Große Aufräumaktion im Heiligenhimmel
Papst Paul VI. hatte keine Angst vor großen Veränderungen. Doch als er am 9. Mai 1969 die grundlegende Neuordnung des liturgischen Kalenders veröffentlichte, sah er sich mit einer Welle der Empörung konfrontiert, die man heute wohl als Shitstorm bezeichnen würde. Was war passiert?
Mit dem Motu proprio "Pascalis mysterii" vom 14. Februar 1969, das am 9. Mai veröffentlicht wurde und am 1. Januar 1970 in Kraft trat, ordnete er die Heiligenverehrung neu. Er strich einige beliebte Vorbilder aus dem Heiligenkalender und setzte klare Akzente in verschiedenen Zeiten des liturgischen Jahres.
Die Heiligen wurden fortan an ihrem Todestag gefeiert, vorausgesetzt dieser ließ sich historisch angemessen nachweisen. Das bedeutete das "Aus" für einige so populäre Heilige wie die gerade in Köln so beliebte Ursula mit ihren Gefährtinnen oder auch Christophorus, Susanna, Barbara oder Cäcilia. Das traf die Menschen tief in ihrem Herzen. Denn die Katholiken hatten unter den Heiligen eigene Favoriten, die sie in guten oder schlechten Zeiten bevorzugt anriefen und zu denen sie eine besondere Zuneigung entwickelten.
Da in katholischen Gegenden damals noch eher der Namenstag als der Geburtstag gefeiert wurde, war der Schrecken groß. Fiel jetzt der Namenstag aus? Sollten sich die Menschen über Jahrhunderte hinweg geirrt haben? Nein, in den Gebieten, wo diese Heilige besonders populär waren, durften sie weiter verehrt werden - nur hatten sie keine gesamtkirchliche Bedeutung mehr.
Die Aufregung war so groß, dass nur wenige Tage später im Osservatore Romano eine beruhigende Erklärung veröffentlicht wurde mit dem Titel: "Die Heiligen abgeschafft?" Darin hieß es, die Aufregung sei ein Alarm ohne Grund. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) sah sich veranlasst, mit einem ausführlichen, mehrseitigen Erklärstück der Öffentlichkeit die offensichtlich gewünschten Informationen anzubieten.
Die Neuordnung des Heiligenkalenders verursachte selbst über die Konfessionsgrenzen hinweg Aufregung. In Kairo etwa war man über die Streichung des heiligen Georg empört, der auch von Muslimen verehrt wird. Ähnlich war es bei den orthodoxen Kirchen. Das griechisch-orthodoxe Patriarchat von Alexandria ließ seiner Wut über die Entfernung der Heiligen Georg, Nikolaus und Katharina aus dem Kalender freien Lauf. "Heilige nach seinem Gutdünken zu streichen, zu denen seine Vorgänger gebetet haben", das wollte man dem Papst nicht durchgehen lassen.
Mit dem Stand 9. Mai 1969 sollte die gesamte katholische Kirche künftig 126 europäische Heilige feiern, jedoch nur acht afrikanische, 14 asiatische, vier amerikanische und einen ozeanischen. Der Heiligenhimmel war also klar europäisch geprägt, obwohl das Zweite Vatikanische Konzil den Wunsch geäußert hatte, einen universalen liturgischen Kalender zu schaffen. In der KNA-Meldung hieß es damals lakonisch: "Letzteres ist den Reformern des liturgischen Kalenders nach Ansicht vatikanischer Beobachter nicht ganz geglückt."
Seit Paul VI. vor 50 Jahren den Heiligenkalender aufgeräumt hat, hat sich einiges im Heiligenhimmel getan. Er selbst hat - offensichtlich beeinflusst von der Kritik - 84 Menschen heiliggesprochen. Doch nimmt sich das geradezu bescheiden aus im Vergleich zu seinen Nachfolgern
Johannes Paul II. etwa hat so viele Heilige und Selige kreiert wie seine Vorgänger in vier Jahrhunderten zusammen - insgesamt 482. Denn er wollte den Gläubigen auf der ganzen Welt regionale und je nach Stand oder Beruf passende Vorbilder anbieten.
Benedikt XVI. war da zurückhaltender. Er erhob 45 Menschen zur Ehre der Altäre, darunter seinen Vorgänger Johannes Paul II. Papst Franziskus wiederum setzte einen ganz eigenen Rekord, denn er sprach an einem Tag, am 12. Mai 2013, sage und schreibe 803 Menschen auf einmal heilig, darunter eine 801-köpfige Märtyrergruppe um Antonio Primaldo, die 1480 ermordet wurde.
Im Heiligenhimmel wurde es also immer voller, seit Paul VI. den liturgischen Kalender neu ordnete. Mittlerweile ist auch er dort angekommen, da ihn Papst Franziskus 2014 erst selig und 2018 heiligsprach.