Franziskus ruft Kirche in Madagaskar zur Mitwirkung in Gesellschaft auf

Papst: Religion nicht nur zur Vorbereitung auf den Himmel da

Veröffentlicht am 07.09.2019 um 17:39 Uhr – Lesedauer: 

Antananarivo ‐ Bei seiner Südostafrika-Reise hat Papst Franziskus die Kirche aufgerufen, sich in die Gesellschaft einzubringen: Religion sei nicht nur zur Vorbereitung auf den Himmel da. Auch an die Politiker des Landes richtete er eine klare Botschaft.

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Papst Franziskus hat die Kirche in Madagaskar aufgerufen, am Aufbau des Landes kritisch mitzuwirken. So hätten die Bischöfe das Recht, sich zu all dem "zu äußern, was das Leben der Menschen betrifft", sagte er am Samstag bei einer Begegnung zu den 34 Bischöfen des Landes. Entscheidendes Kriterium für dieses Engagement sei, dass "die Verkündigung des Evangeliums eure Sorge um alle Formen der Armut einschließt".

Religion dürfe nicht ins Privatleben verbannt werden oder existiere nur, "um die Seelen auf den Himmel vorzubereiten", so der Papst in der Kathedrale von Antananarivo. Eine "reife und unabhängige Zusammenarbeit zwischen Kirche und Staat" sei eine ständige Herausforderung, stets gefährdet durch "fragwürdige Übereinkünfte", bei denen "der 'Biss des Evangeliums' verloren geht", warnte Franziskus.

Der Einsatz der Kirche auf Madagaskar geschehe in einem schwierigen und oft widersprüchlichen Umfeld; das Land sei reich, viele Menschen aber arm. Traditionen und Kultur Madagaskars bieten laut Franziskus viele Möglichkeiten, das Leben und die Würde der Menschen zu schützen. Gefährdet seien diese aber durch Ungleichheit und Korruption.

Franziskus: Das Leben nehmen, wie es kommt - wie beim Fußball

Mit Blick auf die Kirche selbst warnte der Papst, alles kontrollieren zu wollen. Ein guter Hirte und Sämann gebe Initiativen Raum und lasse "Wachstum zu ungleichen Zeiten" zu; es gehe nicht um Uniformität. Ebenso seien "unvernünftige Ansprüche" an Mitarbeiter und andere Gläubige zurückzuweisen, umgekehrt "scheinbar magere Ergebnisse" nicht zu verachten. Es gelte, das Leben zunächst so zu nehmen, wie es kommt - so wie den Ball bei einem Fußballspiel, so Franziskus.

In ihrer innerkirchlichen Verantwortung sollten sich die Bischöfe besonders um ihre Priester kümmern, sie stärken und ihnen zuhören, mahnte der Papst. Zugleich betonte er deren große Verantwortung bei der Personalauswahl. Lob sprach Franziskus Madagaskars Bischöfen aus für ihre Initiativen, Laienchristen zu stärken und fördern.

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Zuvor hatte Franziskus zu "entschlossenem Kampf" gegen Korruption, Spekulation und Umweltzerstörung aufgerufen. Für eine gerechte und nachhaltige Entwicklung biete die traditionelle Kultur des Landes genügend Ressourcen, sagte er Papst vor Vertretern von Politik, Diplomatie und Zivilgesellschaft in Antananarivo. So brauche es etwa eine bessere Einkommensverteilung und umweltverträgliche Arbeitsplätze.

Franziskus prangerte "exzessive Entwaldung" an, "die nur dem Vorteil einiger weniger dient". Schmuggel und illegale Exporte wertvoller Hölzer etwa gefährdeten die reiche Tier- und Pflanzenwelt und damit die Zukunft des Inselstaates. Zugleich warnte er vor einer wirtschaftlichen Globalisierung mit kultureller Gleichmacherei. Ursprüngliche Lebensstile müssten berücksichtigt werden. Staatspräsident Andry Rajoelina versprach seinerseits, "Madagaskar wieder aufzubauen" und Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in dem teilweise autoritär geführten Land zu verbessern.

Papstbesuch als "neue Seite der Geschichte" des Landes

Nach Meinung des deutschen Politologen Constantin Grund hat das Land rechtzeitig zum Papstbesuch "eine neue Seite seiner Geschichte" aufgeschlagen. Allerdings sei der Weg noch sehr weit, sagte der Landesvertreter der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) auf Madagaskar der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Mehr als zwei Drittel der Madagassen lebten in Armut und hätten "jeden Glauben an eine bessere Zukunft verloren", so der Politologe.

Eine große Gefahr sei derzeit nicht nur, dass die herrschende wirtschaftliche Ungleichheit "als Normalzustand akzeptiert wird", sagte Grund, sondern auch, dass sich "Teile der Bevölkerung unter diesen Bedingungen auch wieder entmenschlichen". Die Politiker des Landes müssten mit gutem Beispiel vorangehen - was sie derzeit aber "nur teilweise" täten, warnte der Politologe. "Die Menschen werden eine ehrliche Ansprache des Papstes zu schätzen wissen." Davon könne Zuversicht, Optimismus und Ermunterung zu persönlichem Engagement ausgehen.

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Außerdem hatte der Papst ein Frauenkloster besucht und dort am Mittagsgebet teilgenommen. In seiner anschließenden Ansprache ermutigte er die Ordensfrauen zu beharrlichen "kleinen Schritten von Liebe und Gehorsam"; außerdem warnte er sie vor Weltlichkeit und Versuchungen des Teufels.

"Es braucht Mut, an die kleinen Schritte im Leben zu glauben, daran, dass Gott aus meiner Kleinheit Großes machen kann und will", sagte Franziskus in seiner improvisierten Ansprache, die parallel ins Madagassische übersetzt wurde. Er ermunterte die Frauen zu gegenseitigem Vertrauen und Transparenz.

Sollten ihnen etwas falsch vorkommen oder verdächtig, sollten sie sofort und rechtzeitig darüber sprechen, denn "der Versucher kann sogar in der Person des geistlichen Begleiters kommen", warnte der Papst. Sie sollten ihre jeweilige Oberin informieren, auch wenn diese ihnen nicht sympathisch sei. Das doppelte Gitter und ein Vorhang vor der Klausur der kontemplativen Ordensschwestern allein nützten nicht, um Liebe und Heiligkeit im Kloster zu schützen.

Papst fühlt sich von Therese von Lisieux begleitet

Seine Ansprache kleidete Franziskus in eine Episode aus dem Leben der heiligen Therese von Lisieux (1873-1897). Diese habe als ganz junge Ordensfrau stets eine ältere begleitet und ihr geholfen, obwohl diese sie ständig zurückwies. Diese konsequente wie unauffällige Solidarität, Nächstenliebe und Gehorsam der jungen Therese seien die winzigen Schritte, auf die es ankomme. "Heute begleitet die Heilige einen anderen Alten: mich", gestand der Papst am Ende. Das Leben der französischen Heiligen sei ihm eine große Inspiration, wenn auch er mitunter taub oder bockig sei.

In den Gassen vor dem "Kloster der unbeschuhten Karmelitinnen" war Franziskus zuvor von Hunderten Menschen begeistert empfangen worden. An dem Gebet in der Kapelle des Klosters nahmen auch rund 100 Ordensfrauen aus anderen kontemplativen Klöstern teil. Das Kloster in Antananarivo wurde 1937 von belgischen Ordensfrauen gegründet, diese 1921 aus Europa nach Madagaskar gekommen waren.

Für den Abend ist eine Gebetsfeier von Papst Franziskus mit jungen Menschen vorgesehen, ähnlich wie bei Weltjugendtagen. Am Sonntagmorgen findet auf demselben Gelände eine Messe statt. Die Republik Madagaskar zählt auf einer Fläche von 587.000 Quadratkilometern rund 27 Millionen Einwohner und gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Für Montag ist ein eintägiger Besuch auf der rund 1.000 Kilometer östlich von Madagaskar gelegenen Insel Mauritius vorgesehen. Am Dienstag kehrt der Papst nach Rom zurück. (rom/KNA)