Unterwegs mit der Seemannsmission im Hamburger Hafen

Wenn Seeleute einer Seelsorgerin ihr Herz ausschütten

Veröffentlicht am 09.06.2019 um 13:11 Uhr – Lesedauer: 

Hamburg ‐ Schwere Arbeit an Bord, kurze Liegezeiten im Hafen und über ein halbes Jahr fern von zu Hause: Das Leben auf modernen Containerschiffen ist hart. Die katholische Seemannsmission "Stella Maris" kümmert sich um die Sorgen und Nöte der Besatzungen.

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Vor der meterhohen Bordwand des Kohlefrachters "Puplinge" im Hamburger Hafen wirkt Monica Döring winzig wie eine Ameise. Zwei provisorisch zusammengebastelte Leitern führen auf das Deck des über 200 Meter langen Schiffs. Vorsichtig klettert sie mit Helm und Sicherheitsschuhen über die wackelige Konstruktion nach oben. Ein Seemann bittet sie, sich in das Bordbuch einzutragen, und führt sie ins Innere.

Wenn die Leiterin der katholischen Seemannsmission "Stella Maris" im Hamburger Hafen zu Schiffsbesuchen aufbricht, dann ist das immer ein kleines Abenteuer. Die 52-Jährige weiß nicht, was sie erwartet, auf wen sie trifft und ob sie willkommen ist. Abgewiesen wird sie jedoch in den seltensten Fällen. Im Gegenteil: Meist empfangen sie die Seeleute mit offenen Armen. "Sie freuen sich in der Regel über jeden Kontakt von außen", sagt Döring.

Der Kapitän wünscht sich einen Gottesdienst an Bord

So auch die Männer auf der "Puplinge". Im Mannschaftsraum begrüßt der Kapitän die Seelsorgerin persönlich. Er ist ebenso wie der Rest der Crew Filipino und spricht Englisch. Als er hört, dass Döring von der katholischen Kirche kommt, ist er begeistert und fragt, ob sie einen Gottesdienst an Bord organisieren könne. "Wir brechen zwar schon morgen auf nach Murmansk. Aber danach kommen wir zurück und könnten eine Messe feiern", schlägt er auf Englisch vor. Döring verspricht, mit dem Seemannspastor darüber zu sprechen. Etwa vier bis fünf Mal im Jahr feiert er Gottesdienste an Bord der Schiffe. Zuletzt wurde er gerufen, als es einen Todesfall auf einem der Frachter gab.

Bild: ©KNA/Michael Althaus

Monica Döring ist die Leiterin der katholischen Seemannsmission "Stella Maris" in Hamburg.

Döring und ihr Team, zu dem neben dem Priester eine Handvoll Ehrenamtler gehören, verstehen sich in erster Linie als Zuhörer und Dienstleister. "Wir sind für alle Seeleute im Hamburger Hafen da – unabhängig von Nationalität und Religion." Bei Bedarf fahren sie die Crewmitglieder in die Stadt oder besorgen ihnen Kleinigkeiten, etwa Handykarten. Sonntags bieten sie einen Shuttle zum Gottesdienst in der philippinischen Gemeinde an. Die Mannschaftsmitglieder auf den Containerschiffen stammen meist von den Philippinen, manche auch aus China, Indien oder arabischen Ländern. Kapitän und Offiziere sind dagegen oft Russen oder Ukrainer.

Auf der "Solong", einem vergleichsweise kleinen Containerfrachter unter portugiesischer Flagge, ist der russische Kapitän nur mäßig erfreut über den Besuch. Die Schokolade, die Döring für die ganze Mannschaft mitgebracht hat, nimmt er in seiner Kabine entgegen, ohne eine Miene zu verziehen. Er verspricht, sie an alle zu verteilen. Damit ist der offizielle Teil beendet.

Harte Arbeitsbedingungen und schlechte Bezahlung

Döring geht wieder an Deck, wo sich inzwischen mehrere Filipinos versammelt haben. Keiner von ihnen ist über 40, die meisten wohl eher Anfang 20. "In vier Tagen darf ich nach Hause fliegen", erzählt einer von ihnen. Neun Monate war er fern von seiner Familie. "Ich freue mich, sie alle wiederzusehen." Ein anderer berichtet von seiner Sorge um das Essen an Bord. Bislang war einer seiner Landsleute Küchenchef; in Kürze soll ihm ein Russe nachfolgen. "Hoffentlich gibt es dann nicht nur noch russisches Essen."

Die Besatzungen nutzen gerne die Gelegenheit, der Seelsorgerin ihr Herz auszuschütten. Themen sind die harten Arbeitsbedingungen und die schlechte Bezahlung an Bord. Und natürlich das Heimweh: Die Seeleute haben in der Regel Verträge über mindestens sechs Monate. "Immer wieder gibt es welche, die ihr eigenes Kind noch nicht gesehen haben", berichtet Döring. Auf einem anderen Schiff zeigt ihr jemand auf seinem Smartphone Frau und Tochter, mit denen er sich gerade per Videotelefonie unterhält. Lachend winken sie in die Kamera.

Bild: ©Jonas Weinitschke - stock.adobe.com

Mit dem Aufkommen der Containerschifffahrt ab Ende der 1960er Jahre hat sich die Rolle der Seemannsmissionen gewandelt.

Die katholische Seemannsmission "Stella Maris" ist eine von vier großen Seemannsmissionen im Hamburger Hafen. Sie wurde 1933 gegründet und bezog nach dem Krieg zunächst ein Haus nahe den Landungsbrücken. Es bot den Seeleuten in erster Linie Schlafplätze in zentraler Lage. Ideal, um in der Hamburger Innenstadt einkaufen oder feiern zu gehen. Mit dem Aufkommen der Containerschifffahrt ab Ende der 1960er Jahre wandelte sich jedoch die Rolle der Seemannsmissionen. Die "dicken Pötte" haben heute oft nur einen Tag Aufenthalt am Terminal, kleinere Schiffe teils nur wenige Stunden. Meist haben die Seeleute kaum Zeit, das Hafengelände zu verlassen. 2015 zog "Stella Maris" daher um: Weg von den heute eher touristischen Landungsbrücken mitten in den Containerhafen südlich der Elbe.

"Kommen Sie bald wieder!"

In dem ehemaligen Schleusenwärterhäuschen am Fuß der Köhlbrandbrücke gibt es keine Schlafplätze mehr. Dafür einen Aufenthaltsraum mit Karaokemaschine, eine Küche und einen Gebetsraum. "W-Lan ist heute das wichtigste Bedürfnis der Seeleute", sagt Döring. Als das Haus anfangs noch über keine schnelle Internetverbindung verfügte, kamen kaum Besucher. Heute schauen gelegentlich welche vorbei. Schwerpunkt der Arbeit sind aber die Schiffsbesuche.

Als Döring nach einiger Zeit die "Solong" verlässt, wirkt sie nachdenklich. "Ich finde es immer wieder bewegend, wenn mich die Mannschaften teilhaben lassen an ihren Sorgen und ihrem Familienleben", sagt sie. Die Seeleute winken ihr nach: "Kommen Sie bald wieder!"

Von Michael Althaus (KNA)