Attentat und Pontifikalämter: Kongress "Freude am Glauben" ganz unten
Mit der Ermordung des Christdemokraten und Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke durch einen Rechtsextremisten, die einen Vorlauf zügelloser rechtspopulistischer Hetze im Internet hatte, muss auch die kirchliche Diskussion um die Radikalisierung von rechts in eine neue Phase eintreten. Zwar mangelt es an frühzeitigen christlichen Warnungen davor nicht, sowohl seitens der Bischöfe und sogar des Papstes als auch von Laienorganisationen und kundigen Einzelpersönlichkeiten. Auch haben die kirchennahen Wähler – insbesondere katholische – die adäquate christliche Distanz zu Ideologie und Habitus der Rechtspopulisten bisher eindrucksvoll unterstrichen.
Eine kleine katholische Minderheit
Doch das insgesamt klare ethische Zeugnis, das die nun von der Bischofskonferenz herausgegebene "Arbeitshilfe zum kirchlichen Umgang mit rechtspopulistischen Tendenzen" unter dem Titelwort des "Widerstehens" unterstreicht, wird verdunkelt durch eine kleine katholische Minderheit. Sie hat sich zu einer lautstarken "fünften Kolonne" der rechten Bewegung entwickelt und nimmt in historischer Perspektive jenen politischen Platz ein, den die rechtskatholischen Gegner der Zentrumspartei sowie deren rechter Flügel in der Weimarer Republik ausfüllten. Dieses dezidiert antiliberal, anti-sozialdemokratisch und nationalistisch ausgerichtete Milieu wird in der Heldengeschichte katholischer Resistenz gegenüber dem aufstrebenden Nationalsozialismus gern übersehen. Es tummelte sich in der preußisch-protestantisch dominierten Deutschnationalen Volkspartei oder trug in der Bayerischen Volkspartei zu deren verhängnisvoller Entscheidung bei, 1925 nicht den Zentrumspolitiker Wilhelm Marx, sondern den Kandidaten des "Reichsblocks" Paul von Hindenburg im Präsidentschaftswahlkampf zu unterstützen.
Insofern wäre es naiv zu erwarten, die neue rechtsautoritäre Bewegung in Deutschland könne den Katholizismus ganz verschonen. Eine realistischere Sicht darf aber auch nicht bedeuten, dass man erneute ideologische Verführbarkeit achselzuckend hinnimmt oder als legitimen katholischen Meinungspluralismus abhandelt, wie es schon der deutschnationale "Reichskatholikenausschuss" den angeblich zu Zentrums-nahen Bischöfen weiszumachen versuchte. Vonnöten ist hier vielmehr eine Unterscheidung der Geister, wie sie die neue Arbeitshilfe im Kapitel: "Die Gefahr fremdenfeindlicher Vereinnahmung christlicher Motive" leistet. Die Autoren zitieren dort die dogmatische Konstitution Lumen gentium (Nr. 8) des Konzils, "in den Armen und Leidenden" erkenne die Kirche "das Bild dessen, der sie gegründet hat und selbst ein Armer und Leidender war", und halten denen, "die vor einem Verlust christlicher Identität warnen", die für Jünger Jesu unaufgebbare "besondere Sensibilität gegenüber den Bedürfnissen Schutzsuchender und notleidender Menschen" entgegen. Anderenfalls bliebe "keine christliche, sondern allenfalls eine ‚christentümliche’ Identität übrig". Das erinnert an Rémi Bragues Unterscheidung von Christen und "Christianisten", den falschen Propheten "christlicher Kultur".
Avanti Dilettanti!
Nach politologischen und theologischen Analysen des "Volks"-Begriffs und der "Strategien und Inhalte rechtspopulistischer Bewegungen" fächert die Arbeitshilfe die Themenfelder auf, mit denen die neuen Rechten auch unter Christen zu punkten versuchen: "Flucht und Asyl", "Islam und Islamfeindlichkeit", "Familienbilder, Frauenbilder, Geschlechterverhältnisse" und "Identität und Heimat". Zehn Tage vor der Publikation unterstrich das "Forum deutscher Katholiken" noch einmal dick deren Themenfokus und Notwendigkeit. Der "Zusammenschluss von Gemeinschaften und Einzelpersönlichkeiten" eines dem Selbstbild nach "papst- und kirchentreuen" Katholizismus verabschiedete auf seinem Ingolstädter Kongress "Freude am Glauben" eine Resolution zur "Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit und unserer Freiheit", die einer Ansammlung rechtspopulistischer Stereotypen gleichkommt, als sei sie ein Manifest aus der AfD-Parteizentrale: "zwangsfinanzierter Staatsfunk", Pressevertreter als "bezahlter Hofstaat der Regierung", "Gedankenpolizei" a la "1984 von Orwell", "Jeder, der davon abweicht, was die Regierung vorgibt, wird diffamiert oder sanktioniert", in der Flüchtlingskrise "nationale Souveränität aufgegeben", "'Deutsches Volk’ wird von Regierungsvertretern in 'Bevölkerung’ umgewandelt" etc. – ein Zerrbild unserer Demokratie als Mischung aus Diktatur und Staatszersetzung.
Wegen der Übernahme von Fakenews über Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth musste nach 16 Stunden eine korrigierte Fassung nachgeliefert werden. Avanti Dilettanti! Auch wer Sympathien dafür hat, dass sich fromme, konservative Katholiken nicht ständig in Verbänden und Gremien eines "reformkatholisch" dominierten Laienkatholizismus majorisieren lassen wollen und der traditionellen kirchlichen Glaubens- und Sittenlehre anhängen, kann nur bestürzt darüber sein, auf welchem Niveau das "Forum" angekommen ist: ganz unten.
Linkitipp: Publizistin: "Forum Deutscher Katholiken" nutzt Sprache der AfD
Das "Forum Deutscher Katholiken" nutze rechte Kampfbegriffe, wie man sie aus dem Umfeld der AfD kenne, sagt Publizistin Liane Bednarz. In dem Zusammenhang hat sie auch einen Rat für die deutschen Bischöfe.Die Peinlichkeit dieser Entgleisung für die Kirche spiegelt ein großer Artikel der FAZ: "Wie hältst du’s mit der AfD?" vom 25. Juni. Nach der Diagnose, "dass es manchem Katholiken schwerfällt, dem Populismus zu widerstehen", berichtete das Blatt: "Der Kongress erfreute sich auch bischöflicher Unterstützung: Der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer zelebrierte die Eröffnungsmesse, der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke den Abschlussgottesdienst. Nach Angaben von Hankes Sprecher hatte dieser vor dem Abschlussgottesdienst keine Kenntnis vom Wortlaut der Resolution. Dazu, wie der Bischof zu deren Aussagen steht, wollte sich das Bistum gegenüber dieser Zeitung nicht äußern." Wieso eigentlich nicht? Meint der Bischof etwa, wenn er einen katholischen Kongress durch seine Mitwirkung beehre, löse das keine über den liturgischen Part hinausgehende Verantwortung als Hirte und Zeuge gegenüber der Öffentlichkeit aus? Verkennt er den legitimierenden Effekt, den ein Mitraträger als "Trophäe" für so eine Veranstaltung mitbringt? Weiß er als Ortsbischof und immerhin Stiftungsratsmitglied der Katholischen Universität Eichstätt zur faulen Frucht des Kongresses nichts zu sagen?
Ja, das Bischofsamt ist dem Dienst an der Einheit verpflichtet. Ja, es hat zuvörderst Glaubenswahrheiten zu verkündigen. Doch zum Lehramt gehört auch die Soziallehre und zu ihr der Grundsatz der "rechten Autonomie der Kultursachbereiche". Er bedeutet in der Sphäre des Staates, dass dessen Legitimität nicht nach seinem Output "katholischer Gesetze" zu bemessen ist, erst recht nicht in Zeiten schwindender christlicher Überzeugungskraft. Da klopft ein guter Katholik nicht aus Frust Sprüche, sondern an die eigene Brust. Erst recht nicht zündelnde Sprüche über "Verluste der Rechtsstaatlichkeit und unserer persönlichen Freiheit" im Staat des Grundgesetzes, wogegen man sich "zur Wehr setzen" müsse. "Meinungsfreiheit" bedeutet nicht die Verschonung von mehrheitlichem Widerspruch oder die Garantie allgemeiner Wertschätzung. Wichtige, urchristliche Anliegen wie der Schutz vorgeburtlichen Lebens werden durch Einstimmen in den demagogischen Jargon und die Widerstandsrhetorik der Rechtspopulisten nicht unterstützt, sondern als "rechts" diskreditiert. Sich anschließend wieder zu bemitleiden wegen ungerechter "Stigmatisierung" als rechts, überzeugt niemanden außerhalb der eigenen Meinungsblase.
Walter Lübcke handelte der Haltung der Kirchen entsprechend
Ein Bischof hat gegen solche Verkrümmung auf sich selbst ("incurvatus in se") befreiende geistige Orientierung zu bieten und die Geister zu unterscheiden wie Papst Franziskus beispielhaft in Evangelii Gaudium 93-97. Die "discretio spirituum" ist nicht zu verwechseln mit Diskretion über den Unsinn, den eine Katholikenversammlung in die Welt posaunte, so dass ein seriöses Leitmedium nachfragt, was der Bischof dazu denke. Wegducken gibt da kein überzeugendes Bild ab, zumal wenn der Unsinn den freiesten Staat, in dem deutsche Katholiken je leben durften, grotesk mit einer Orwellschen Tyrannei verähnlicht.
Ein Repräsentant dieses Staates – Christdemokrat – hat jetzt nach einer gnadenlosen Hetzkampagne der Rechten mit seinem Leben bezahlt für das, was ihm sein Gewissen gebot und was die Bischöfe in ihrer Arbeitshilfe einschärfen: In der Flüchtlingshilfe müssten "auch Christen bestimmte Grenzen akzeptieren. Niemals aber können sie mit der Botschaft ihres Glaubens leugnen, dass sie auch für die Fernsten und Nichtdazugehörigen eine Verantwortung tragen"; "Mit der anti-kirchlichen Inszenierung eigener ‚Christlichkeit’ suchen rechtspopulistische Akteure das Christentum im eigenen Land aus der universalen Kirche, die alle Länder und Völker umfasst, herauszubrechen und für das eigene Land und Volk zu beanspruchen. Jeglichem Versuch, das Christentum als Mittel der Ausgrenzung von anderen Menschen zu missbrauchen oder es gar völkisch umzudeuten, muss sich die Kirche weiterhin widersetzen."
Walter Lübcke handelte der Haltung der Kirchen entsprechend. Bei der Bürgerversammlung im Oktober 2015 in Lohfelden, von Störrufen im Raum verteilter "Kagida"-Hetzer attackiert, berief er sich auf die "christlichen Werte" unseres Landes. Drei Tage später wurde der Kölner CDU-Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker, von einem "wertkonservativen Rebell" (so das Selbstbild des Täters) wegen ihrer Flüchtlingspolitik ein Messer in den Hals gerammt. 2017 wurde der CDU-Bürgermeister Andreas Hollstein, der in Altena mehr Flüchtlinge aufgenommen hatte als die kommunale Verteilerquote vorschrieb, von einem alkoholisierten Mann, der über seine Flüchtlingspolitik geschimpft hatte, ebenfalls mit einem Messer am Hals verletzt. Es kann aber nicht sein, dass christliche Politiker für eine von den Kirchen geforderte Flüchtlingspolitik den Kopf hinhalten, während Bischöfe mit Pontifikalämtern Katholiken beglücken, die die Regierenden bezichtigen, "den Begriff ‚Rechtssicherheit’ durch ‚Willkommenskultur’ ersetzt" zu haben.
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Inhalt, Ton und Adressierung der "Freude am Glauben"-Resolution werden noch peinlicher durch eine doppelte Koinzidenz: Die abstruse Abrechnung mit Deutschlands humanitärer Haltung und freiheitlicher Staatsqualität, die durch linke Political Correctness bedroht sei, erschien ausgerechnet am Tag des Trauergottesdienstes und der Beisetzung Walter Lübckes sowie der Festnahme seines rechtsextremen Mörders. Es ist zum "Fremdschämen"!
Erzbischof Schick im Reichstag
Dass Bischöfe auch anders können, zeigte der Bamberger Oberhirte Ludwig Schick. Er war zur rechten Zeit am richtigen Ort bei den Richtigen. Am 25. Juni trug er sich im Reichstag ins Kondolenzbuch für Walter Lübcke ein, zollte ihm – auch per Tweet – "Anerkennung und Respekt", sprach seinen Angehörigen christlichen Trost zu und besuchte einen Freund des Ermordeten in seinem Bundestagsbüro: den Fuldaer CDU-Abgeordneten Michael Brand. Der Protestant, der dort neben einer Statue des Heiligen Bonifatius arbeitet, richtete am selben Tag einen dramatischen Appell an seine Fraktionskollegen, der auch der Gewissenserforschung der Ingolstädter Kongressteilnehmer dienen sollte: "Diese eiskalte Hinrichtung wäre ohne das jahrelange systematische Aufheizen und immer aggressivere Hetzen gegen die offene Gesellschaft und den demokratischen Rechtsstaat nicht möglich geworden… Wir müssen die Dinge endlich beim Namen nennen. Der rechtsextremistische Terror hat ein Umfeld von Sympathisanten, und die kommen zu einem großen Teil aus der AfD. Alle wissen das, und kaum jemand redet darüber. Aber wir dürfen als Abgeordnete des Deutschen Bundestages nicht länger feige abtauchen…Wir sind spät dran. Für Walter Lübcke zu spät… Die Zeiten für nicht mehr erkennbare Haltung sind, zumal nach diesem Mord, endgültig vorbei."
Was das "Forum deutscher Katholiken" in Ingolstadt fabrizierte, ist noch schlimmer als "nicht erkennbare Haltung". Es hat in der historischen Stunde, in der erstmals in der Bundesrepublik ein Politiker von Rechtsextremen ermordet wurde und der Verfassungsschutz vor detaillierten Plänen und "Todeslisten" mit 25.000 Namen für weitere Morde warnt, die Falschen auf die Anklagebank gesetzt. Katholische Irrlichter sind das Letzte, was die Republik jetzt braucht. Bonifatius, hilf!