Expertin: Missbrauch im Sport wohl ähnlich verbreitet wie in Kirche
Der sexuelle Missbrauch im Umfeld des Sports könnte ähnliche Dimensionen haben wie in der Kirche. Das sagte Sabine Andresen, die Vorsitzende der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch, am Sonntagabend im Deutschlandfunk: "Ich denke, wir müssen von einer großen Dimension ausgehen und wir müssen deswegen auch auf das System gucken. Das Verweisen darauf, es handele sich immer nur um Einzelfälle, ist der Versuch auszublenden, und das nenne ich ein verantwortungsloses Verhalten."
Ab Montag ruft die Kommission Betroffene aus dem Sport auf, sich zu melden und in vertraulichen Anhörungen ihre Geschichte zu erzählen. Der Sport biete vielfältige Gelegenheiten für sexuelle Übergriffe vor allem durch körperliche Nähe etwa bei Hilfestellungen, die es Täterinnen und Tätern möglich machten, ihre Strategien anzuwenden, erläuterte Andresen den Grund für den Aufruf. Es gebe Forschungsergebnisse, die darauf hindeuteten, "dass etwa jede dritte Athletin, jeder dritte Athlet Erfahrung gemacht hat mit sexueller Gewalt".
Menschen, die etwa im Verein Gewalt erfahren hätten, erlebten häufig, dass ihnen nicht zugehört und dass keine Verantwortung übernommen werde, so Andresen weiter. Damit stehe der Sport für die gesamte Gesellschaft. Die Arbeit der Aufarbeitungskommission solle Betroffenen eine Perspektive bieten: "Wir werden gesehen, wir werden gehört, und das, was wir zu berichten haben, wird anerkannt und wertgeschätzt und hoffentlich werden daraus auch in der Politik auch Schlussfolgerungen gezogen."
Sport darf sich nicht hinter Prävention verstecken
Der Sport dürfe sich nicht hinter Prävention verstecken, sagte die Erziehungswissenschaftlerin weiter: "Eine gute Prävention ist darauf angewiesen, Aufarbeitung zu machen." Eine verpflichtende Absichtserklärung zur Aufarbeitung bezeichnete die Vorsitzende der Aufarbeitungskommission als "deutliches Bekenntnis, dass man gewillt ist, Verantwortung zu übernehmen und dass zu dieser Verantwortung auch eine unabhängige Aufarbeitung gehört".
In den vergangenen drei Jahren habe die Aufarbeitungskommission bereits 1.700 Berichte von Betroffenen erhalten. Die Möglichkeit, mit Menschen zu sprechen, die ihnen glauben, sei für Betroffene ganz zentral, schilderte Andresen ihre Eindrücke aus Anhörungen. Bisher hat die Kommission den sexuellen Missbrauch im familiären Umfeld, in der Kirche und in der DDR untersucht.
Im Rahmen der Ende September von den deutschen Bischöfen vorgestellten Studie zum sexuellen Missbrauch wurden in den kirchlichen Akten der Jahre 1946 bis 2014 Hinweise auf bundesweit 3.677 Betroffene sexueller Übergriffe und auf rund 1.670 beschuldigte Priester, Diakone und Ordensleute gefunden. (tmg/KNA)