Sein politisches Vermächtnis
Das rund 30-seitige Dokument des schon vom Tod gezeichneten Papstes gilt als sein politisches Vermächtnis für die Menschheit.
Johannes XXIII. wollte mehr
Päpstliche Versöhnungsappelle und Friedensinitiativen hatte es früher schon gegeben: Benedikt XV. bemühte sich im Ersten Weltkrieg ebenso vergeblich wie Pius XII. im Zweiten Weltkrieg, dem sinnlosen Töten Einhalt zu gebieten. Doch Johannes XXIII. wollte mehr: Der Krieg sollte nicht nur im konkreten Einzelfall verhindert, sondern im Atomzeitalter strukturell unmöglich werden. Krisenprävention heißt das heute. Erstmals skizziert die Enzyklika eine gerechte politische und wirtschaftliche Weltordnung aus katholischer Sicht, in der Schwerter tatsächlich zu Pflugscharen werden.
Mit der Enzyklika gab die katholische Kirche auch ihre Vorbehalte gegen die 1945 gegründeten Vereinten Nationen auf. "Pacem in terris" ist das erste päpstliche Dokument, das sich ausdrücklich zur "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" durch die Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 bekennt. Bislang waren die Menschenrechte als Ausgeburt der Revolution und des Freimaurertums abgelehnt oder zuletzt zumindest mit großen Vorbehalten betrachtet worden.
Wie revolutionär dieser Schritt war, zeigt sich schon darin, dass der Papst eine eigene Rechtfertigung für notwendig erachtet. Er verkenne nicht, dass "gegenüber einigen Kapiteln mit Recht von manchen Einwände geäußert worden sind", heißt es in der Enzyklika.
Forderung nach einer umfassenden globalen Autorität
Nichtsdestoweniger sei diese Erklärung "gleichsam als Stufe und als Zugang zu der zu schaffenden rechtlichen und politischen Ordnung aller Völker der Welt zu betrachten". Die Enzyklika gipfelt schließlich in der Forderung nach einer umfassenden globalen Autorität.
"So folgt um der sittlichen Ordnung willen zwingend, dass eine weltweite politische Gewalt eingesetzt werden muss". Ein Jahr nach Veröffentlichung der Enzyklika war der Heilige Stuhl als ständiger Beobachter bei den Vereinten Nationen vertreten.
Der Schrecken über die Kuba-Krise saß im April 1963 noch tief. Das Kräftemessen der Sowjetunion und der USA hatte die Welt im Oktober 1962 an den Rand eines Atomkriegs gebracht. Unvorstellbare Vernichtungspotentiale standen sich auf beiden Seiten gegenüber. Die traditionelle katholische Lehre vom "gerechten Krieg" erschien Johannes XXIII. überholt oder zumindest nur noch eingeschränkt gültig: "Darum widerstrebt es in unserem Zeitalter, das sich rühmt Atomzeitalter zu sein, der Vernunft, den Krieg noch als das geeignete Mittel zur Wiederherstellung verletzter Rechte zu betrachten", heißt es in der Enzyklika. Und auch der traditionelle Adressatenkreis päpstlicher Lehrschreiben entsprach nicht mehr den Zeichen der Zeit.
Blauäuigiger Papst?
Angesichts zweier Supermächte, von denen die eine von Staats wegen atheistisch war und die andere seit 1961 mit John F. Kennedy nur ausnahmsweise von einem katholischen Präsidenten geführt wurde, wandte sich Johannes XXIII. erstmals auch an "alle Menschen guten Willens".
Kritiker hielten unterdessen dem Papst selbst zu viel guten Willen und zu wenig Realitätssinn vor. So sah sich die päpstliche Zeitung "Osservatore Romano" zehn Tage nach der Veröffentlichung der Enzyklika veranlasst, den Papst vor dem Vorwurf politischer Blauäugigkeit in Schutz zu nehmen.
50 Jahre nach ihrer Veröffentlichung hat die Enzyklika nichts von ihrer Aktualität eingebüßt. Der von Johannes XXIII. angeprangerte Rüstungswettlauf und die Ächtung von Atomwaffen stehen auch heute noch auf der päpstlichen Agenda. Und auch die Idee einer globalen politischen Instanz mit weitaus mehr Befugnissen als die heutige UN wurde zuletzt von Benedikt XVI. aufgegriffen, damit endlich "Frieden auf Erden" werde.
Von Thomas Jansen (KNA)