"Ecclesiam suam" – eine Enzyklika, die bis heute nachhallt
"Dialog": Das ist nicht nur ein Wort, das besonders in den vergangenen Jahren häufig gebraucht wurde – manchmal als Situationsbestimmung, sehr oft aber als Forderung. Dialog, das heißt zunächst einmal ganz einfach, mit Anderen ins Gespräch zu kommen, sich mit ihnen zu unterhalten. Was eigentlich ganz schlicht klingt, geht mit einer sehr bedeutungsschweren Einsicht einher: Denn um mit dem Anderen ins Gespräch zu kommen, muss man ihn erst einmal wahrnehmen, ihn akzeptieren. Und dann kommt noch etwas Entscheidendes hinzu: Dialoge können nur gelingend sein, wenn sie auf Augenhöhe geführt werden. Dialogpartner müssen sich respektieren und anerkennen, Machtgefälle oder abwertende Zuschreibungen sind Gift für jedes dialogische Miteinander. Wer verhindert, dass der Andere voll und ganz in seiner Andersheit wahr- und ernstgenommen wird, der bringt Dialoge zum Scheitern, der ist alles andere, als dialogfähig.
Die Forderung nach mehr Dialogbereitschaft gilt nicht nur für unsere postmoderne Gesellschaft. Der Ruf nach mehr Dialog war auch in der Kirche nicht mehr zu überhören. Papst Johannes XXIII. (1958-1963) hat ihn sehr aufmerksam wahrgenommen und wusste darum, dass es nicht angeht, diesem Ruf weiter aus dem Weg zu gehen. Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965), das er für manchen überraschend einberufen hatte, war ein Konzil des Dialogs. Und es verwundert kaum, dass in den Texten, welche die Konzilsväter verabschiedet hatten, sehr deutlich eine dialogische Grundhaltung als Grammatik dieses Konzils vorherrscht. Während in den Konzilien zuvor immer wieder Lehrmeinungen und Positionen mit dem Anathema belegt wurden, hat das Zweite Vaticanum keine einzige Lehrverurteilung verabschiedet.
Neue, dialogische Grundhaltung der Kirche
Vielmehr kommt in den Texten der Konstitutionen und Dekrete eine offene Grundhaltung zum Ausdruck, die allen Menschen gegenüber gilt. Sowohl das Dekret zum Ökumenismus, "Unitatis redintegratio", als auch die Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen, "Nostra aetate", ragen hierbei heraus. Die Väter des Konzils zeigten: Die Kirche kann sich vor heutigen Welt mit ihren vielfältigen Problem und Anforderungen nicht mehr zurückziehen. Sie weiß sich vielmehr mitten in diese Welt hineingestellt und muss sich für diese Welt öffnen. Nur in Auseinandersetzung mit den Menschen von heute kann sie glaubhaft das Evangelium verkünden. Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat die Kirche diese neue, dialogische Grundhaltung eingeübt.
II. Vaticanum: Macht die Fenster weit auf!
Vieles, was heute in der Kirche als selbstverständlich gilt, ist eine Folge der Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965). Katholisch.de blickt auf die wegweisende Versammlung und ihre wichtigsten Beschlüsse zurück.Doch das Konzil stand auf der Kippe, als Johannes XXIII. am 3. Juni 1963 im Vatikan verstarb. Der Tod des Papstes war vorherzusehen, plagte ihn eine schwere Krankheit doch schon eine ganze Weile. Es war ungewiss, ob sein Nachfolger, den die Kardinäle im Konklave wählen würden, das Großprojekt des Konzils zu Ende führt. Doch Kardinal Montini, der am 21. Juni zu Papst Paul VI. (1963-1978) gewählt wurde, sah sich seinem Vorgänger verpflichtet und ermunterte die Kardinäle, die Beratungen des Konzils wieder aufzunehmen. Wie Johannes XXIII., so wusste auch Paul VI. um die Notwendigkeit, die Kirche in die Zeit von heute hinüberzuführen und sie zu einer Auseinandersetzung mit den aktuellen Problemlagen anzuleiten. Über ein Jahr nach seiner Wahl veröffentlichte Paul VI. am 6. August 1964 seine erste Enzyklika, die den Titel "Ecclesiam suam" trug. Obwohl dieser Text häufig im Schatten der Konzilsdokumente zurückbleibt, enthält er doch wichtige Leitlinien, die gerade für das Verständnis der Grundgrammatik des Konzils von hoher Bedeutung sind. Es lohnt sich, die Antrittsenzyklika von Paul VI. zu würdigen und sie zumindest auszugsweise einer Relecture zu unterziehen.
Im ersten Teil des Schreibens widmet sich der Papst dem Selbstverständnis der Kirche und weist die Gläubigen auf eine ständige Wachsamkeit und Verinnerlichung besonders der Heiligen Schrift hin. Zugleich mahnt der Papst, es sei notwendig, sich zuerst neu auf das Eigene zu besinnen, um in einem zweiten Schritt auf die Fragen und Anliegen der heutigen Welt reagieren zu können. Der erste Teil des Rundschreibens ist daher stark ekklesiologisch ausgerichtet, wobei der Papst nachdrücklich betont, hier keine gesonderten Lehren über die Kirche vorlegen zu wollen, da sich die Konzilsväter mit den entsprechenden Fragen bereits beschäftigen würden. Nachdrücklich ermahnt der Papst die Gläubigen, sich ihrer Würde bewusst zu werden, die sie Kraft ihrer Taufe empfangen haben. Paul VI. schreibt: "Das Christsein, der Empfang der Taufe, dürfen nicht als etwas Gleichgültiges angesehen werden, das keine besondere Beachtung verdient, sie müssen tief und beglückend das Bewusstsein des Getauften prägen (...)" (Nr. 41).
Im zweiten Teil der Enzyklika wendet sich der Papst dem Gedanken der Erneuerung zu, welchem gerade mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil auf Ebene der Weltkirche nachgekommen wird. Reform aber, so mahnt der Papst, darf nicht "den wesentlichen Grundbegriff noch den grundlegenden Aufbau der katholischen Kirche" betreffen (vgl. Nr. 48); sie muss vielmehr als Rückbesinnung auf das eigentliche Anliegen der Kirche verstanden werden, nämlich das Antlitz Christi in der Welt widerzuspiegeln (Nr. 49). Demgemäß geht aller Reform eine Erneuerung des Selbstbewusstseins voraus, welches für die Kirche im Evangelium Christi vorgebildet ist. Dass sich Paul VI. im Blick auf die grundlegenden Anliegen des Konzils ganz auf der Linie seines Vorgängers weiß, macht er deutlich, indem er auf den "Aggiornamento"-Gedanken Johannes XXIII. Bezug nimmt und dessen Fortführung ausdrücklich bestätigt.
Von besonderer Bedeutung ist der dritte Teil der Enzyklika, in dem sich Paul VI. besonders mit der kirchlichen Grundhaltung des Dialogs auseinandersetzt. Der Papst mahnt: "Die Kirche muss zu einem Dialog mit der Welt kommen, in der sie nun einmal lebt. Die Kirche macht sich selbst zum Wort, zur Botschaft, zum Dialog." (Nr. 67) Damit ist ein zentraler Gedanke angerissen, der darin seinen Ausdruck findet, dass sich die Kirche mitten hineingestellt weiß in die Welt von heute. Christen sind zwar nicht von der Welt, leben aber in der Welt und müssen in dieser Welt den Menschen von heute das Evangelium verkünden. Dieser Dialog mit allen Menschen "ist einer der wichtigsten Punkte im heutigen Leben der Kirche" (Nr. 68), der vor allem folgende Kennzeichen tragen muss: Er muss in Freiheit geführt werden, von Liebe und Güte getragen sein, er darf keine Grenzen und Berechnungen kennen, niemanden nötigen oder verletzen (vgl. Nr. 73-79).
Wichtige Leitlinien für das Gespräch mit den Menschen
Damit gibt der Papst wichtige Leitlinien vor, wie die christliche Botschaft im Gespräch mit den Menschen auf glaubhafte Weise vermittelt werden kann. Im Blick auf die Dialogpartner entwickelt Paul VI. das Modell der "konzentrischen Kreise", wonach es ausgehend von der katholischen Kirche eine unterschiedlich enge Hinordnung auf diese Kirche gibt. Als ersten Gesprächspartner nennt der Papst die Menschheit als solche, zweitens all jene, die an Gott glauben, drittens die getrennten christlichen Brüder und schließlich die Mitglieder der katholischen Kirche. So äußert der Papst abschließend: "Es ist unser lebhafter Wunsch, dass der Dialog innerhalb der Kirche noch eifriger werde, was Themen und Gesprächspartner angeht, damit auch die Lebenskraft und die Heiligung des Mystischen Leibes Christi zunehme." (Nr. 120)
Der emeritierte Würzburger Fundamentaltheologe Elmar Klinger hat einmal sehr nachdrücklich formuliert: "Man kann die Kirche ohne Dialog überhaupt nicht denken." Die Zeiten der Dialogverweigerung und der mitunter polemischen Abgrenzung Anderen gegenüber sind mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil endgültig überschritten. Das hat schon Paul VI. in seiner Enzyklika "Ecclesiam suam" deutlich gemacht. Deswegen ist sie ein wichtiges Dokument, das sich zu lesen lohnt. Seine zentralen Gedanken haben Eingang gefunden in die Texte des Konzils. Doch die nachdrückliche Ermahnung zum Dialog, die Paul VI. vor 55 Jahren ausgesprochen hat, hallt bis heute nach. Und es ist wichtig, sie nicht zu überhören.