Kardinalsernennungen: Papst Franziskus bleibt seinem Kurs treu
Das Angelus-Gebet am vergangenen Sonntag wird wohl vielen der anwesenden Gläubigen noch lange im Gedächtnis bleiben. Zum einen wegen seines verspäteten Beginns, den Papst Franziskus gleich zu Anfang damit erklärte, dass er 25 Minuten in einem Aufzug festgesteckt habe. Zum anderen wegen der überraschenden Ankündigung am Ende des Gebets, 13 neue Kardinäle zu ernennen. Zwar hatte Franziskus in diesem Jahr noch keine neuen Mitglieder für das Kardinalskollegium bestimmt, wie zuvor noch in fast jedem Jahr seines Pontifikats. Dennoch erfolgte die Ernennung ohne Vorankündigung und nicht zu einem traditionellen Termin, etwa zum Fest Peter und Paul am 29. Juni.
Momentan erscheint eine Erweiterung des Kardinalskollegiums durchaus sinnvoll. Denn in der vergangenen Zeit hatte das öffentliche Ansehen mehrerer Kardinäle sehr gelitten: Der australische Kardinal George Pell sitzt wegen Missbrauch im Gefängnis, sein chilenischer Amtskollege Ricardo Ezzati trat wegen der Mitwisserschaft von sexuellen Übergriffen zurück und der indische Purpurträger George Alencherry ist in dubiose Grundstücksverkäufe verstrickt. Der ehemalige Erzbischof von Washington, der mehrfache Missbrauchstäter Theodore McCarrick, musste das Kardinalat sogar niederlegen – ein in der Kirchengeschichte äußerst seltener Vorgang.
Traditionelle Kardinalssitze gehen weiterhin leer aus
Bei der Auswahl der neuen Kardinäle mag Franziskus deshalb wohl auch daran gedacht haben, wie er den Ruf des Senats der Kirche verbessern kann. Dabei ist er seinem Kurs treu geblieben und setzt nicht auf große Namen und prestigeträchtige Bischofssitze, sondern geht an die Peripherie. Denn Bischofssitze in westlichen Ländern, die traditionell mit der Kardinalswürde verbunden waren, wurden auch dieses Mal vom Papst nicht bedacht – so ging etwa der Mailänder Erzbischof Mario Delpini leer aus, obwohl alle seine Vorgänger seit Ende des 19. Jahrhunderts zum Kardinal gemacht worden waren. Mit Pius XI. und Paul VI. brachte diese Tradition sogar zwei Päpste hervor. Stattdessen befinden sich unter den neuen Purpurträgern zu einem großen Teil Bischöfe, die aus Ländern stammen oder dort wirken, die im Leben der Kirche und in der Weltpolitik kaum eine Rolle spielen.
Die Wirkungsorte und Tätigkeitsfelder der ernannten Kardinäle lesen sich dann auch wie eine Zusammenstellung der aktuellen kirchlichen Herausforderungen. Der christlich-islamische Dialog bildet dabei einen besonderen Schwerpunkt. Er ist das Thema des Spaniers Miguel Ayuso Guixot, der erst im Mai von Franziskus zum Präsidenten des Päpstlichen Rates für den Interreligiösen Dialog ernannt wurde. Ebenso ehrte der Papst dessen bereits 82-jährigen Vorgänger Michael Fitzgerald mit dem Kardinalshut – einst ebenfalls einer der wichtigsten Vertreter des Vatikan in der islamischen Welt. Zudem scheint Franziskus während seiner diesjährigen Reise nach Marokko sehr von Cristobal Lopez Romero, dem Erzbischof von Rabat, beeindruckt gewesen zu sein. Denn auch diesen Hoffnungsträger für den Dialog mit dem Islam erhob er nun zum Kardinal. Auch der Erzbischof der indonesischen Hauptstadt Jakarta, Ignatius Suharyo Hardjoatmodjo, wird als neuer Kardinal aus dem Land mit der größten muslimischen Bevölkerung weltweit dieses Thema verstärkt in die Kirche einbringen.
Der Kubaner Juan Garcia Rodriguez befindet sich als Erzbischof von Havanna zwar auf einem Bischofsstuhl, auf dem durchaus schon Kardinäle gesessen haben, aber er sieht sich vor der schwierigen Aufgabe, für die Rechte der Kirche innerhalb eines kommunistischen Systems zu kämpfen. Das verbindet ihn mit Sigitas Tamkevicius, der eine Symbolfigur der litauischen Kirche ist und in den 80er-Jahren in einen Gulag interniert wurde. Franziskus verleiht ihm den Kardinalstitel ehrenhalber für seine Verdienste, ebenso wie dem Italiener Eugenio Dal Corso, der zunächst als Missionar in Argentinien und danach als Bischof in Angola tätig war.
Ferner ehrt Franziskus mit dem Kardinalshut für Erzbischof Matteo Zuppi von Bologna auch die Gemeinschaft Sant' Egidio, der er sich besonders verbunden fühlt. Denn Zuppi war lange Jahre Geistlicher Assistent dieser sozial engagierten Gemeinschaft. Franziskus soll Sant' Egidio unter den Neuen Geistlichen Gemeinschaften den Vorzug geben, ganz anders als seine beiden unmittelbaren Vorgänger im Papstamt, die eher konservativere Bewegungen, wie das Opus Dei oder die Legionäre Christi unterstützt haben.
Kardinalsernennung von Hollerich ein besonderer Coup
Die Kardinalsernennung von Jean-Claude Hollerich ist ein besonderer Coup: Der Papst würdigt so einerseits die Kirche eines kleinen europäischen Landes, in dem das Verhältnis zum Staat immer distanzierter wird, mit dem ersten Kardinal überhaupt in seiner Geschichte. Andererseits spricht er so allen europäischen Bischöfen seine Unterstützung aus. Denn Hollerich ist außerdem Vorsitzender der EU-Bischofskommission Comece und setzt sich besonders in der Flüchtlingsfrage ein.
Mit Alvaro Ramazzini aus Guatemala und Fridolin Ambongo Besungu aus der Demokratischen Republik Kongo werden zwei Vertreter der Weltkirche zu Purpurträgern, die besonders für Menschenrechte und Demokratie einstehen, aber auch vor den Folgen des Klimawandels warnen. Jose Tolentino Calaca de Mendonca fällt etwas aus dem Schema dieser Bischofsernennungen, denn der Leiter der Vatikan-Bibliothek hat bislang nicht durch das Eintreten für soziale Belange oder den interreligiösen Dialog auf sich aufmerksam gemacht. Der biblische Theologe gilt als Intellektueller, der besonders vom Papst geschätzt wird. Nicht umsonst hielt Mendonca, der auch Gedichtbände herausgibt, im Februar 2018 die Fastenexerzitien der Kurie.
Michael Czerny bildet eine etwas andere Ausnahme: Der Jesuit ist der einzige unter den neu ernannten Kardinälen, der zwar Priester, aber kein Bischof ist. Gemäß dem Kirchenrecht müsste er vor seiner Erhebung in den Kardinalstand die Bischofsweihe empfangen, doch Papst Franziskus könnte ihn davon dispensieren – wie er es schon bei zwei weiteren Jesuiten-Kardinälen getan hatte, die jedoch bei ihrer Ernennung wesentlich älter als der 73-jährige Czerny waren. Der Untersekretär im "Dikasterium für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen" beschäftigt sich besonders mit dem Thema Migration. Er ist von Franziskus zu einem Sondersekretär der Amazonas-Synode bestellt worden. Am Tag der Eröffnung der Synode wird bezeichnenderweise auch das Konsistorium zur Aufnahme ins Kardinalskollegium stattfinden.
Die jetzt erfolgten Ernennungen sind nicht nur wegen der Themen bedeutsam, die den zukünftigen Kardinälen und dem Papst am Herzen liegen und von denen er daher möchte, dass sie auch über seinen Tod hinaus in der Kirche eine wichtige Rolle spielen. Mit den 13 Neu-Ernannten wird im Oktober erstmals die Hälfte der wahlberechtigten Kardinäle von Franziskus kreiert worden sein. Am 5. Oktober, dem Tag des Konsistoriums, gibt es 128 wahlberechtigte Kardinäle. Diese Zahl verringert sich nur zehn Tage später aufgrund des Überschreitens der Altersgrenze von 80 Jahren um vier Kardinäle. Von den 124 walberechtigten Kardinälen sind dann, sofern keine Purpurträger in der Zwischenzeit sterben, 66 von Franziskus ernannt worden.
Europäer weiterhin im Kardinalskollegium überrepräsentiert
Für die Wahl eines Papstes in einem Konklave ist zwar zunächst eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig, doch trotzdem markiert die jetzt erfolgte Kardinalsernennung einen Wendepunkt des Pontifikates von Franziskus. Den 66 von Franziskus ernannten Kardinälen stehen zukünftig die 42 von Benedikt XVI. und 16 von Johannes Paul II. ernannten gegenüber. Diese "Fürsten der Papstes" sind zudem keineswegs ein geschlossener Klub einiger Italiener, Europäer und Nordamerikaner mehr, sondern sie gehören über 60 Nationen aus aller Welt und von allen Erdteilen an – so viele wie nie zuvor. Die Europäer werden dennoch, gemessen an der Verteilung der Katholiken weltweit, weiterhin mit 40 Prozent überrepräsentiert sind.
Die Ernennungen von Franziskus tragen seine Handschrift letztlich auch dadurch, dass er vermehrt Ordensmänner in das Kardinalkollegium beruft und so die Kirche verändert. Unter den 13 neuen Kardinälen sind neben drei Jesuiten fünf weitere Ordensangehörige, besonders von Gemeinschaften, die sich der Mission verschrieben haben. Auch bei den vorigen Ernennungen von Kardinälen hatte Franziskus, der selbst Jesuit ist, zahlreiche Ordensmitglieder berücksichtigt. Kurios ist dabei die Tatsache, dass es Mitgliedern des Jesuitenordens aufgrund ihrer Statuten eigentlich verboten ist, geistliche Ämter anzustreben und in der Kirche Karriere zu machen. Aber wenn das Kirchenoberhaupt es so möchte, müssen sie sich seinem Willen beugen – etwas, das unter dem Jesuiten-Papst Franziskus nun häufiger vorkommt.