Kritik auch an der Analyse von Benedikt XVI.

EKD-Kulturbeauftragter: Kirche muss dunkle Seite der 68er untersuchen

Veröffentlicht am 25.04.2019 um 09:57 Uhr – Lesedauer: 

Hamburg ‐ Die Ablösung von traditionellen Normen habe in ein neues System der Grenzverletzung gemündet: Laut dem EKD-Kulturbeauftragten Johann Claussen müsse die Kirche die dunklen Seiten der sexuellen Befreiung der 68er untersuchen.

  • Teilen:

Die evangelische Kirche sollte sich nach Worten ihres Kulturbeauftragten Johann Hinrich Claussen mit der dunklen Seite der sogenannten sexuellen Befreiung der 68er auseinandersetzen. In manchen Kirchengemeinden habe man sich damals als antiautoritär verstanden und nicht bemerkt, wie die Ablösung von traditionellen Normen in ein neues System der Grenzverletzung münden konnte, schreibt Claussen in der "Zeit"-Beilage "Christ und Welt". Als "besonders krasses" Beispiel nannte er die Vorgänge in Ahrensburg bei Hamburg, wo in den 70er und 80er Jahren Jugendliche von zwei Pastoren missbraucht worden waren.

Claussen wies darauf hin, dass "Pädokriminelle" in der Odenwaldschule unter dem Mantel des "Reformpädagogischen" gezielt Grenzen des Anstands, der körperlich-seelischen Unversehrtheit und des Kinderschutzes verletzt hätten. "Diese fatale Schule war keine Einrichtung der evangelischen Kirche. Aber es gab protestantische Milieus und evangelische Eliten, die ihr das systemnötige Prestige verschafften", kritisierte der Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

So habe der Deutsche Evangelische Kirchentag - wenn auch unwissentlich - dabei geholfen, die Odenwaldschule vor Kritik zu schützen, indem er ihren Hauptprotagonisten wiederholt eine große Bühne bot, sagte der Kulturbeauftragte mit Blick auf mehrfache Auftritte des Reformpädagogen Hartmut von Hentig auf Kirchentagen. Hentigs langjähriger enger Freund Gerold Becker war Leiter der Odenwaldschule und wurde von Schülern später als "Haupttäter" bezeichnet.

Es wäre gut, wenn dies einmal in Ruhe aufgearbeitet würde, empfahl Claussen, so wie die "Zeit", die damals als das publizistische Forum dazu fungiert habe, ihren Anteil untersucht habe. Um den "antiautoritär/reformpädagogischen Komplex" zu durchleuchten, sollte zudem untersucht werden, was damals an staatlichen Schulen geschehen sei.

"Hilfloser Versuch" Benedikts

Harsch kritisierte Claussen in seinem Artikel den früheren Papst Benedikt XIV., der in einem Aufsatz der 68er-Bewegung eine Mitschuld an den Missbrauchsskandalen in der katholischen Kirche gegeben hatte. Dies sei der hilflose Versuch ein inneres Problem nach außen zu verlagern und den "eigenen Lieblingsfeinden die Schuld für Missstände zu geben", für die die Kirche selbst die Verantwortung übernehmen müsste.

Vor zwei Wochen hatten mehrere Medien einen Aufsatz des emeritierten Papstes mit dem Titel "Die Kirche und der Skandal des sexuellen Missbrauchs" veröffentlicht. Darin bezeichnet Benedikt den "Zusammenbruch der katholischen Moraltheologie" und eine zunehmende Gottlosigkeit in Kirche und Gesellschaft seit den 1960er Jahren als Hauptursachen der Missbrauchskrise. Die Reaktionen auf das Schreiben fielen mehrheitlich negativ aus. (tmg/epd)