selbst zu bezahlen.
Frage: Befürworter einer Aufnahme in den Leistungskatalog betonen auch, dass der Test risikoärmer sei als die invasive Fruchtwasseruntersuchung. Fehlgeburten könnten also vermieden werden, weshalb man werdenden Eltern den Test nicht vorenthalten dürfe. Was sagen Sie zu diesem Argument?
Lob-Hüdepohl: Auch dieses Argument ist nur bei oberflächlicher Betrachtung richtig. Es ist schließlich nicht so, dass der Bluttest die Fruchtwasseruntersuchung gänzlich unnötig machen würde. Die Tests, die heute auf dem Markt sind, sind noch viel zu ungenau, als dass man sich allein auf ihr Ergebnis verlassen darf. Wenn ein solcher Test also Auffälligkeiten zeigt, muss man trotzdem eine Fruchtwasseranalyse machen. Ansonsten bestünde die Gefahr, bei einem fehlerhaften Testergebnis ein gesundes Kind abzutreiben.
Frage: Vielfach wird werdenden Eltern, die sich für einen Bluttest entscheiden, vorgeworfen, Selektion zu betreiben. Ist dieser Vorwurf nicht zu hart? Immerhin befinden sich Paare, die ein Kind erwarten, in einer absoluten Ausnahmesituation...
Lob-Hüdepohl: Nun ja, dass es sich um eine Selektion handelt, lässt sich ja nicht abstreiten. Wer sich aus welchen Gründen auch immer für einen Schwangerschaftsabbruch entscheidet, trifft damit eine Auswahl – nichts anderes meint der Begriff Selektion ja. Aber – und insofern haben Sie recht: Den Vorwurf der Selektion darf man keinesfalls nur an die werdenden Eltern adressieren. Viele Eltern sind heute einem ungeheuren gesellschaftlichen und manchmal auch familiären Druck ausgesetzt, sich gegen ein Kind mit Behinderung zu entscheiden. Insofern muss sich auch die Gesellschaft fragen, inwieweit sie ein Klima zulässt oder sogar begünstigt, in dem werdende Eltern sich genötigt fühlen, zu selektieren und ein Kind mit unerwünschten Eigenschaften abzutreiben.
Frage: Sie sprechen es an: Das gesellschaftliche Klima sorgt mit dafür, dass heute laut Schätzungen neun von zehn Kindern, bei denen ein Down-Syndrom festgestellt wird, abgetrieben werden. Menschen mit Trisomie 21 gelten als vermeidbares Übel, weshalb werdende Eltern sich in den meisten Fällen gegen Kinder mit dieser Diagnose entscheiden. Müsste man angesichts dessen nicht viel mehr über den ethischen Kompass der Gesellschaft diskutieren?
Lob-Hüdepohl: Keine Frage: Der gesellschaftliche Umgang mit Behinderungen muss in den Blick genommen werden. Dass sich Eltern von behinderten Kindern rechtfertigen müssen und vielfach sogar in ihrem unmittelbaren Umfeld Ausgrenzung erfahren, ist ein Skandal. Gerade deshalb darf die Debatte um die Bluttests nicht nur mit Blick auf den Geldbeutel geführt werden. Es geht hier nicht in erster Linie um die erwähnte Gerechtigkeitsfrage – wie es leider auch die evangelische Kirche suggeriert hat –, sondern es geht um die ethische Grundsatzfrage, wie die Gesellschaft sich gegenüber Menschen mit Behinderungen positioniert. Der verbreiteten Auffassung, ein Menschenleben, das irgendwie nicht der Norm entspricht, sei von vornherein zu verhindern, muss klar und deutlich widersprochen werden.
Frage: Mit Blick auf die "Norm": Inzwischen gibt es längst Tests, die nicht nur Trisomie 21, sondern noch ganz andere genetische Merkmale herausfiltern können. Muss man hier aus ethischer Perspektive irgendwann eine Grenze ziehen? Und wenn ja, wann? Wie viel Abweichung von der Norm akzeptiert die Gesellschaft?
Lob-Hüdepohl: Mit Blick auf das menschliche Leben darf nie eine Grenze gezogen werden. Die Gesellschaft muss alle Abweichungen von der Norm akzeptieren. Die beste Richtschnur ist hier immer noch unser Grundgesetz. In Artikel 1 heißt es: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Diese Artikel gilt für alle Menschen. Jeder Mensch hat ein Lebensrecht – völlig unabhängig davon, ob er oder sie einer wie auch immer gearteten Norm entspricht oder nicht.