Standpunkt

Beim Thema Missbrauch darf sich Kirche nicht verschanzen

Veröffentlicht am 05.08.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Die Präventionsarbeit zeitige volle Erfolge, hört man derzeit aus vielen Bistümern. Das ist gut. Doch was ist mit grundlegenden Strukturreformen? Solange die ausbleiben, drohe der Kirche die gleiche Gefahr wie Edgar Allen Poe's Prinz Prospero, kommentiert Joachim Frank.

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In Edgar Allan Poes Erzählung "Die Maske des Roten Todes" hat sich Prinz Prospero mit seinem Hofstaat "in die stille Abgeschiedenheit einer befestigten Abtei" zurückgezogen. Während draußen die Pest wütet, findet hinter fest verschweißten Toren ein Maskenball statt. Doch die Sicherheit ist eine trügerische: Ein unheimlicher, vermummter Gast, der sich unter die Feiernden gemischt hat, ist niemand anderes als "der Rote Tod" selbst.

Poes düstere, verstörende Geschichte kann der Kirche heute zu denken geben. Sie hat viel unternommen, um die "Pest" des Missbrauchs (auch wenn die Krankheits-Metapher bei diesen Verbrechen ihre Grenze hat) draußen zu halten. Soeben erst hat es der Kölner Kardinal Rainer Woelki als Erfolg intensiver Präventionsarbeit im Erzbistum Köln qualifiziert, "dass wir in der Tat seit 2010 keine Hinweise auf neue Vorfälle von sexuellem Missbrauch mehr haben". Das Erzbistum habe "mehr als 100.000 Hauptberufliche und Ehrenamtliche geschult und sensibilisiert", und die Kirche profitiere überdies davon, "dass wir unsere Fälle alle an die Staatsanwaltschaften weitergeben. Wir können bei unserer Präventionsarbeit voneinander lernen", folgert Woelki aus dem standardisierten Zusammenspiel von Kirche und Staat.

Das intensive Bemühen um Prävention verdient Respekt und Beachtung. Beides kommt zu kurz - in der berechtigten Empörung nicht nur über die Missbrauchstaten selbst, sondern auch ein jahrzehntelanges Institutionenversagen der Kirche im Umgang mit Tätern und Opfern. Erst langsam, sehr langsam dringt durch, wie andere Institutionen und Organisationen sich weiter in Verdrängung und Verweigerung des Themas Missbrauch üben. Aber das zu kritisieren, kann nicht Sache der Kirche sein. Sie muss – salopp gesagt – den eigenen Laden aufräumen. Damit hat sie genug zu tun.

Und da reicht es eben nicht, die Schutzmauern zu verstärken und die Einfallstore zu verriegeln. Die Kirche muss sich dem stellen, was der Moraltheologe Daniel Bogner aus Fribourg (CH) treffend ihren "toxischen Kern" genannt hat – vermutlich ohne Anspielung auf Edgar Allan Poe, aber durchaus anschlussfähig an dessen Bildsprache. Wenn Bischöfe, Erzbischöfe und Kardinäle im Jahr 2019 immer noch oder schon wieder behaupten, es gebe in der Kirche kein Problem mit Macht und Machtmissbrauch und es brauche mithin auch nicht die von den "üblichen Verdächtigen" geforderten Strukturreformen, dann erinnert das fatal an Prinz Prospero und sein Gefolge in ihrer stillen Abgeschiedenheit einer befestigten Abtei. 

Von Joachim Frank

Der Autor

Joachim Frank ist Chefkorrespondent des "Kölner Stadt-Anzeiger", der "Berliner Zeitung" und der "Mitteldeutschen Zeitung". Außerdem ist er Vorsitzender der Gesellschaft Katholischer Publizisten Deutschlands (GKP). Die GKP verleiht mit der Deutschen Bischofskonferenz und dem Katholischen Medienverband alljährlich den Katholischen Medienpreis.

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