Theologen sehen Autoritätsgefälle zwischen Zelebrant und Gläubigen kritisch

Die Liturgie – eine Quelle des Klerikalismus?

Veröffentlicht am 07.05.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Aspekte der Liturgie können Machtvorstellungen bei Priestern begünstigen, fürchten die Liturgiewissenschaftler Benedikt Kranemann und Jürgen Bärsch. Denn gerade in der Feier des Gottesdienstes werde ein Autoritätsgefälle deutlich. Die beiden Theologen wollen dem entgegenwirken – mit konkreten Vorschlägen.

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Es ist etwas in Bewegung geraten in der katholischen Kirche in Deutschland. Die Bischöfe sind sich einig, dass im Angesicht des Missbrauchsskandals vieles auf den Prüfstand gestellt werden muss. Bei der Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz hat Kardinal Reinhard Marx einen "synodalen Weg" angekündigt, einen gemeinsamen und offenen Diskussionsprozess von Klerikern und Laien über die Zukunft der Kirche. Dabei soll es um die kirchliche Sexualmoral, den Zölibat und die Frage nach der Macht des Klerus gehen.  

Gerade beim Thema Klerikalismus fordern Theologen eine verstärkte Debatte. Der Würzburger Fundamentaltheologe Matthias Remenyi betont, dass man dazu in den Bereichen Amtstheologie, Ekklesiologie, Kirchenrecht und Spiritualitätstheologie die Inhalte einer Revision unterziehen müsse. Laut der Erfurter Dogmatikerin Julia Knop wird die "klerikale Selbstüberhöhung" von Geistlichen entscheidend durch dogmatische Konzepte und kirchliche Strukturen forciert und theologisch legitimiert. Die Systematische Theologie müsse stärker als bisher auf "verhängnisvolle Verschränkungen von Theologie, Spiritualität, Gottesdienst und Struktur der Kirche hinweisen".

Auch Benedikt Kranemann sagt, dass die Art, wie die Kirche Gottesdienst feiert, für diese "klerikale Selbstüberhöhung" mitverantwortlich sein kann. Der Erfurter Liturgiewissenschaftler hatte sich bereits bei einem Vortrag zum Zusammenhang zwischen Liturgie und Klerikalismus geäußert und dabei ein großes Echo erzeugt. In der aktuellen Ausgabe der Herder Korrespondenz legt er nun nach.

Professor Dr. Benedikt Kranemann
Bild: ©KNA

Professor Dr. Benedikt Kranemann ist Liturgiewissenschaftler und leitet das Theologische Forschungskolleg an der Universität Erfurt.

Im Angesicht der Krise sehe man Fragwürdiges, das man vorher nicht wahrgenommen hat – darunter auch die problematischen Aspekte des Gottesdiensts, so Kranemann in seinem Aufsatz. Liturgie schreibe Menschen, zumal Priestern, bestimmte Amts- und Rollenverständnisse zu und lasse sie diese immer wieder ausüben. "Wie trägt sie, die im Leben der Kirche permanent präsent ist, dazu bei, dass Menschen anderen gegenüber Machtvorstellungen entwickeln, die im Gottesdienst nichts zu suchen haben?", fragt der Theologe. Gleichzeitig spricht er bei Priestern von einer "Habitualisierung von Selbstüberschätzung über den Gottesdienst hinaus". Der Zusammenhang von sozialer Rolle, kirchlichem Amt und sakralisiertem Handeln könne zu "entsetzlichen Missverständnissen" führen.

So ein Missverständnis ist beispielsweise dann gegeben, wenn ein Priester seine Aufgabe falsch interpretiert, Christus in der Liturgie zu repräsentieren, sagt Jürgen Bärsch, Professor für Liturgiewissenschaft an der Katholischen Universität Eichstätt: "Christus sichtbar zu machen heißt eigentlich, dass ein Priester durchsichtig sein und in seinem Handeln auf einen anderen hinweisen soll."

Gemeinschaft oder Überhöhung des Klerus?

Bärsch teilt Kranemanns Vorwurf, dass Gestik, Sprache und auch Kirchenraum ein problematisches Amtsverständnis zusätzlich verstärken können. "Gerade in der Liturgie wird besonders deutlich, welche Rolle dem Amt in der Kirche zukommt", betont der Theologe. Bei der Feier des Gottesdienstes sei durchaus ein Machtverhältnis zwischen Laien und Klerikern erkennbar. "Man muss dringend nachfragen, an welchen Stellen die normativen Vorgaben für die Liturgie, hinter denen oftmals eine bestimmte Ekklesiologie steht, zu einem klerikalistischen Verhalten beitragen können", so Bärsch. Der Auftrag der Theologie bestehe darin, die theologischen Vorentscheidungen hinter diesen Vorgaben zu untersuchen.

Beispiele gibt es dafür viele: Bärsch nennt die Konzelebration, die gemeinsame Feier der Liturgie durch einen Hauptzelebranten mit weiteren Zelebranten. "Macht sie – so wie sie beabsichtigt ist – die priesterliche Gemeinschaft sichtbar, oder überhöht sie den Klerus?" Hinzu komme, dass sich die Zelebranten die Kommunion selbst nehmen, während alle anderen sie empfangen. Auch die Einleitung zum Gabengebet könne man heranziehen, wenn es dort heißt: "mein und euer Opfer". An diesen Stellen werde bewusst eine Unterscheidung eingetragen. "Da stellt sich natürlich die Frage, ob das wirklich erforderlich ist", findet Bärsch.

Linktipp: Was ist Klerikalismus?

Immer wieder warnt der Papst vor Geistlichen, die sich für etwas Besseres halten, denn er sieht einen Zusammenhang zwischen Klerikalismus und Missbrauch in der Kirche. Im katholisch.de-Interview erklärt der Grazer Pastoraltheologe Rainer Bucher, warum einige Priester klerikal sind und andere nicht.

Ein anderen Aspekt bringt Benedikt Kranemann ins Spiel: den der räumliche Trennung zwischen "Volk" und Priester während des Gottesdiensts. "Ist es eigentlich undenkbar, dass der Priester bei der Gemeinde sitzt und zu den Aufgaben, die er am Ambo, Altar und einem weiteren Sprechort übernimmt, an die entsprechende Stelle tritt?" Diese Praxis ist etwa bei evangelischen Gottesdiensten üblich. Das würde klar machen, dass der Priester ein Teil der Gemeinde ist – nicht ihr gegenüber, betont Kranemann und moniert, dass immer wieder "Differenzierungsmarkierungen" zwischen Klerus und Laien in der Liturgie gesetzt werden.

Damit die Feier der Liturgie zur Feier der ganzen Gemeinde wird, bringen beide Liturgiewissenschaftler einige Vorschläge ins Spiel. Kranemann hält etwa eine stärkere Profilierung des gemeinsamen Gebets sowie des Zusammenspiels von Einzelnem und Gemeinschaft im Gebet für nötig. Ein erster Schritt sei schon getan, wenn beim Tagesgebet nach dem "Lasset uns beten" des Priesters – wie im Messbuch vorgesehen – eine Gebetsstille gehalten werde, was in der Praxis eher selten vorkommt. Somit hätten alle Gläubigen schon am Anfang des Gottesdiensts die Möglichkeit, ihre Anliegen vor Gott zu tragen.

Nicht Rang, sondern Kompetenz würde entscheiden

Die Gläubigen aktiver in die Liturgie einzubinden, war eines der großen Ziele der Liturgiereform im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils. So heißt es in der Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium: "Die Mutter Kirche wünscht sehr, alle Gläubigen möchten zu der vollen, bewussten und tätigen Teilnahme an den liturgischen Feiern geführt werden, wie sie das Wesen der Liturgie selbst verlangt" (SC 14). Weiter soll bei liturgischen Feiern jeder in der Ausübung seiner Aufgabe "nur das und all das" tun, was ihm zukommt (vgl. SC 20).

Manche Veränderungen lassen sich unter Beachtung der Vorgaben problemlos durchführen. Anders sieht die Lage beim Thema Laienpredigt aus, die – zumindest offiziell – in der Heiligen Messe untersagt ist. Bei anderen Gottesdienstfeiern dürfen Laien allerdings eine Katechese halten, daher würden die Gründe gegen eine Laienpredigt nicht überzeugen, so Kranemann. Es wäre in deutliches Zeichen, wenn Männer und Frauen in der Messe predigen würden, die aufgrund ihrer theologischen Kenntnis die Bibel auslegen: "Deutungsmacht in der Kirche würde geteilt, Kompetenz würde entscheiden."

Bild: ©KNA

Papst Paul VI. feierte mit Bischöfen aus fünf Erdteilen erstmals eine Messe in Konzelebration.

Grundsätzlich findet Jürgen Bärsch, dass man bei diesem Thema nochmal reflektieren müsse, "was wann wie sinnvoll ist". Doch schon bei der Vorgabe, dass hinsichtlich der Predigt in der Messfeier die Einheit von Wort und Sakrament gewahrt werden solle, bekomme er Bauchschmerzen: "Dadurch, dass ein Diakon predigen darf, wird das schon konterkariert." Generell müsse man bei der Frage nach der Laienbeteiligung im Gottesdienst ein größeres Augenmerk auf die einzelnen Dienste richten. "Viele davon haben wir kaum bis gar nicht, etwa den Kantorendienst." Auch die Auswahl der Messtexte könnte man auf mehrere Schultern übertragen: Die Einführung in das Messbuch besagt, dass man dabei das Wohl der Gemeinde im Blick haben soll.

Bei allen berechtigten Fragen müsse aber klar herausgestellt werden, dass die Rolle des Priesters in ihrer Eigenbedeutung wichtig bleibe, so Bärsch. "Die Frage ist nur, wie der Priester dieses Amt konkret ausfüllt und inwiefern ihm immer bewusst bleibt, dass sein Dienst im Dienst des gesamten Volkes Gottes steht." Es müsse wieder stärker zum Tragen kommen, dass eine Gemeinde nur durch das Zusammenwirken aller Dienste Gottesdienst feiern kann. Dazu sei jedoch eine theologische Reflexion der verschiedenen Ebenen liturgischen Feierns nötig. "Deshalb hoffe ich, dass der synodale Weg auch einen Blick auf den Gottesdienst wirft. Denn in der Art und Weise, wie sie Liturgie feiert, drückt sich die Kirche selbst aus."

Von Matthias Altmann