Jungfernfahrt im stählernen "Grabmal": Der Galazug von Papst Pius IX.
Der kleine Bahnhof von Cecchina nahe der Stadt Albano war heillos überfüllt. Die Menschen drängten sich auf dem schmalen Bahnsteig und blickten aufgeregt nach Norden. Niemand weiß, wie lange sie warteten. Dann sahen sie eine weiße Rauchwolke, hörten ein Stampfen und Pfeifen. Mit – für damalige Verhältnisse – unglaublicher Geschwindigkeit fuhr eine Lokomotive in den Bahnhof ein. Sie zog nur drei Waggons, trotzdem jubelte die Menge begeistert. Das lag an zwei Dingen: dem Zug selbst und seinem Fahrgast.
Eine halbe Stunde zuvor in Rom: Unter großer Anteilnahme des päpstlichen Hofstaats hatte Papst Pius IX. zum ersten Mal seinen neuen Galazug bestiegen. An diesem sonnigen 3. Juli 1859 sollte er ihn in das kleine Dorf nahe Albano bringen. Von dort würde er eine Kutsche nach Castel Gandolfo nehmen. Als die Menge den Zug dort ankommen sah, saß der Pontifex vermutlich im letzten Wagen seines Zuges. Denn dieser war nach drei Seiten offen, schmale Säulen trugen das Dach und erlaubten so ungehinderte Aussicht auf die vorbeiziehende Landschaft. Von einem gepolsterten Stuhl aus, konnte der Papst die Menschen während der Fahrt oder bei einem Halt segnen.
Der wohl prunkvollste Zug seiner Zeit
Die Bewohner von Cecchina werden kaum gewusst haben, wohin sie als erstes hätten schauen sollen. Denn auch wenn der Papst vielleicht hinten saß, die vorderen Wagen übertrafen die Pracht des letzten. Der zweite Wagen war ein Thronsaal auf Rädern. Trat man durch die verglasten Flügeltüren, gelangte man zunächst in einen Vorraum. Das gesamte Innere des Salonwagens war in den päpstlichen Farben, Weiß und Gold gehalten. An den beiden Längsseiten des zweiten Raums standen hell gepolsterte Bänke. Vor Kopf erhob sich der päpstliche Thorn, bekrönt vom Wappen Pius' IX. Hier empfing der Papst hochrangige Besucher wie Herzog Mario Massimo, Generalkommissar der Päpstlichen Eisenbahnen. Hinter dem Thron schloss sich ein weiterer Raum mit den päpstlichen Gemächern an. Diese verfügten über ein Bett, eine Kniebank und sogar einen kleinen Waschraum – das war für damalige Verhältnisse unfassbar modern. Und das alles auf knapp fünf Quadratmetern.
Doch das Prachtstück des kleinen Zuges war der erste Waggon. Sein Äußeres war üppig mit metallenen Säulen, Gesimsen und Girlanden in Schwarz und Gold verziert. Sechs schwere Bronzeengel trugen die Kuppel über der Mitte des Wagens. Das Innere des Wagens beherbergte die päpstliche Kapelle. Die Decke zierten biblische Szenen, die Längsseiten große Ölgemälde von Christus und der Gottesmutter. Gegenüber des Altares stand ein großer Thron, über dem das Wappen von Pius IX. prangte.
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Namhafte Künstler hatten an der Verzierung der Wagen mitgewirkt. Allein der Kapellenwagen hatte seine Auftraggeber fast 140.000 Francs gekostet. Weil es im Kirchenstaat zu dieser Zeit noch keine namhafte Schwerindustrie gab, die dieses Projekt hätte realisieren können, war der Zug in Frankreich produziert worden. Auch die Geldgeber waren Franzosen: Kaiser Napoleon III. beteiligte sich an der Finanzierung, den Löwenanteil übernahmen die zwei französischen Eisenbahnkompanien, die die bis dahin einzigen beiden Eisenbahnlinien des Papstes betrieben.
Neuer Einfluss durch Eisenbahnen
Kaum ein halbes Jahr nach seiner Thronbesteigung im Juni 1846 hatte Pius die ersten Konzessionen für den Bau von Eisenbahnlinien im Kirchenstaat vergeben. Rom hatte damals kaum 250.000 Einwohner. Spätestens seit der Französischen Revolution war der Einfluss des Papstes auf den eines regionalen Potentaten zurückgegangen. Der neue Papst wollte das ändern. Und er wusste auch wie: Ein Anschluss an die Eisenbahnnetze Italiens und an die wichtigsten Häfen der Region versprach eine Verbindung mit der Welt. Aber vor allem würde es den Mitte des 19. Jahrhunderts gerade wieder ansetzenden Pilgerstrom in die Ewige Stadt erleichtern. Wenn Rom erreichbarer wurde, würde das nicht zuletzt die Bindung der Gläubigen an seine Person und das Papsttum erhöhen.
Pius IX. war begeistert von den Errungenschaften der Technik seiner Zeit. Spontan besichtigte er die Fertigstellung einer Eisenbahnbrücke über den Tiber. Nicht ohne Selbstironie stellte er fest, dass "der römische Papst nicht immer beim Beten ist, umgeben von Weihrauch, Mönchen und Nonnen". Stattdessen wohne dieser "alte Papst" der Eröffnung einer neuen Brücke "inmitten seiner Arbeiter" bei.
Die Einweihung der ersten Teilstrecke der Linie "Pio Latina" von Rom bis ins 20 Kilometer entfernte Friscati fand am 7. Juli 1856 statt. Die Zeitungen berichten davon, dass für die Segnung des ersten Zuges und des Bahnhofs eigens eine Tribüne aufgebaut wurde. So sollten die Kardinäle, der päpstliche Hofstaat und die zahlreichen ausländischen Würdenträger das historische Ereignis besser sehen können.
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Nur drei Jahre später verließ der erste Zug die Hafenstadt Civitavecchia in Richtung Rom. Damit war auch die über siebzig Kilometer weite Distanz zwischen der Hauptstadt und ihrem Seehafen hergestellt. Die ersten Fahrgäste auf der Strecke waren übrigens Fischer. Sie brachten dem Papst frischen, in der Nacht gefangenen Fisch.
Der Papst – ein seltener Passagier
Im gleichen Jahr erhielt der Papst auch seine drei Galawagen. Weil es aber noch keinen Anschluss an die norditalienischen Schienennetze gab, musste man sie per Schiff aus Frankreich über das Mittelmeer und dann den Tiber hinauf transportieren. Als der Zug in Rom dann auf die Gleise gesetzt wurde, jubelten die Massen. Presse und Diplomaten lobten und bewunderten die neuartige Maschine des Pontifex. Nur Pius selbst stimmte nicht in die Begeisterung ein. Als man den Kapellenwagen enthüllte, soll er einen tiefen Seufzer ausgestoßen haben: "Mein Gott, sie haben mir ein Grabmal erbaut." All seiner Begeisterung für den technologischen Fortschritt zum nutzte er seinen Galazug dann hauptsächlich, um den päpstlichen Sommersitz Castel Gandolfo oder italienische Pilgerorte zu erreichen. Die Eisenbahngesellschaften hatten trotzdem ordentlich zu tun. Sie transportierten die stetig wachsenden Pilgerströme – und fuhren damit satte Gewinne ein.
Dieser rege Betrieb auf den Gleisen des Kirchenstaates wäre nur wenige Jahrzehnte zuvor noch undenkbar gewesen. Pius' Vorgänger Gregor XVI. wird eine vehemente Ablehnung aller Modernisierung, im geistigen wie auch im technischen, nachgesagt. So soll er die Eisenbahn als "Wege des Teufels" bezeichnet haben. Doch dieses Bild stimmt so nicht ganz. In den 1840er Jahren wurden überall in Europa an Eisenbahnlinien gebaut. Und auch Gregor XVI. betraute eine Kommission damit, Argumente für den Bau von Eisenbahnen zu finden. Doch man kam zu dem Schluss, dass der überwiegend ländlich geprägte Kirchenstaat nicht die nötige Schwerindustrie besaß, um ein Schienennetz zu realisieren. Außerdem verfügte man nicht über ausreichend Stahl und Kohle.
Gefährliche Ideen, transportiert auf Schienen
Es gab jedoch noch einen weiteren Grund, weswegen sich Gregor gegen die Eisenbahn entschied. Die Eisenbahnen in Deutschland, England und Frankreich beförderten nicht nur Menschen, sondern auch Ideen – insbesondere revolutionäre Ideen. Es ging dem Papst also um den Erhalt seiner weltlichen Besitzungen. Diese Besitzungen, also den Kirchenstaat, verlor der Papst noch während des 19. Jahrhunderts. Daran konnten auch die Eisenbahnen, die jetzt für den Transport der päpstlichen Truppen genutzt wurden, nichts mehr ändern.
1870 marschierten italienische Truppen in Rom ein und erklärten die Stadt zur Hauptstadt eines vereinigten Italiens. Die italienische Regierung beschlagnahmte das Schienennetz, ließ sich den Weiterbau der päpstlichen Linien allerdings vom Vatikan bezahlen. Pius IX. floh hinter die Leoninischen Mauern und erklärte sich zum "Gefangenen im Vatikan". Zeit seines Lebens sollte er ihn nicht mehr verlassen – nicht einmal auf Schienen.
Auch die nachfolgenden Päpste verließen den Vatikan nach ihrer Wahl nicht. Deshalb war das Erstaunen umso größer, als der "L'Osservatore Romano" am 2. Oktober 1962 verkündete, dass Papst Johannes XXIII. nach Loreto reisen würde. Und zwar mit der Bahn. Etwas mehr als hundert Jahre nachdem Pius IX. zu seiner ersten Fahrt aufgebrochen war, verließ der Reformpapst Johannes wieder die Mauern des Vatikans. Eine symbolische Handlung, die als Öffnung des Papsttums zur Welt verstanden wurde.
Heute hat das Flugzeug die Eisenbahn längst abgelöst. Insbesondere die Päpste Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus unternehmen weite Reisen zu den Gläubigen in aller Welt. Doch sie nutzen die Eisenbahn noch immer, wenn sie nach Loreto oder Assisi pilgern.