300 Kilometer zu Fuß durch die Alpen gegen Abtreibung

Pro Life Tour: "Wir sind nicht unterwegs, um Frauen zu verurteilen"

Veröffentlicht am 12.08.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Bis zum 18. August sind sie noch zu Fuß unterwegs. Ihr Ziel ist Bozen, ihre Mission ist, über Lebensschutz zu sprechen und ihre Haltung gegenüber Abtreibung kundzutun. "Pro Life Tour"-Sprecherin Manuela Steiner erklärt die Beweggründe der jungen Menschen, die bei der Aktion mitmachen.

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Manuela Steiner (27) war, wie sie selbst sagt, ein ungeplantes Kind. Dennoch haben sich ihre Eltern dazu entschieden, sie zu bekommen. Damit auch weitere "ungewollte" Kinder zur Welt kommen und nicht abgetrieben werden, müsste sich Steiner und ihren Mitstreiten zufolge das gesellschaftliche Klima verändern. Genau da will die "Pro Life Tour" ansetzen. Ende Juli ist eine Gruppe junger Lebenschützer in Augsburg gestartet. Ihr Weg verläuft durch das Hochgebirge.

Frage: Frau Steiner, die diesjährige "Pro Life Tour" führt 300 Kilometer durch die Alpen. Hätte es nicht auch eine bequemere Art des Protests gegeben?

Manuela Steiner: Natürlich hätte es die gegeben. Aber wir haben uns bewusst für eine solche Aktion entschieden. Weil es so ein ungewöhnliches Projekt ist, erhalten wir eine viel größere Aufmerksamkeit. Man darf nicht außer Acht lassen, mit welchen Anstrengungen das Ganze verbunden ist. Die Teilnehmer nehmen dafür einige Strapazen auf sich – da sind Blasen an den Füßen noch das kleinste Problem. Aber nicht alle gehen die komplette Tour mit. Neben dem Organisationsteam sind es weitere drei, die jeden Tag dabei sind. Manche schließen sich auch für einzelne Tagesetappen an.

Frage: Seit wann gibt es die "Pro Life Tour"?

Steiner: Die "Pro Life Tour" ist älter, als man denkt. Sie ist eine Erfindung der "Jugend für das Leben Österreich" und fand erstmals 1997 statt. Über Jahre war das eher ein innerösterreichisches Projekt; seit 2017 arbeiten wir aber daran, es in den ganzen deutschsprachigen Raum hinein zu erweitern. Vergangenes Jahr waren wir gemeinsam mit der "Jugend für das Leben Deutschland" von München nach Salzburg unterwegs. Dieses Jahr hat sich die "Bewegung für das Leben Südtirol" angeschlossen, daher gehen wir von Augsburg nach Bozen.

Manuela Steiner
Bild: ©Pro Life Tour

Manuela Steiner arbeitet für die "Jugend für das Leben Österreich" und ist die Sprecherin der "Pro Life Tour".

Frage: Auf der Strecke trifft man unzählige Leute. Wie machen die Teilnehmer da auf sich aufmerksam?

Steiner: Wir sprechen die Leute, die uns über den Weg laufen, aktiv an. Alle Teilnehmer haben Infomaterialien dabei, die sie ihren Gesprächspartnern in die Hand drücken. Wir werfen auch Flyer in die Briefkästen, damit alle merken, dass wir da waren. An den Ruhetagen bauen wir in der Stadt, in der wir gerade sind, Infostände auf. Gleichzeitig gehen wir auch in den Fußgängerzonen gezielt auf die Passanten zu. In erster Linie wollen wir dabei Informationen verbreiten: Was Lebensschutz ist, wann das menschliche Leben beginnt, wie groß das Thema Abtreibung in der Gesellschaft ist oder wie viele Betroffene es gibt. Wir sind nicht unterwegs, um Frauen zu verurteilen oder mit dem Finger auf jemanden zu zeigen. Aber wir wollen aufklären, damit die Leute bei diesem Thema mitreden können.

Frage: Das heißt, es gibt da Nachholbedarf?

Steiner: Absolut. Wenn man die Fakten auf den Tisch legt, kommt es oft zu sehr überraschten Reaktionen. Zum Beispiel weiß kaum jemand, dass im europäischen Durchschnitt jede sechste Schwangerschaft abgebrochen wird. Viele denken, es sei ein viel kleinerer Teil. Wenn man fragt, wie viele Abtreibungen jährlich in Deutschland vorgenommen werden, lautet die Antwort meistens "zwischen 1.000 und 10.000". Wenn sie dann erfahren, dass es laut offizieller Statistik 100.000 sind, gibt es ein sehr großes Aha-Erlebnis. Und viele kennen auch die rechtliche Lage nicht, etwa wie lange der Abbruch straffrei gestellt ist.

Frage: Wie reagieren die Leute, wenn sie von den Teilnehmern angesprochen werden – gerade zu so einem heiklen Thema wie Abtreibung?

Steiner: Das ist sehr unterschiedlich. Aber in der Mehrheit waren die Reaktionen bislang sehr positiv. Viele waren sehr angetan von dem Projekt, viele waren auch überrascht, dass es Menschen gibt, die von Augsburg nach Bozen zu Fuß gehen. Meistens waren die Leute wirklich interessiert, warum die Jugendlichen sich für dieses Thema interessieren und dabei sind. Für den Großteil der Teilnehmer an der Tour war es das erste Mal, dass sie diese Gesprächserfahrungen gemacht haben. Sie sagen, dass sie bisher viele gute Gespräche geführt und ein gutes Feedback bekommen haben.

„Um die Vorurteile auszuräumen, braucht man sich eigentlich nur unsere Gruppe anzuschauen. Lebensschützer sind keine "alten weißen Männer", wie oft überspitzt gesagt wird.“

—  Zitat: Manuela Steiner über Vorbehalte gegen die Lebensschutzbewegung

Frage: Gab es auch schon ablehnende Reaktionen?

Steiner: Bei den einzelnen Gesprächen nicht. Auch aus meiner beruflichen Erfahrung heraus kann ich bestätigen, dass man mit fast 99 Prozent aller Menschen in einem Einzelgespräch sehr gut über das Thema Abtreibung reden kann. Wenn jemand nicht reden will, geht er einfach weiter. Die einzige negative Erfahrung, die wir bislang auf der Tour gemacht haben, war bei unserer Auftaktveranstaltung in Augsburg. Da gab es eine Gegendemonstration, die sehr lautstark versucht hat, unsere Kundgebung zu stören. Da mussten wir dann für 45 Minuten unterbrechen, bis die Polizei den Platz geräumt hat.

Frage: Wie gehen Sie mit Vorbehalten gegen die Lebensschutzbewegung um? Viele Kritiker behaupten, sie sei politisch sehr rechts verortet…

Steiner: Wir wissen natürlich, dass das Thema Abtreibung sehr polarisiert. Deswegen werden auch schnell Vorurteile geäußert. Aber an der "Pro Life Tour" kann jeder teilnehmen – egal, welche politische Einstellung er oder sie hat. Einzige Voraussetzung ist der Einsatz für den Lebensschutz. Um die Vorurteile auszuräumen, braucht man sich eigentlich nur unsere Gruppe anzuschauen. Lebensschützer sind keine "alten weißen Männer", wie oft überspitzt gesagt wird. Wir haben sehr viele Frauen dabei, wir haben ein paar Mütter dabei, es gehen aber auch sehr viele junge Männer mit uns mit. Wir hatten sogar Mütter dabei, die selber schon über eine Abtreibung nachgedacht haben. Wir wollen wirklich offen sein. Auf unserer Tour ist jeder willkommen.

Frage: Sie und ihre Mitstreiter sind überzeugt, dass es möglich sei, werdenden Müttern die Unterstützung zukommen zu lassen, die sie brauchen – so steht es auf der Internetseite der "Pro Life Tour". An welche Form der Unterstützung denken Sie da?

Steiner: Da braucht es verschiedene Initiativen von mehreren Seiten. Einerseits ist sicher familienpolitisch noch sehr viel möglich. Beispielsweise könnte man das Hilfsangebot für schwangere Frauen ausweiten oder Familien mit mehreren Kindern eine bessere finanzielle Unterstützung in Aussicht stellen. Aber uns ist es auch ein Anliegen, dass Hilfe von jedem Einzelnen kommen kann. Geld zu spenden ist sicherlich hilfreich, aber bei weitem nicht alles. Oft fehlt einfach der moralische oder emotionale Zuspruch an die Mutter. Den kann jeder leisten. Dafür braucht es kein neues Gesetz, sondern ein besseres Gespür in der Gesellschaft für die Sorgen von werdenden Müttern.

Unterwegs bei der Pro Life Tour 2019
Bild: ©Pro Life Tour

An einigen Etappen der Pro Life Tour nehmen auch junge Mütter mit ihren Kindern teil.

Frage: Bei aller Unterstützung: Was ist, wenn es die Umstände einer schwangeren Frau trotzdem nicht zulassen, ein Kind großzuziehen?

Steiner: Das kann natürlich auch passieren, keine Frage. Da würden wir uns wünschen, dass mehr Frauen den Weg der Adoption wählen. Uns ist bewusst, dass es keine leichte Entscheidung ist, ein Kind nach neun Monaten herzugeben. Aber die Frau weiß ja auch nach einer Abtreibung, dass es ein Kind gab. Bei einer Adoption weiß sie, dass ihr Kind lebt und dass es ihm im Idealfall gutgeht. Das größte Problem ist jedoch, dass viele schwangere Frauen eine Adoption gar nicht als Alternative wahrnehmen. In Österreich lag die geschätzte Abtreibungszahl im Jahr 2016 bei 35.000 – also jedes vierte Kind. Im Vergleich dazu wurden 100 Kinder zur Adoption freigegeben. Deshalb muss über das Thema viel breiter und besser informiert werden. Man muss aber auch von staatlicher Seite die Hürden für Paare, die ein Kind adoptieren wollen, senken, damit diese sich überhaupt trauen, sie zu überspringen.

Frage: Das Ziel der "Pro Life Tour" ist eine "Gesellschaft, in der Kinder geschützt sind, Frauen unterstützt werden und Abtreibung sich erübrigt hat", schreiben die Organisatoren. Wie kann man das erreichen?

Steiner: Genauso wie bei der Unterstützung für die Mütter braucht es da mehrere Schritte auf mehreren Ebenen. Aber das Wichtigste ist, dass sich das gesellschaftliche Klima verändert. Da braucht es noch viel Arbeit bei den Leuten an der Basis. Und genau da setzen wir mit unserer Tour an. Die Menschen sollen erkennen, dass Kinder keine Last sind, sondern Freude bereiten; dass Kinder, wenn sie ungeplant sind, nicht wie häufig dargestellt das "Ende" des Lebens für die Eltern bedeuten. Wenn die Gesellschaft wieder das Schöne an Kindern und kinderreichen Familien sieht, werden sich auch viel mehr Frauen kritischer damit auseinandersetzten, ob sie wirklich eine Abtreibung durchführen lassen wollen und in manchen Fällen dann auch langsamer und wohlüberlegter die Entscheidung treffen. Das wäre schon mal ein erster Schritt.

Frage: Zumindest in Deutschland scheint es aktuell keine politische und gesellschaftliche Mehrheit zu geben, die das Thema Abtreibung aktiv angehen will. Was lässt Sie hoffen, dass sich das künftig ändert?

Steiner: Hoffen lässt mich vor allem, dass die Jüngeren oft kritischer gegenüber Abtreibung sind. Das zeigen auch die Erfahrungen in den Gesprächen während der "Pro Life Tour". Positiv stimmt uns auch, dass man in anderen Ländern durch viel Einsatz an der Basis ein Umdenken in der Politik bewirkt hat. In den USA wird das gerade besonders deutlich: Durch jahrelange Arbeit von vielen verschiedenen Lebensschutzvereinigungen sind dort in einigen Bundesstaaten mittlerweile striktere Abtreibungsregelungen eingeführt worden. Man sieht, dass sich durch viel Engagement auch auf politischer Ebene etwas verändern lässt, selbst wenn es einige Jahre dauert.

Von Matthias Altmann