Wie die "Osterpflicht" erfüllt und umgangen wurde: Der Beichtzettel
Um die Beichtpraxis der Katholiken ist es schlecht bestellt. Für die Bestätigung dieser These genügt ein Blick auf die Länge der Schlange vor den Beichtstühlen, wenn in einer Pfarrkirche Beichtgelegenheit ist. Doch auch es wenn bei den meisten nur für ein müdes Lächeln sorgen dürfte: Nach wie vor sind alle Gläubigen dazu verpflichtet, mindestens einmal pro Jahr die Beichte abzulegen. Das besagt das zweite der fünf Kirchengebote, das unter der Nummer 2042 im Katechismus der Katholischen Kirche zu finden ist. Der Termin muss nicht zwingend an Ostern sein, aber in der Praxis bietet es sich an: Das dritte Kirchengebot, ebenfalls unter Nummer 2042 im Katechismus nachzulesen, verpflichtet die Gläubigen, einmal im Jahr – und zwar während der Osterzeit – die Kommunion zu empfangen. Das macht man am besten "frisch gebeichtet".
Bis die Mitte des vergangenen Jahrhunderts nahmen die meisten Katholiken diese "Osterpflicht" noch ernst. Ob das daran lag, dass die Leute gläubiger gewesen wären oder ein stärkeres Sündenbewusstsein gehabt hätten, kann man nicht mit absoluter Gewissheit sagen. Wer sich davor drückte, galt nämlich als öffentlicher Sünder – im schlimmsten Fall wäre ihm ein kirchliches Begräbnis versagt worden. Aber wie wurde kontrolliert, ob man gebeichtet hat? In vielen Gegenden bekam der Pönitent nach erfolgter Absolution einen kleinen Zettel, den ihm der Beichtvater durch den kleinen, flachen Schlitz im Beichtstuhl zuschob. Dieser hatte einen abtrennbaren Beleg, den der Pfarrer nach der Osterzeit bei einem Kontrollgang einsammelte.
Verpflichtung besteht seit 1215
Die Verpflichtung zur einmaligen Beichte pro Jahr geht auf das Vierte Laterankonzil von 1215 zurück. Das Konzil von Trient (1545 bis 1563) griff diese Regel auf und verschärfte sie: In der Zeit der Gegenreformation wollte man so die Katholiken an die Sakramente binden. Seit dieser Zeit waren die Beichtbelege im Umlauf; flächendeckend eingeführt wurden sie im Laufe des 19. Jahrhunderts. Es handelte sich dabei meist um ein Bild mit inhaltlichem Bezug zu Ostern. Darunter stand ein lateinischer, später landessprachlicher Text, der die abgelegte Beichte bestätigte.
Wo der Pfarrer nach dem Osterfest nicht von Haus zu Haus ging, um die Beichtnachweise von seinen Schäfchen einzufordern, war es meist die Hausfrau, welche dem Pfarrer die Bestätigungen von allen Mitgliedern der Hausgemeinschaft überbrachte – und damit den Beweis lieferte, dass der kirchlichen Verordnung Folge geleistet wurde. Bei diesem Besuch bekam der Pfarrer kleinere Geldbeträge ("Beichtkreuzer", "Beichtpfennige" oder "Beichtgroschen") oder Naturalien, zum Beispiel Eier.
Schon damals gab es Leute, die von dieser Praxis wenig hielten. So etablierten sich bald einige kuriose Wege, um an Beichtzettel zu kommen, ohne selbst bei der Beichte gewesen zu sein. Wenn ein Mann Glück hatte, war er mit einer sorgsamen Ehefrau verheiratet, die – um den guten Ruf der Familie zu wahren – vor Ostern in der Nachbarpfarrei oder in einem Kloster nochmals ihre Sünden bekannte. So ergatterte sie einen Beichtzettel für ihren Ehemann.
Wie kommt man ohne Beichte an einen Zettel?
Doch nicht jeder war mit einer derart verständnis- und liebevollen Frau gesegnet – also musste er auf andere Weise an einen dieser begehrten Zettel gelangen. Am harmlosesten war es, wenn man jemandem, der für seine Sünden während der Fastenzeit schon mehrmals Absolution empfangen hatte, in der Dorfwirtschaft ein Bier ausgab, damit dieser einen seiner Beichtnachweise herausrückte. Manchmal entstand um die Beichtzettel sogar ein regelrechter Schwarzmarkt: Vor allem im süddeutschen Sprachraum veräußerten Mesner Beichtzettel "unter der Hand“; fleißige Beichtgänger verkauften sie an unbußfertige Mitbürger.
Linktipp: Fragen und Antworten rund um die Beichte
Wann, wo und wie kann man beichten? Was ist Reue und was das Beichtgeheimnis? Katholisch.de beantwortet häufige Fragen rund um das Bußsakrament.In kinderreichen Familien waren besonders die jungen Geschwister bereit, mehrfach in den Beichtstuhl zu gehen, um die begehrten Zettel zu bekommen. Der Handel mit Beichtzetteln war für sie ein lohnendes Geschäft. So reimte etwa Wilhelm Busch: "In allen Kirchen, nah und fern, / ging er zur Beichte oft und gern / und gab der Beichte Zettel willig, / an andere Knaben - aber billig." Üblich war es auch, Beichtzettel über die Pfarreigrenzen hinweg zu beschaffen, wenn in der Nachbarpfarrei keine Kontrollen erfolgten.
Gerichtsurteil bestätigt die Rechtmäßigkeit
Heutzutage ist es nahezu unvorstellbar, dass ein Pfarrer die Beichtpraxis seiner Gemeinde kontrolliert. Doch dieses Vorgehen war schon damals umstritten. Das zeigt ein Urteil des Oberlandesgerichts München aus dem Jahr 1880: "Der Pfarrer hat das Recht, sich Kenntnis zu verschaffen, ob seine Pfarrangehörigen zur österlichen Zeit das Sakrament der Buße empfangen haben", entschieden die Richter. In diesem Zuge erlaubten sie es auch, dass der Pfarrer bei mehrmaliger Nichtablieferung der Beichtzettel die Ungehorsamen öffentlich nennen könne. Das Ordinariat könne außerdem den Ausschluss der betreffenden Person aus der Kirche in die Wege leiten.
Die Abgabe der Beichtzettel an den Ortsgeistlichen war mancherorts noch in den 1960er-Jahren üblich. Auch heutzutage werden sie in einigen Pfarreien noch als "Nachweis" für die Osterbeichte an die reuigen Sünder ausgegeben – aber nur zum Andenken. In der Regel sind es kleine Andachtskärtchen mit einem schönen Bild auf der Titelseite – meist eine künstlerische Darstellung der Auferstehung Jesu. Dazu kommt eine kurze schriftliche Betrachtung, ein Bußgebet sowie der Schriftzug "Osterbeichte" mit der entsprechenden Jahreszahl inklusive Pfarreinamen auf der Rückseite.