Die katholische Kirche in der US-Politik – eine Hassliebe
Wenn Donald Trump jetzt seinen Wahlkampf für die Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr startet, geschieht das unter geänderten Vorzeichen als 2016. So fehlt mit dem Katholiken Steve Bannon nicht nur das größte mediale Zugpferd. Auch ein großer Teil seines Wahlkampfteams ist entweder freiwillig aus der Schaltzentrale des republikanischen Präsidenten ausgeschieden, wurde vom ehemaligen Immobilienmogul selbst ausgetauscht oder befindet sich auf unterschiedlichen Anklagebänken im In- und Ausland.
Hat man sich an personelle Rochaden im näheren Umkreis von Donald Trump mittlerweile gewöhnt, so sind dennoch viele seiner Chefstrategen um innere Stabilität bemüht. Haben doch die letzten Jahre während Trumps erster Amtszeit tiefe Gräben in manch lang gepflegte Allianzen gerissen, die man im Hinblick auf die Wahlentscheidung im kommenden Jahr wieder schleunigst kitten sollte. Neben präsidialen Attacken haben auch innerreligiöse Streitigkeiten die US-amerikanischen Religionspolitik zu einem großen Teil unberechenbarer gemacht. Die Zeiten, in denen man sich religiös geprägter Wählergruppen sicher sein konnte, sind selbst in "God’s Own Country" längst vorbei. Um Stimmen muss gerungen und die unterschiedlichen Gruppierungen wollen bei Laune gehalten werden.
Wird die US-Politik in Europa nach wie vor als eine protestantisch geprägte wahrgenommen, sollte man hier keinesfalls übersehen, dass die USA in einem soziologischen Wandel sind: Die protestantischen Großkirchen verlieren mit wenigen Ausnahmen rasant Mitglieder, die "Nones" (nicht-religiösen Menschen) nehmen jährlich zu.
Katholiken haben größere innere Geschlossenheit
Eine Gruppe, die sich während des 20. Jahrhunderts jedoch immer stärker als ein zentraler Adressat in der US-Politik herauskristallisiert hat, ist die katholische Kirche. Sie ist auch gegenwärtig – aufgrund hoher Migrationsgruppierungen – eine jener wenigen Gemeinschaften, die selbst angesichts hoher Austrittszahlen ihren prozentuellen Anteil noch relativ stabil halten können. Trotz einer protestantischen Mehrheit in den USA stellen die Katholiken mit rund 21 Prozent Anteil an der Gesamtbevölkerung die größte Glaubensgemeinschaft. Die mehr als 300.000 mitunter stark variierenden und aufgesplitterten protestantischen Kirchen, evangelikalen Freikirchen und Kongregationen sind zwar zahlenmäßig noch in der Mehrheit, doch weist die katholische Kirche abseits aller inneren kirchenpolitischen Turbulenzen eine größere innere Geschlossenheit auf, als das in den vielen Freikirchen je der Fall war.
Das ist eine politische Kraft, die nicht unterschätzt werden darf. Keine der beiden großen Parteien kann es sich leisten, die größte Religionsgruppierung in den USA aus dem Blick zu verlieren. Darum ist es auch nur verständlich, dass sich sowohl republikanische als auch demokratische Vertreter um Unterstützung innerhalb der katholischen US-Bürger bemühen. Genau jene Gläubigen machen nämlich einen nicht unerheblichen Teil der "Wechselwähler" aus, also jener Personengruppe, die nicht unhinterfragt einer bestimmten Partei angehört.
Diese politische Kraft der katholischen Kirche hatte bereits der republikanisch-evangelikale Pastor Billy Graham in den 1950er Jahren erkannt und rief seine Partei dazu auf, dass man die katholischen Gläubigen in die konservative Allianz der "Grand Old Party" einschließen müsse. Damit stellte er sich gegen eine lange wirksame anti-katholische Stimmung in den eigenen Reihen. Graham machte sich damit keinesfalls nur Freunde, der Erfolg gab ihm dennoch Recht. Seine wahltaktischen Überlegungen bauten neue Brücken zu der lange Zeit ausgeschlossenen und stigmatisierten Gruppe der romtreuen US-Bevölkerung. Die anti-katholische Atmosphäre in der Partei legte sich zwar nur langsam, aber stetig. Zu tief waren viele Gräben, die die letzten Jahrhunderte geschlagen hatten. Wurden die katholischen US-Bürger lange Zeit verteufelt, als Menschen zweiter Klasse behandelt und von vielen öffentlichen Aktivitäten ausgeschlossen, sollte man nun plötzlich mit ihnen gemeinsame Sache machen? Dies erwies sich schwieriger, als manche es sich vorstellen wollten.
Die skeptische und nicht selten gewalttägige Stimmung gegenüber Katholiken hatte historische Gründe und war, wenn man die Erfahrungen aus der europäischen Vergangenheit ernst nahm, über weite Strecken auch verständlich. Katholische Gläubige wurden stets von ihrem Gehorsam gegenüber den Glaubensoberhäuptern definiert. Das war auch die geschichtliche Erfahrung, die zahlreiche protestantische Auswanderer von ihnen erhalten hatten: Viele reformierte Siedler der ersten beiden Generationen in der Neuen Welt waren Mitglieder jener christlichen Glaubensgruppen, die in den katholisch und anglikanisch geprägten Ländern Europas ihren Glauben nicht frei ausleben durften. Die Reise auf den neu entdeckten Kontinent war für sie der neue "Auszug aus der Sklaverei", ein riskanter Exodus, mit dem sie sich eine gewisse Religions- und Glaubensfreiheit sicherstellen wollten. Ihre Emigration war für sie im Wesentlichen eine Flucht vor der Papstherrschaft in europäischen Monarchien. Ihr Projekt einer "Stadt auf dem Berge" (Mt 5,14) wurde als ein Projekt gegen den katholischen Glaubenszwang verstanden.
Nicht nur papstkritisch, sondern auch rassistisch
Das Letzte, was man in der neu gegründeten Republik brauchen konnte, waren natürlich jene Gläubigen, die man eigentlich im alten Europa hinter sich lassen wollte. Der Schock ist auch heute noch nachvollziehbar, als in der Mitte des 19. Jahrhunderts Millionen von katholischen Einwanderern (vor Allem aus Irland) in die USA kamen. Die katholikenfeindliche Stimmung nahm Überhand: Gewaltvolle Auseinandersetzungen und öffentliche Stigmatisierung waren die Folge. Kinder von katholischen Familien durften öffentliche Schulen nicht mehr besuchen, Männer verloren aufgrund ihres Glaubens die Arbeit und in zahlreichen Zeitungen wurden anti-katholische Karikaturen veröffentlicht, die sich nicht nur papstkritisch äußerten, sondern auch auf rassistisch-stereotypische Art und Weise gegen die irische Kultur richteten. Das heute noch bekannte Bild von betrunkenen, gewaltbereiten, irischen Raufbolden, die mit gnom- oder affenähnlichen Fratzen die US-Öffentlichkeit auf den Kopf stellen, stammt auch aus dieser Zeit.
Katholiken wurden in zahlreichen Gebieten der neu gegründeten Nation als Fremdkörper angesehen: Sie waren schließlich der Grund, warum man sein Glück jenseits des Atlantik gesucht hatte. Sie waren es, die mit ihrer übertriebenen Treue zum Papst wieder zu einer Gefahr der neu erkämpften Religions-, Rede- und Gedankenfreiheit werden könnten. Nicht auszumalen, wenn plötzlich wieder katholische Gläubige politische Ämter bekleiden würden. Mit einem Handstreich, so die Vorstellung, wäre die neu errungene Freiheit wieder vergangen und eine neue papsttreue Nation würde aufgebaut werden.
Die Narben dieser jahrhundertelang gehegten Einstellung saßen und sitzen teilweise immer noch tief. Noch im 20. Jahrhundert mussten sich katholische Kandidaten in der US-Politik mit anti-katholischen Vorwürfen auseinandersetzen. Etwa Al Smith, der 1928 als erster Katholik in die Präsidentschaftskandidatur in den USA gehoben wurde (Demokraten), wurde in zahlreichen Interviews und Pressekonferenzen immer wieder mit der Ansicht konfrontiert, dass er als Katholik dem Papst mehr Gehorsam schulde als der US-Verfassung. Ebenso ging es John F. Kennedy. Was Al Smith 1928 noch völlig auf dem falschen Fuß erwischte, konnte Kennedy bereits gekonnt parieren: "Ich bin in erster Linie Amerikaner, dann erst Katholik!", so eine seiner berühmtesten Antworten. Zwar blieb Kennedy bis heute der letzte Katholik im Weißen Haus, doch hat seine Amtszeit erheblich dazu beigetragen, dass katholische Politiker von ihrem Stigma befreit wurden.
Mit der konservativen Neuausrichtung der republikanischen Partei in den 1950er und 1960er Jahren trat die katholische Bevölkerungsschicht auch in das Interessenfeld der konservativen Großpartei: Schließlich entsprachen sich die Einstellungen, was etwa Abtreibung und Homosexualität anging. Insofern war es nur konsequent, in der politischen Ausrichtung auch und gerade katholische Gruppierungen mit ins Boot zu holen. Genau diese Allianzen wurden jahrzehntelang gehegt, die katholischen Amtsträger waren stets in einen republikanerfreundlichen Kurs eingeschwenkt. Diese konservativ-gesellschaftspolitische Allianz schien für beide Seiten zukunftsfähig zu sein.
Doch die Zeiten haben sich geändert. Bereits in den Präsidentschaftswahlen der letzten drei Jahrzehnte zeigte sich, dass die katholische Kirche auch in den USA nicht mehr einfach als geschlossener Wählerblock erscheint. Auch sie ist zunehmend zerrüttet. Hier spielen sowohl liberale Gesellschaftstendenzen innerhalb der Kirche eine Rolle, als auch die hohe Anzahl an Einwanderern aus latein- und südamerikanischen Gebieten, die traditionellerweise eher demokratisch wählen. Dass die Kirche gerade aus jener Bevölkerungsschicht den größten Zuwachs an Gläubigen erhält, die von US-Präsident Trump in seiner Migrationspolitik am schärfsten angegriffen werden, macht die Sache noch einmal komplizierter. Die Katholische Kirche in den USA ist neben den horrenden Missbrauchsskandalen, ständigen innerkatholischen Machtkriegen auch politisch mit tiefen Gräben übersät. Nichtsdestotrotz bleibt sie ein Politikum ersten Ranges.
Trump bewies religionspolitisches Fingerspitzengefühl
Selbst wenn Donald Trump zahlreiche katholische Gruppierungen mit Entscheidungen insbesondere gegen lateinamerikanische Einwanderer vor den Kopf gestoßen hat, erwies er sich besonders in der konservativen Rechtsprechung und restriktiven Personalpolitik in der Besetzung des Obersten Gerichtshofes als Meister in der konservativen Symbolpolitik. Ob es nun die Verlegung der US-Botschaft in Israel nach Jerusalem war oder die Einsetzung von Textualisten (wörtlichen Verfassungsinterpreten) als höchste Rechtsprecher: Trump bewies religionspolitisch oft mehr Fingerspitzengefühl als ihm zugetraut wurde. Ob das nun ihm zuzurechnen ist oder dem streng konservativ-evangelikalen Mike Pence an seiner Seite, muss offen bleiben.
Selbst ohne einen konservativ-katholischen Hardliner wie Steve Bannon an seiner Seite, vermochte Trump besonders konservative Kreise seiner Wähler immer wieder zu besänftigen. Zahlreiche Katholiken stehen nach wie vor zu ihrem Präsidenten, während sich die Bischöfe schon einer zunehmenden Distanz zu Trump bewegen. Der kommende Wahlkampf wird insofern nicht nur für die republikanische Partei ein wichtiges Stimmungsbarometer sein, sondern auch für das Wahlverhalten der katholischen Bevölkerung. Tendenzen lassen sich zurzeit ebenso wenig vorhersehen wie die Strategie von Donald Trump. Eines jedoch dürfte klar sein: Trump kann einerseits auf die katholischen Stimmen in der republikanischen Partei nicht verzichten, andererseits wird er aber auch seine Linie in der Migrationspolitik bzw. sein wichtigstes Wahlversprechen 2016, nämlich den Grenzwall zu Mexiko, nicht aufgeben. Für die katholische Kirche wiederum bedeutet das, dass die innere Zerreißprobe noch keinesfalls ihren Höhepunkt erreicht hat, sondern dass die Politisierung der religiösen Gruppierungen auch im katholischen Bereich erst begonnen hat.