Warum AfD und Co. das Christentum für sich reklamieren
Man muss kein Prophet sein: Zwischen den (Amts-)Kirchen in Deutschland und der AfD wird sich auf absehbare Zeit keine Liebesbeziehung entwickeln. Zu verhärtet sind die Fronten. Mehrere Bischöfe haben sich klar gegen die Partei positioniert, Kardinal Reinhard Marx sprach sogar von "roten Linien". Diese seien erreicht bei "Ausländerfeindlichkeit, Verunglimpfung anderer Religionsgemeinschaften, bei einer Überhöhung der eigenen Nation, bei Rassismus, Antisemitismus, bei Gleichgültigkeit gegenüber der Armut in der Welt". Die AfD wiederum wirft den Kirchen vor, dass sie das Christentum nicht mehr vertreten. Überhaupt sei sie – nach dem vermeintlichen Linksruck der Unionsparteien – die "einzige christliche Partei, die es noch gibt", wie die Bundestagsfraktionsvorsitzende Alice Weidel 2017 in einem "Focus"-Interview sagte.
Ob die AfD in Deutschland, die Lega in Italien oder die FPÖ in Österreich: Tatsächlich berufen sich Politiker rechtspopulistischer Parteien bei bestimmten Positionen gerne auf eine inhaltliche Nähe zu christlichen Lehren, etwa beim Lebensschutz oder beim Familienbild. Doch wieviel christliche Überzeugung steckt tatsächlich in dieser Programmatik? Ein dreiköpfiges Autorenteam aus zwei Politikwissenschaftlern und einem Soziologen hat im Auftrag der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung sechs Thesen formuliert, die den Umgang rechtspopulistischer Parteien mit Religion thematisieren. Der Grundtenor: Rechtspopulistische Akteure nähmen Religion primär aus strategischen Gründen in Anspruch – ein persönliches Bekenntnis zum Christentum fehle meistens. Ihr Ziel bestehe darin, sich von allen Seiten die Unzufriedenen ins Boot zu holen – auch diejenigen, die sich aus religiösen Gründen Sorgen machen.
Inanspruchnahme der Religion stärkt eigene Position
"Rechtspopulisten haben aufgrund ihrer nationalistisch-chauvinistisch geprägten Politikauffassung allenfalls oberflächliche Gemeinsamkeiten mit dem Christentum", sagt Oliver Hidalgo, Dozent für Politikwissenschaft an der Universität Regensburg und einer der Autoren der Thesen. Dennoch versprechen sie sich von einem Schulterschluss mit der Religion einen Zuwachs an Legitimität. "Man versucht, mit der Inanspruchnahme von Religion die eigene Position zu stärken." Die eigene Auffassung soll demnach als Interesse der Gesamtbevölkerung dargestellt und entdämonisiert werden, um auch für die gesellschaftliche Mitte wählbar zu sein. Ein Paradebeispiel dafür liefert gemäß den Autoren die Untergruppierung "Christen in der AfD", die "die nationalistischen, migrationsfeindlichen und islamophoben Haltungen der Gesamtpartei als 'kulturkonservatives Christentum' verharmlost".
Mit ihrem religiösen Anstrich wollen AfD und Co. die innere Inkonsistenz in ihren politischen Inhalten überdecken, so Hidalgo. Rechtpopulisten würden eine sehr basisorientierte Idee von Demokratie propagieren. Doch in den Programmen gehe es meistens um Ungleichheit, Ausgrenzung und Hierarchien – was nicht zu dieser basisdemokratischen Idee passt, findet der Politikwissenschaftler. "Die Religion bildet an dieser Stelle ein Scharnier, sodass Rechtspopulisten suggerieren, im Namen des geeinten, ganzen Volkes zu sprechen, weil man über die Religion eine gemeinsame Identität besitzt."
So wird die Religion vor allem in strikter Abgrenzung zum als feindlich empfundenen Islam genutzt. Dadurch soll ein Gefühl der Zugehörigkeit entstehen, das von konkreten Glaubensinhalten unabhängig ist. Auf diesen Zusammenhang haben bereits andere Wissenschaftler hingewiesen. Die Münsteraner Sozialethikerin Marianne Heimbach-Steins sagte etwa, dass die AfD das Christentum für eine Ideologie der nationalen Abgrenzung gegen das "Feindbild Islam" instrumentalisiere. Dass sich die Partei häufig auf die Idee einer christlichen Leitkultur und eines christlichen Abendlandes berufe, diene der "kollektiven Identitätsbehauptung". Dahinter stecke das Ziel, gesellschaftliche Vielfalt durch eine behauptete Einheitlichkeit abzulehnen. Die behauptete Identität sei jedoch nicht christlich, sondern national konnotiert. Denn das Völkisch-Nationale passt eher wenig zur universalistischen Grundaussage des Christentums – auch wenn manche Ideologen der Neuen Rechten behaupten, Gott habe die Menschen nach Völkern erschaffen.
Konservative Katholiken anfällig für rechte Thesen
Dennoch scheinen gerade konservative Katholiken auf rechtspopulistische Thesen anzuspringen. Für die Bestätigung dieser These genügt meist ein Blick in die Kommentarspalten von verschiedenen Internetportalen. Besonders bei den Themen Islam und Migration werden dort die Positionen rechtspopulistischer Parteien verteidigt und propagiert. Sie werden gar als Verbündete der Christen im Kampf gegen den vermeintlich liberalen Zeitgeist betrachtet.
Linktipp: Rechtspopulismus in Pfarrgemeinden – Wie damit umgehen?
Christen sind nicht immun gegen rechte Propaganda. Der zunehmende Rechtspopulismus fordert auch Pfarrgemeinden heraus. Wie umgehen mit AfD-Sympathisanten in den eigenen Reihen? Eine Tagung sucht nach praktischen Antworten.Dabei sei der Habitus rechtspopulistischer Parteien wie der AfD eigentlich die "Antithese des Christentums", wie der katholische Politologe und Publizist Andreas Püttmann bereits mehrfach betont hat. Das Christentum habe Werte wie Empathie, insbesondere mit Schwachen und Leidenden, Demut und Gelassenheit hervorgebracht. "Der Rechtspopulismus ist jeweils das exakte Gegenteil: Empathielosigkeit, Hybris und Daueraufgeregtheit", betonte er in einem Gespräch mit dem Radiosender WDR 5.
Dennoch: Wie alle anderen Religionen auch lässt das Christentum eine Bandbreite von Überzeugungen zu – gerade im politischen Bereich. Daher sind Überlappungen zwischen christlichen und rechtspopulistischen Positionen keine Überraschung, wie auch die Autoren der Thesen festgestellt haben. Themen wie Nächstenliebe und Geschwisterlichkeit mögen die Ausbildung rechtspopulistischer Vorurteile verhindern – genauso können aus der göttlichen Offenbarung abgeleitete Absolutheitsansprüche Intoleranz befeuern. Doch grundsätzlich zielt auch die christliche Botschaft darauf ab, die Vielfalt religiöser Sichtweisen anzuerkennen. Die Herausforderung, so Oliver Hidalgo, bestehe darin, die Freund-Feind-Bilder, die der Rechtspopulismus kultiviert, nicht auf den religiösen Bereich abfärben zu lassen.